US-Wahl: „Die Umfragen sind knapper als je zuvor“

Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch spricht im Interview mit der NEUE über die Präsidentschaftswahl in den USA, den möglichen Ausgang und die Auswirkungen auf Vorarlberg.
Welche Hürden muss ein Präsidentschaftskandidat in den USA überwinden, bis er antreten kann?
Reinhard Heinisch: Die Kandidaten müssen in 50 Bundesstaaten mit zehntausenden Freiwilligen eine Wahlkampfmaschinerie und ein Budget von etwa ein bis zwei Milliarden Dollar zusammenstellen. Dabei darf man sich wenige Fehler leisten, während die anderen Kandidaten versuchen, einem das Leben schwer zu machen. Dann gilt es, die Vorwahlen zu bestehen. Auf einem Parteitag übernimmt der letztliche Spitzenkandidat die Positionen jener, die auf den Plätzen zwei oder drei gelandet sind, und erst ab dann unterstützt die Partei den Kandidaten. Von einem zweijährigen Wahlkampf sind die Kandidaten etwa anderthalb Jahre auf sich gestellt.

Warum gibt es in den USA nur zwei relevante Parteien?
Heinisch: Es gibt in den USA viele Parteien, aber aufgrund des Mehrheitswahlrechts kann nur eine Partei pro Wahlbezirk gewinnen und dadurch gibt es nur zwei relevante Parteien, die aber sehr breit aufgestellt sind. Verglichen mit Österreich gäbe es eine große bürgerliche Partei, in der sich wahrscheinlich die Neos, teilweise die Grünen und Teile der FPÖ wiederfinden würden, und auf der anderen Seite ist alles von Links bis Mitte vertreten. In den USA spielt sich sehr viel innerhalb der Parteien ab, was sich in Österreich zwischen den Parteien abspielt.

Bei welchen Themen hat Donald Trump aktuell die Nase vorn und bei welchen Kamala Harris?
Heinisch: Trump hat ein klares Profil: Die Wirtschaftskompetenz ist wichtig, denn zwei Drittel halten die Biden-Regierung für ökonomisch gescheitert. Inflation ist ein Thema, obwohl es den USA vergleichsweise besser geht als Österreich. Beim Thema Asyl und illegale Immigration liegt Trump auch weit vorne. Die Demokraten haben dagegen bei Themen sozialer Gerechtigkeit und Gesundheit Vorteile. Auch bei der Abtreibung sind sie vorn. Da unterscheidet sich Harris auch von Biden, weil er das Thema als Katholik viel schwieriger ansprechen konnte. Harris erreicht beim Abtreibungsthema die Frauen der Mittelschicht, eine sehr wichtige Wählergruppe.

Das “Gerrymandering” spielt eine große Rolle im Wahlkampf. Wie kann man sich diese Wahlkreisziehung vorstellen und wie bewerten Sie diese Taktik?
Heinisch: Es ist höchst problematisch und die einen sind darin besser als die anderen. Gerrymandering heißt, ich ziehe die Grenzen der Wahlbezirke in meinem Bundesstaat so, dass meine Partei einen maximalen Vorteil hat. Ich kann die Gegner in einen Wahlkreis “einsperren” und die restlichen Grenzen so ziehen, dass ich dort die Mehrheit habe. Die Verfassung sagt dazu nur, die Landesregierung kann es so machen, wie sie es für richtig empfindet, solange ungefähr dieselbe Anzahl an Menschen in den Wahlkreisen sind und ein einzelner Wahlkreis zusammenhängt. Das Problem: In einigen Staaten funktioniert das so professionell, dass auf eine republikanische Stimme drei demokratische Stimme kommen. Das funktioniert, denn aufgrund des Mehrheitswahlrechts bekommt der Gewinner eines Wahlkreises alle Stimmen. Egal ob noch zehn Leute die Demokraten wählen – wenn die Republikaner die Mehrheit haben, macht das keinen Unterschied. Nur wenn es nachweisbar unfair ist, können Gerichte einschreiten. Aber solange es ein politischer Prozess ist, hat man in den USA die Tendenz, zu sagen: “Winning has consequences.” Die Gewinner werden vom System belohnt.

Die Attentatsversuche auf Donald Trump haben den Wahlkampf überschattet. Welche Konsequenzen haben die auf das Ergebnis?
Heinisch: Überraschenderweise kräht kein Hahn mehr danach. Alle Experten gingen davon aus, das Foto nach dem ersten Attentatsversuch wäre das Bild des Jahres und entscheidet die Wahl. Vor 20 Jahren wäre es das Thema schlechthin gewesen. Das zeigt, wie schnelllebig unsere Zeit ist, aber auch wie sehr Gewaltbereitschaft als normal angesehen wird. Wir hatten einen Monat vor dem Parteitag einen Kandidatenwechsel und zwei Attentatsversuche und sprechen nun über andere Dinge. Der messbare Einfluss auf das Wahlergebnis wird wohl recht gering sein. Dazu kommt aber auch, dass beide Attentäter keinen Feindbildern entsprachen. Wären es zum Beispiel Latinos gewesen, hätten die Republikaner das viel mehr thematisieren können.

Also hatte der Kandidatenwechsel von Joe Biden auf Kamala Harris ebenfalls einen geringen Einfluss.
Heinisch: Was man dazu sagen muss: Ich glaube, es wurde nicht verstanden, warum Biden für die Demokraten so wichtig war. Biden war in einer sehr gespaltenen demokratischen Partei der kleinste gemeinsame Nenner. Dass er aber so schnell altert und eine schlechte Performance abgibt, war für viele überraschend, wurde aber vor dem Liveauftritt im Fernsehen nicht verstanden. Kamala Harris dagegen galt als politisches Leichtgewicht, ist keine gute Rhetorikerin und war im Vorwahlkampf 2020 eher farblos. Dass dennoch alles so gut funktionierte, war im Vorhinein nicht so offensichtlich.

Im US-Wahlkampf erleben wir Schlammschlachten in TV-Duellen und eine zunehmende Polarisierung. Ist diese Entwicklung auch in Österreich zu befürchten?
Heinisch: Grundsätzlich sind die Phänomene ähnlich, weil die Ursachen ähnlich sind. Viele Menschen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen und suchen bei Populisten nach einem einfachen Verständnis der Wirklichkeit. Die Auswirkungen sind aber andere. In den USA gibt es eine offene Medienlandschaft. Darin muss ich schriller agieren, um durchzudringen. In der konservativen Medienlandschaft in Österreich würde ich so als wenig ernsthaft abgestempelt werden. Es wäre seltsam, wenn in der Vorarlberger Landespolitik jemand antreten würde, der von Reptilienmenschen spricht. Die Parteien passen sich entsprechend an: Innerhalb des Spektrums schauen sie, dass rechts oder links von ihnen niemand mehr ist, aber wollen zur Mitte hin möglichst viele Wähler mitnehmen. Außerdem sind wir mit der EU in einer speziellen Situation, in den USA ist eher China ein Thema. Und letztlich weiß man in einem kleinen Land, dass man eher von anderen bestimmt wird. Das ist in einer Supermacht wie den USA anders, da wird eher erwartet, dass man die Dinge selbst richten kann.
„Es wäre seltsam, wenn in der Vorarlberger Landespolitik jemand antreten würde, der von Reptilienmenschen spricht.“
Reinhard Heinisch
Welchen direkten Einfluss hat der Ausgang der US-Wahl auf uns in Vorarlberg?
Heinisch: Nehmen wir an, Trump würde gewählt. Die USA wären nicht mehr bereit, Europa zu schützen und die Nato würde aufgelöst werden. Die USA würden nur die schützen, die dazu bereit wären, sie gegen China zu unterstützen. Dadurch hätten wir sofort eine Aufspaltung der Länder in der EU. Strafzölle auf Produkte aus der EU würden folgen, das würde die österreichische Exportwirtschaft massiv betreffen. Das hätte massive Konsequenzen auch hier in Vorarlberg. Trumps Wahlsieg würde zudem die Ukraine schwächen und Russland stärken. Eine Frage wäre auch, mit wem sich die Länder solidarisieren. Österreich müsste sich plötzlich eine Strategie überlegen, wie man mit China umgeht.

Harris oder Trump – können Sie eine Prognose abgeben, wer die Wahl gewinnt?
Heinisch: Nein, seriös ist das völlig unmöglich. Grundsätzlich wäre ich mehr überrascht, wenn Harris gewinnt, als wenn Trump es schafft – aus der Vermutung heraus, dass Trump in den Umfragen wahrscheinlich unterschätzt und Harris überschätzt wird. Die Umfragen sind knapper als je zuvor. Die meisten Amerikaner haben ihre Meinung schon längst getroffen und es geht wohl um ein Prozent der Unentschlossenen. Biden hat die letzte Wahl mit einem Prozent Vorsprung gewonnen, ob das dann zu Harris geht, ist spannend. Eine Frau mit dunkler Hautfarbe – diese Kombination hat in der Vergangenheit Präsidentschaftskandidaturen nicht gerade beflügelt. Strukturell ist das ein Vorteil für die Republikaner. Die sollten eigentlich zehn Prozent vorne liegen. Dass sie das nicht tun, liegt daran, dass Trump relativ unpopulär ist. Er kann aber gewinnen, wenn die andere Seite nicht wählen geht. Harris muss die laute Mittelschicht erreichen, die zur Wahl geht, um Trump zu verhindern.

Es hängt also von einem kleinen Anteil der Wähler ab, ob Harris gewinnt.
Heinisch: Wir haben zwei wichtige Wählergruppen, die die Demokraten brauchen: jüdische Wähler in Pennsylvania und arabisch-muslimische Wähler in Michigan. Beide sind wichtige Swing States, wenn eine der Gruppen nicht zu Wahl geht, ist es vorbei für die Demokraten. Je länger der Gaza-Konflikt dauert, desto mehr wird eine der Seiten zornig auf die Regierung und damit auf Harris sein, nicht das Entsprechende zu tun. Man sieht, es ist eine sehr schwierige Gemengelage für die Demokraten.