In dieser Gemeinde überspringen Grüne und FPÖ die Parteigräben

Was anderswo unmöglich wäre, ist in Höchst Realität: Ein Grüner Bürgermeister arbeitet mit einem FPÖ-Vize zusammen. Warum die Zusammenarbeit von Stefan Übelhör und Robert Blum gelingt.
„Die FPÖ ist der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus“, warf Grünen-Chef Werner Kogler den Freiheitlichen vor der Nationalratswahl an den Kopf. Sein FPÖ-Pendant Herbert Kickl unterstellte den Grünen wiederum, sie würden „Öko-Kommunismus“ über die Welt ausbreiten wollen. Zwischen keinen anderen Nationalratsparteien ist der Graben so tief wie zwischen Grün und Blau.
508 Kilometer Luftlinie westlich sind die Zustände völlig andere. In der Höchster Gemeindestube schwingen Stefan Übelhör als Bürgermeister und Robert Blum als Vizebürgermeister das sprichwörtliche Zepter. Das Außergewöhnliche: Übelhör gehört der Liste „Höchste Zeit und Grüne“ an, Blum ist Parteimitglied der FPÖ und sitzt für die Freiheitlichen auch im Landtag. Die NEUE war vor Ort und hat mit den beiden über eine Zusammenarbeit gesprochen, die auf anderer Ebene undenkbar wäre.
Fakten statt Ideologie
„Ich glaube, Parteifarben haben in der Gemeindestube nichts verloren. Wir machen Gemeindepolitik, wir kümmern uns um die Geschicke von Höchst. Da geht es nicht um ideologische Parteieinstellungen, sondern um Fakten“, beschreibt Stefan Übelhör den Zugang des Ortschef-Duos. „Wenn man die Grundeinstellungen unserer politischen Gesinnung betrachtet, gibt es Unterschiede, das ist klar. Diese Unterschiede bestehen auch in der Bevölkerung. Und wir stellen nichts anderes dar, als einen groben Querschnitt aus der Bevölkerung. Darum können wir entspannt miteinander diskutieren“, führt der Bürgermeister aus.

Das sah vor gar nicht allzu langer Zeit noch völlig anders aus: 2022 trat ÖVP-Bürgermeister Herbert Sparr zurück, nachdem der Volkspartei rund um die Ganztagsbetreuung im Kindercampus von der Opposition schlechte Entscheidungen und mangelhafte Kommunikation vorgeworfen wurde. „Die Zusammenarbeit war nie so schlecht, wie man sie dargestellt hat. Aber da gab es einen Auslöser und man musste gewisse Dinge aufzeigen“, beschreibt Blum die Vorkommnisse.
Alte Kamellen in vereinzelten Köpfen verblieben
Vereinzelt noch in den Köpfen. Ganz aufgeräumt wurde mit den alten Kamellen doch nicht, hört man. „Es gibt natürlich einzelne Personen, wo man spürt, das ist immer noch in den Köpfen drin. Aber bei ganz vielen ist es kein großes Thema mehr. In der Bevölkerung wird das nie thematisiert“, so Übelhör. „Wir akzeptieren, dass ein gewisser Schmerz da ist und haben auch die Geduld, das auszustehen. Irgendwann wird es besser.“ Blum ergänzt: „Für manche Leute, die ein ganzes Leben lang eine absolute ÖVP-Mehrheit in Höchst erlebt haben, ist es nicht gleich greifbar, wenn man nicht einmal mehr den Vizebürgermeister hat. Aber jetzt muss man einfach konstruktiv weiterarbeiten. Das machen sie und es funktioniert.“

Wie Blum schon anklingen ließ, haben sich die Machtverhältnisse in der Heimatgemeinde von ÖVP-Granden wie Herbert Sausgruber und Magnus Brunner gedreht. Nach Sparrs Rücktritt 2022 stand eine Bürgermeisterwahl außerhalb des regulären Termins an – und Stefan Übelhör konnte sich überraschend durchsetzen. Beim Wahltermin im März dieses Jahres gelang ihm mit 61,78 Prozent ein Sieg im ersten Wahlgang, der selbst für ihn überraschend war. „Ich bin davon ausgegangen, dass man bei drei starken Kandidaten eigentlich in eine Stichwahl geht. Das hat mich extrem überrascht, aber natürlich auch gefreut“, sagt der im Amt bestätigte Bürgermeister. „Ich glaube, die Höchster Bevölkerung hat einfach keine Stichwahl gewollt“, interpretiert Blum aus dem Wahlergebnis. Er wurde in der Gemeindevertretung zum Vizebürgermeister gewählt, setzte sich damit überraschend gegen Silvia Saurer-Kaufic (ÖVP) durch. So entstand die jetzige Konstellation. In der Gemeindevertretung setzt man auf ein freies Spiel der Kräfte – es tue gut, dass man miteinander reden muss, bestätigen Übelhör und Blum unisono.
Differenzen bei S18
Stets einer Meinung sind der Bürgermeister und sein Vize trotz gelegentlichem Beisammensein bei einem Bierchen am Abend nicht. Übelhör – der im Übrigen kein Parteimitglied bei der Grünen Mutterpartei ist, sondern als Parteifreier der Fraktion „Höchste Zeit und die Grünen“ angehört – erklärt: „Höchste Zeit ist eine Bürgerbewegung, die sich als Protestbewegung gegen die S18 und gegen das Flugfeld Altenrhein formiert hat. Natürlich ist immer noch ein Kernthema der Fraktion, dass wir uns gegen die S18 wehren. Wir sind der Meinung, dass es keine gute Lösung ist, mit Straßen den Verkehr zu bekämpfen. Mir ist bewusst, dass es einen Konsens braucht. Wir müssen miteinander reden und wir müssen Lösungen finden. Aber das wird noch einige Jahre dauern. Bis dahin wäre mir wichtiger, dass wir mit kleinen Schritten wie einer Radverbindung nach Dornbirn oder Wolfurt den Menschen die Chance geben, dass sie mit dem Fahrrad in einer vernünftigen Zeit an ihren Arbeitsplatz kommen.“ Blum widerspricht: „Trotzdem braucht es eine Verbindung zwischen den zwei Autobahnen. Nachdem alle vorherigen Untersuchungen aufzeigen, dass dieses Projekt die größte Entlastung bringen wird, steht man hinter der S18 und schaut, dass man sie auf Schiene bringt.“

Auch bei der Verordnung von Tempo 30 in Höchst haben Bürgermeister und Vize unterschiedliche Ansichten. „Man ist nicht immer einer Meinung und man kommt trotzdem miteinander aus und arbeitet zusammen. Wer glaubt, dass ich mit meiner Frau immer einer Meinung bin? Trotzdem liegen wir jeden Abend miteinander im Bett“, zieht Übelhör einen Vergleich und Blum fügt augenzwinkernd hinzu: „Ich gehöre auch nicht zu jenen wenigen, die immer einer Meinung sind mit der Frau.“
Grün-Blau auf anderer Ebene
Geht es um das Verhältnis der Grünen und der FPÖ auf Landesebene, schlägt der Landtagsabgeordnete Blum auch einmal weniger versöhnliche Töne an: „Die Grünen waren zehn Jahre in der Landesregierung. Sie haben den Stadttunnel mitgetragen und jetzt fällt auf jeder Sitzung zehnmal, man müsse den Stadttunnel streichen.“ Doch er relativiert auch: „In der Opposition ist es etwas anderes, da hätten wir wahrscheinlich auch andere Themen.“ Auf Landes- und Bundesebene sei es aufgrund der größeren Medienpräsenz eben anders. „Als die Freiheitlichen und die Grünen gemeinsam in der Opposition waren, gab es sehr wohl auch gemeinsame Anträge. Und es gibt ja auch im Landtag oder im Nationalrat einstimmige Beschlüsse.“

„Wir wollen eine neue Anbindung für das Gewerbegebiet Nordost bauen, eine Umlegung machen und dort neue Grundstücke erschließen, um Betriebe ansiedeln zu können. Bei diesem Projekt sind Robert und ich uns einig“, gibt Übelhör Einblick, was in der neuen Legislaturperiode – neben Zentrumsentwicklung, Kinderbetreuung und einem kritischen Blick auf das Budget – geplant ist. Während sich Kickl, Kogler und Co. im fernen Wien also weiter parlamentarische Schlammschlachten liefern, wird in Höchst pragmatisch gearbeitet.