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„Im Herzen bin und bleibe ich Montafoner“

07.04.2024 • 13:52 Uhr
„Im Herzen bin und bleibe ich Montafoner“
Das ist die Welt von Ski-Freeride-Weltmeister Max Hitzig aus St. Gallenkrich: Ungesichertes Gelände, viel Schnee, die Berge. Montafon Tourismus (2)

Max Hitzig, 21-jähriger Montafoner mit deutschem Pass, wurde im März Ski-Freeride-Weltmeister. Im Sport-Talk spricht Hitzig über seinen WM-Titel und vieles mehr.

Wenn man als WM-Führender in den letzten Saisonbewerb geht und weiß, dass man mitunter mindestens Dritter werden muss, um Weltmeister zu werden – wie geht man dann das Rennen an?
Max Hitzig: Die Situation war schwierig einzuschätzen, denn es war gar nicht sicher, ob ich überhaupt noch Punkte für den WM-Titel brauche. Mein einziger WM-Konkurrent Marcus Goguen, der beim Finale unmittelbar vor mir gestartet ist, musste das Rennen gewinnen, um überhaupt noch eine Chance zu haben. Er hat dann tatsächlich die Führung übernommen, und somit war klar, dass ich einen starken Run brauche und, wie Sie es richtig sagen, mindestens Dritter werden musste.

Als Athlet bereitet man sich ja immer auf das schwierigste Szenario vor, um dann beim Wettkampf nicht überrascht zu werden. Sie haben sich also sicherlich darauf eingestellt, dass Sie beim Finale in Verbier liefern müssen?
Hitzig: Das ist natürlich richtig. Ich habe mich so vorbereitet, dass ich was zeigen muss. Die Situation am Start war so, dass ich mitbekommen habe: Goguen führt. Ich war zwar darauf eingestellt, dass es so kommt, aber der Druck am Start war dann schon enorm. Du weißt, du darfst nicht stürzen, was aber im Freeride schnell passiert ist. Erstaunlicherweise bin ich mit dem Druck echt gut umgegangen, ich bin fast ein bisschen verwundert über mich, wie cool ich agiert habe. Ich sagte mir: Du musst das jetzt einmal noch runterbringen, ohne zu stürzen, das hat die ganze Saison geklappt, es gibt keinen Grund, warum das jetzt nicht wieder klappen sollte. Im Nachhinein muss ich sagen, war dieses Szenario, dass ich es ­runterbringen musste, das passende Finale einer genialen Saison.


Haben Sie für Ihren Lauf ein Sicherheitsprogramm gewählt oder sich gesagt: Ich vertraue auf meine Stärken, ich taktiere nicht?
Hitzig:
Es ist im Detail vorab fast nicht zum Einschätzen, was riskant ist und was nicht. Ich wusste, dass der Hang sehr steil ist, das habe ich natürlich bei der Auswahl meiner Elemente berücksichtigt. Es war ein Balanceakt. Die Aufgabe war, ein Programm zusammenzustellen, mit dem sich die Top Drei auf jeden Fall ausgehen, gleichzeitig musste es ein Programm sein, dass ich unter normalen Umständen sicher ins Ziel bringe. Ich habe echt lange für die Entscheidung gebraucht, wie ich den Run anlege, ich habe mir den Hang in Summe 20 Stunden angeschaut, um die perfekte Linie für mich zu finden und auszuloten, was dem steilen Gelände technisch möglich ist, ohne alles auf eine Karte zu setzen. Es wäre grundsätzlich mehr möglich gewesen, aber es wäre nicht schlau gewesen, ans absolute Limit zu gehen.

SKI-SNOWBOARD-FREERIDE-SUI-VERBIER XTREME
So sieht da aus, wenn Hitzig nicht ans Limit geht. AFP

Das ist jetzt wohl der passende Zeitpunkt, um den Lesern zu erklären, wie genau ein Ski-Freeride-Bewerb abläuft und was Freeriden überhaupt ist.
Hitzig: Beim Freeriden an sich fährt man auf ungesichertem Gelände ins Tal, der Schnee kann dabei mal als Pulverschnee sehr weich sein, oder, was unangenehmer ist, deutlich härter sein. Manche Freerider fahren die Hänge einfach auf Schnee Schwung auf Schwung hinunter, andere, wie ich, springen über Felsen und machen Tricks. Bei Freeride-Bewerben geht es darum, wer auf einem Hang am spektakulärsten hinunterfährt. Es gibt keinen Kurs, kein Zeitlimit und keine Vorgabe, welche Tricks man zeigt, man kann sich seine eigene Linie und sein eigenes Programm zusammenstellen. Man bestimmt den Schwierigkeitsgrad seines Runs also selbst. Den Hang darfst du nicht besichtigen, sondern nur mit einem Fernglas studieren. Beim Freeriden fährst du den Hang genau einmal ab – beim Rennen. Ich habe keinen Trainer, ich entscheide also wirklich alles selbst. Im Ziel bewertet eine Jury dann die Fahrt.

Haben Sie in der Nacht vor dem Saisonfinale gut geschlafen?
Hitzig: Ja, so wie über die gesamte Saison hinweg. Das hat sich gegenüber meiner Premierensaison in der Freeride World Tour im Winter 2022/23 völlig geändert. Damals habe ich in der Nacht vor einem Rennen oft seltsame Träume gehabt und bin sehr oft aufgewacht. In diesem Winter hatte ich nie Probleme und konnte vor jedem Rennen durchschlafen, auch vor dem Saisonfinale.

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Was für ein wilder Ritt von Hitzig beim Saisonfinale in Verbier. AFP

Sind Sie am Finaltag mit dem Gefühl aufgewacht: Das wird mein Tag?
Hitzig: Ich habe mich darauf vorbereitet, vor dem Rennen an nichts zu denken. Ich wollte das Rennen wie jedes andere angehen und mir keinen unnötigen Druck machen. Das ist mir gut gelungen. Ich habe meine übliche Rennroutine umgesetzt, die Vorbereitungen auf meinen Run waren eigentlich relativ entspannt, bis ich dann eben unmittelbar vor meinem Lauf über den Funk der Starter gehört habe, dass Goguen führt. Da bin ich dann wie gesagt kurzzeitig schon sehr nervös geworden.

Hat es Sie geärgert, dass Sie den Funkspruch über die Platzierung von Goguen mitbekommen haben, oder war es Ihnen ganz recht zu wissen, dass Sie gefordert sind?
Hitzig: Auch darüber habe ich mir vorher Gedanken gemacht. Ich habe zwei Tage lang überlegt, ob ich es hören will oder nicht. Ich habe mich dann so entschieden, dass ich den Startern nicht sage, dass sie den Funk ausschalten sollen oder weiter weg gehen sollen. Ich habe mir gesagt, dass ich es auf den Zufall ankommen lasse: Wenn ich den Zwischenstand nicht höre, genieße ich den Lauf, wenn ich es höre und liefern muss, dann weiß ich, was Sache ist. Ich habe es gehört, ich war gefordert – und nach dem Nervenkitzel vor dem Start hatte ich dann beim Run selbst einen ruhigen Puls. Ich hatte wirklich alles im Griff, bis ich meinen letzten Sprung absolviert hatte und nur noch die 200, 300 Meter ins Ziel fahren musste. In diesen Sekunden ist mein Puls so hochgeschnellt wie noch nie in meinem ganzen Leben. Der Puls wurde immer noch schneller. Ich hatte alle Schwierigkeiten hinter mir, jetzt war da plötzlich die große Unsicherheit, ob es gereicht hat. Ich war mir offen gestanden überhaupt nicht sicher. Als ich dann im Ziel war, sind gleich zwei Fahrer auf mich zugesprungen und meinten, dass es sich ganz sicher ausgehen würde, ich hätte eine coole Fahrt gezeigt. Aber man weiß nie, wie die Jury entscheidet. War das ein Nervenkitzel, ich musste im Ziel fünfeinhalb Minuten warten, bis ich das Ergebnis hatte! Mir kamen die paar Minuten wie eine Ewigkeit vor, bis ich dann endlich wusste, dass ich Zweiter war. Es ist einfach gewaltig, dass ich Weltmeister geworden bin.

„Im Herzen bin und bleibe ich Montafoner“
Hitzig mit dem WM-Pokal. AFP

Was ändert sich mit Ihrem Weltmeistertitel – Red-Bull-Athlet sind Sie ja bereits seit einem Jahr?
Hitzig: Das ist richtig, bei Red Bull bin ich schon, mal schauen, wie es da weitergeht. Ansonsten hat das Medieninteresse sehr stark zugenommen, aber abgesehen davon bin ich immer noch der Max aus St. Gallenkirch.

Was das ideale Stichwort für die Abschlussfrage ist: Sie sind in Vorarlberg geboren, leben in St. Gallenkirch, sprechen urtypischen Montafoner Dialekt, Ihr Vater ist Vorarlberger, Ihre Mutter Deutsche – Sie haben aber einen deutschen Pass und starten für Deutschland. Fühlen Sie sich als Deutscher mit Montafoner Wurzeln oder als Montafoner mit deutschem Pass?
Hitzig: Ich bin Montafoner mit deutschem Pass – daran gibt es emotional gesehen keinen Zweifel. Auf dem Papier bin ich Deutscher, weil ich nur einen deutschen Pass habe, darum starte ich auch für Deutschland. Es ist aber nicht so, dass mich das stört, ich mache mir da eigentlich überhaupt keine Gedanken darüber, weil das ja nur eine Formalität ist. Im Herzen bin und bleibe ich Montafoner.