Ein Fußballer in der Krise – kurz vor WM-Start

Er ist einer der großen Idole im deutschen Fußball: Joshua Kimmich. Auch bei der WM 2022 in Katar wird der Bayern-Profi wieder ins National-Trikot schlüpfen.
Er ist erst 26 Jahre alt, und doch hat man das Gefühl, er ist schon einer der alten Hasen im DFB-Kader: Joshua Kimmich. Seit 2016, also seit bereits sechs Jahren, spielt er für die A-Nationalmannschaft des Deutschen Fußball-Bundes. Und auch beim FC Bayern ist der geborene Rottweiler bereits eine gefühlte Ewigkeit: seit der Saison 2015/16.
Im Sommer 2016 gab Kimmich sein großes Debüt bei der Europameisterschaft in Frankreich. Und genauso schnell, wie er von seiner Kadernominierung in den A-Kader gelangte, erspielte sich der Außenverteidiger einen Stammplatz im Team für die EM 2016.
Bayern- oder Kimmich-Krise?
Durchsetzungswille fallen auf – nicht nur den Fans und Trainern, sondern auch den Offiziellen, die die großen Preise im Fußball vergeben. Von der UEFA wurde der 26-Jährige als „Abwehrspieler des Jahres“ ausgezeichnet. Auf dieser Welle der Euphorie kann Kimmich allerdings derzeit nicht surfen. Während der FC Bayern in der tiefen Krise steckt und nicht das liefert, was man erwartet, wächst auch die Kritik am Defensivspieler Joshua Kimmich. „Er hat sich in den letzten Jahren ein Standing erspielt, da haben wir alle gesagt: Weltklasse, überragend. Schon in der vergangenen Saison ist mir aber aufgefallen, dass er nicht mehr die Disziplin hat, auf seiner Position zu spielen“, meint Ex-Bayern-Star Markus Babbel bei „Sky“. Er turne überall herum, nur nicht da, wo er spielen müsse, so Babbel. Auch Ex-Nationalspieler Sami Khedira ist der Meinung, es wäre wichtig, dass Kimmich aus Sicht der Mannschaft „ein Anker ist“.
Die letzte große Schlagzeile der vergangenen Zeit landete sicherlich die Redaktion von „ran“. Den deutschen Kollegen zufolge soll Kimmich sich „relativ deutlich“ darüber beschwert haben, dass er nach dem 0:1-Rückstand gegen Augsburg ab der 62. Minute die Rechtsverteidiger-Rolle einnehmen musste.
Mit Erfolg. Nur 16 Minuten später brachte Nagelsmann einen Rechtsverteidiger, sodass Kimmich wieder ins Mittelfeld aufrücken durfte. Es scheint also, als habe der Fußballer seinen Trainer unter Kontrolle und trotz miserabler Leistungen weitgehend freie Hand.
Kimmich braucht klare Ansagen
Auch beim DFB musste Kimmich zuletzt eine Formkrise eingestehen. Der Spieler, der eigentlich dafür bekannt ist, Mitspielern nach Trainingseinheiten Verbesserungsvorschläge per WhatsApp zu schicken, könnte selbige offenbar nun selbst gut gebrauchen.
Die Fußballkritiker des Landes sind sich einig: Damit Kimmich zu alter Form zurück findet, braucht er die Unterstützung des Bundestrainers Hansi Flick. Er muss definieren, welche Rolle der Fußballer bei der Weltmeisterschaft einnehmen wird. Muss er defensiver auftreten? Oder soll er die Freiheiten bekommen, für die er gerade so hart in die Mangel genommen wird?
Fest steht: Wenn Kimmich offensiv agieren soll, muss sein Partner auf der Sechs defensiv stark genug sein, um eventuelle Fehler auszumerzen. Eine Option für diese Position wäre der verletzungsgeplagte Leon Goretzka. Eine große Baustelle, die der Bundestrainer bis zum WM-Start zu lösen hat.
Soziales Engagement
Auch abseits des Fußballplatzes sind Goretzka und Kimmich ein starkes Team: Mit ihrer Kampagne #WeKickCorona möchten die Profis karitative Vereine und soziale Einrichtungen unterstützen, die „auf unkomplizierte Hilfe angewiesen sind“. Doch so ehrenhaft sein Engagement auch ist, in der vergangenen Zeit fiel Kimmich nicht nur positiv auf: Im Zusammenhang mit der Coronaimpfung wurde er Ziel einer groß angelegten gesellschaftlichen Debatte über das Thema. Damals hatte er Bedenken geäußert, der Impfstoff könnte noch nicht ausgereift sein. Daher wollte sich der Profispieler nicht piksen lassen. Kurze Zeit später erkrankte er dann an Corona, bevor er im Dezember 2021 ankündigte sich impfen zu lassen.
„Es war für mich einfach schwierig, mit meinen Ängsten und Bedenken umzugehen. Deshalb war ich auch so lange unentschlossen“, so der Bayern-Spieler. Außerdem ist er der Meinung, die Diskussion um seine Person sei in diesem Kontext „völlig überzogen und teils gar gefährlich“ gewesen.
Der Fußballer ganz privat
Mittlerweile, bald ein Jahr später, ist das Coronathema im Fußball zur Nebensache geworden. Statt Kritik an privaten Entscheidungen standen 2022 daher eher die guten Nachrichten im Vordergrund der Berichterstattung: Kimmich ist zum dritten Mal Vater geworden und hat seine Freundin Lina Meyer geheiratet. Das Familienleben erfüllt den Sportler ganz offensichtlich: „Ein Kind gibt dem Leben einen ganz anderen Inhalt, eine ganz neue Aufgabe ist da“, sagte er gegenüber der „Abendzeitung“ in München. Sein ältestes Kind wird bald vier Jahre alt. Nicht mehr weit vom Vorschulalter entfernt. Kimmich dürfte damit seinem heimlichen Berufswunsch so nahe kommen wie lange nicht: Im FC-Bayern-Youtube-Kanal verrät er, er hätte gerne Lehramt studiert. Das war aber als Fernstudium nicht möglich. Sein Know-how weiterzugeben liegt ihm aber ganz offensichtlich am Herzen. Eine Eigenschaft, die mit Sicherheit seine Position in der DFB-Elf rechtfertigt.
“Zu spät für Boykott”
Jetzt steht die WM vor der Tür. Und der blickt Kimmich positiv gegenüber: „Auf eine WM hat man extreme Lust.“ Trotzdem weiß er natürlich um die Kritik im Hinblick auf die Vergabe an Katar. Doch auch dazu hat er eine klare Meinung: „Es ist schwierig, sich nach der Vergabe mit den Voraussetzungen auseinanderzusetzen. Das wusste man, bevor die WM vergeben wurde. Für einen Boykott sind wir zwölf Jahre zu spät dran.“