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Eine Powerfrau erfindet sich neu

21.04.2024 • 14:13 Uhr
Eine Powerfrau erfindet sich neu
Ariane Rädler hat im vergangenen Winter einen großen Schritt gemacht und will in der kommenden Saison weitere Ketten sprengen. Klaus Hartinger

Hinter der Skiweltcup-Läuferin Ariane Rädler aus Möggers liegt der beste Winter ihrer Karriere. Die leidgeprüfte Kämpferin steht vor einem wohlverdienten Wendepunkt.

Zwischen den Jahren werden jene wenigen Tage zwischen dem Stefanitag und dem Neujahrstag genannt. Denn diese zumeist sehr stille Zeit ist ein Übergang. Sie steht für ein Loslassen des Alten und ein Sich-Bereit-Machen für das Neue. Ariane Rädler befindet sich gerade an einem solchen Schnittpunkt. Die Saison 2023/24 mit all ihren Nachklängen wie den österreichischen Meisterschaften und den Materialtests liegt seit einigen Tagen hinter der 29-Jährigen, in zwei Wochen beginnt für die Skirennläuferin die Vorbereitung auf die neue Saison.
In dieser kurzen Zeitspanne ist Rädler wirklich privat, zum Gespräch mit der NEUE erscheint die Leiblachtalerin im schnittigen VW Tiguan vom Autohaus Malang und im modischen Freizeitlook. Treffpunkt ist das Seehotel am Kaiserstrand in Lochau. Der Himmel ist wolkenverhangen, die Temperaturen gerade noch angenehm, zwischendurch blinzelt die Sonne durch die Wolkendecke. Beim Spaziergang am Seeufer erzählt Rädler, dass sie in dieser kurzen Zeit zwischen den Saisonen so ein bisschen in den Tag hineinlebt. Zeit mit der Familie verbringen, abends mal nicht auf die Uhr schauen müssen – nur das mit dem Morgens-etwas-länger schlafen hat sich bislang noch nicht so recht ergeben, „denn irgendwas gibt es ja immer zu erledigen“, sagt die 29-Jährige lachend.

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Rädler beim entspannten Spaziergang am Bodensee. Klaus Hartinger

Verletzungspech

Rädler ist eine Powerfrau. Die Wintersportlerin musste in ihrer Karriere schon oft stark sein. Vier Mal hat sie sich allein das Kreuzband gerissen, aufgegeben hat sie nie. Die Head-Läuferin hat immer an sich geglaubt, hat immer darauf vertraut, dass, wenn sie endlich mal über einen längeren Zeitraum verletzungsfrei bleibt, ihr nachhaltig der Schritt in die absolute Weltspitze gelingt. Im zurückliegenden Winter ist ihr dieser große Schritt gelungen. Acht Mal hat es Rädler in der vergangenen Weltcup-Saison unter die Top Ten geschafft, beim Super-G in Zauchensee fehlten ihr weniger als drei Zehntel aufs Podest und keine halbe Sekunde auf den Sieg. „Ich weiß, dass noch mehr möglich ist“, sagt die Speed-Läuferin, während der Wind mit ihrem Haar spielt. Nach einem Moment des In-sich-Gehens fügt sie an: „Aber es gibt Momente, in denen es nicht klug ist, das letzte Risiko zu gehen.“
Bei einem Kaffee auf der Terrasse des Seehotels erzählt Rädler dann, wie wichtig der Winter 2023/24 für sie war. „Ich gehe auf die 30 zu. Für mich war vor der jetzt abgelaufenen Saison klar, dass ich an dem Punkt angekommen bin, an dem die Sache aufgeht oder nicht.“ Rädler hat es 2021, und damit im Comeback-Winter nach ihrem vierten Kreuzbandriss, zur WM nach Cortina geschafft.
Ein Jahr später war sie bei den Olympischen Spielen in Peking dabei. In diesen beiden Wintern hat sie es im Weltcup zwei Mal in die Top Fünf gebracht, im Jänner 2022 fuhr sie in Zauchensee als Dritte erstmals in ihrer Karriere im Weltcup aufs Podest. 17 Hundertstel fehlten ihr damals auf den Sieg. Ihr Karrierehoch wurde im Dezember 2022 jedoch von einer Wadenbeinverletzung eingebremst, sie kam zwar zum Saisonausklang zurück, doch letztendlich war der Winter 2022/23 eine mehr oder minder verlorene Saison für sie.

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Rädler analysiert ihre Situation auf den Punkt genau. Klaus Hartinger

Schneekurs in Chile

Deshalb also ging Rädler mit dem Bewusstsein in die Saison 2023/24, dass ein entscheidender Winter vor ihr lag. Die Vorbereitung auf den so wichtigen Winter startete Rädler im Mai 2023 mit viel Optimismus – die drahtige Athletin aus Möggers war nach der überstandenen Wadenbein-Verletzung körperlich in sehr guter Verfassung und musste nicht, wie so oft, im Sommer noch ein Reha-Programm absolvieren.
Beim Trainingslager in Chile konnte Rädler vier Wochen lang gut auf Schnee trainieren. Die Bedingungen waren schwierig – und just diese schwierigen Bedingungen sollten zu einem Faktor für ihren erfolgreichen Winter werden. Aufgrund der wechselhaften Schnee- und Windverhältnissen blieb dem ÖSV-Damen-Speedteam nämlich oft nur das Trainieren auf Gleitpassagen. Das war zwar manchmal öde, aber Rädler konnte so an ihren Gleitqualitäten arbeiten. „Das war das Beste, was mir passieren konnte“, blickt die 29-Jährige mit einem verschmitzten Lächeln zurück.

ABD0096_20240320 – SAALBACH – …STERREICH: Ariane Raedler (AUT) wŠhrend des 1. Trainings fŸr die Abfahrt der Frauen, im Rahmen des Ski-Weltcup Finales am Mittwoch, 20. MŠrz 2024, in Saalbach-Hinterglemm. – FOTO: APA/EXPA/JOHANN GRODER
In der Abfahrt hat Ariane Rädler einen großen Leistungssprung gemacht. APA

Neue Tatsachen

Rädler fand auf den vielen Gleitkilometern in den Anden plötzlich eine andere Hockeposition. „Die neue Position hat sich viel natürlicher angefühlt.“ Und so verlor Rädler auf Mirjam Puchner und Christina Ager, die zu den besten Gleiterinnen im Weltcup zählen, im Training plötzlich nur mehr drei Zehntel statt wie davor knapp eine Sekunde. Diese Leistungsexplosion schaffte neue Tatsachen. Denn dadurch wurde die Abfahrt zur zweiten starken Disziplin für die Super-G-Spezialistin, während die Abfahrt davor eher nur so ein bisschen nebenher lief bei der Leiblachtalerin. In der Saison 2023/24 war alles anders. Im Laufe des Winters entpuppte sich die Abfahrt nämlich völlig unvermittelt als ihre stärkere Disziplin.
Ein besonderes Aha-Erlebnis war dabei die Abfahrt in Val d’Isere Mitte Dezember, als Rädler auf der Gleiterstrecke Siebte wurde und just die so starke Gleiterin Puchner hinter sich ließ. Tags darauf, und auch das war ein Aha-Erlebnis, fuhr sie im Super-G unter Anführungszeichen „nur“ auf Platz 16.
„Das Rennen hat mir aufgezeigt, dass ich zu viel riskiert habe. Denn mein großes Saisonziel war, dass ich meine Startnummer verbessere.“ Was den Kreis schließt, warum Rädler im zurückliegenden Winter trotz starker Form und trotz konstant starker Ergebnisse das allerletzte Risiko scheute. „Ich wäre natürlich gerne aufs Podest gefahren, in Zauchensee bin ich nach einem sechsten und siebten Platz am Sonntag dann noch mehr auf Angriff gefahren, habe dabei aber den Bogen überspannt. Was mich hinterher geärgert hat, denn mit einer etwas dosierteren Fahrt hätte ich wieder unter die Top Ten kommen können.“
Stattdessen verpasste sie nach einem Fehler sogar die Punkte­ränge. Als sich zwei Wochen später auch in Cortina ihre Angriffslust nicht auszahlte, drosselte sie ihren Ehrgeiz um einen Hauch und fuhr danach sechs Mal in die Top Zwölf. Die Taktik machte sich bezahlt. Rädler qualifizierte sich in den Speed-Disziplinen für das Weltcup-Finale in Saalbach und machte im Verlauf des Winters mehr als nur den erhofften Sprung in der Startliste: Während sie bei der ersten Saisonabfahrt in St. Moritz noch mit der Startnummer 27 ins Rennen ging, hatte sie in Saalbach Nummer sieben. Was für eine Entwicklung. Rädler beendete die Saison in der Abfahrtswertung auf Rang 11 und im Super-G auf Rang 15. Im Gesamtweltcup fuhr sie auf Platz 28.

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Eine beeindruckende Momentaufnahme von Rädler in Crans-Montana. AFP

Perspektiven

Dass Rädler nun in zwei Disziplinen in die Weltspitze vorgedrungen ist, eröffnet der Vorarlbergerin völlig neue Perspektiven, und es erhöht auch den Spaßfaktor bei ihr. Und trotzdem hätte sich die 29-Jährige gefreut, wenn sie in ihrer eigentlichen Spezialdisziplin, dem Super-G, einen noch größeren Schritt nach vorne gemacht hätte. Platz 15 in der Super-G-Wertung war zwar ihr bestes Endresultat in dieser Disziplinen-Wertung, aber keine so fulminante Entwicklung wie in der Abfahrt. Der Grund dafür ist justament auch beim Schneekurs in Chile zu suchen. Denn dadurch, dass im vergangenen Sommer ob der Witterungsbedingungen in den Anden oft nur Gleittraining möglich war, blieb nur wenig Möglichkeit, Super-G zu trainieren. Im Leben hängt eben immer alles zusammen.
„Für einen Podestplatz und erst recht einen Sieg muss alles zusammenpassen“, weiß die Head-Läuferin und hält plötzlich einen Moment inne. Nach einem Blick, der ins Leere geht, löst Rädler die Situation auf: „Ich habe in meiner Karriere so viele Rückschläge ertragen müssen. Es war manchmal wirklich hart. Dass ich jetzt hier sitze und ernsthaft darüber sprechen kann, dass ich im Weltcup um Siege mitfahren kann, und das auch laut ausspreche, ist ein spezieller Moment für mich.“ Über Rädlers Gesicht ­huscht ein Lächeln, ihre Augen, in denen man Momente zuvor noch Sentimentalität ablesen konnte, leuchten nun regelrecht. Voller Tatendrang erzählt sie: „Das Bild, wie Conny Hütter beim Saisonfinale in Saalbach die Abfahrtskugel überreicht bekam, hat sich bei mir ein bisschen eingebrannt. Conny hat in ihrer Karriere auch vieles durchmachen müssen, sie war so oft verletzt, aber sie hat immer wieder die Kraft gefunden, weiterzumachen. Auch das macht mir Mut. Verletzungen werfen einen zurück, aber es ist trotzdem möglich, den Weg nach ganz oben zu schaffen.“
Fast ein wenig makaber ist, dass sich Rädler vor wenigen Tagen bei den österreichischen Meisterschaften eine Innenbandverletzung im linken Knie zuzog, doch die lächelt die Heeressportlerin weg. „Für andere wäre das eine schwere Verletzung, mich beschäftigt das fast gar nicht. Davon lasse ich mich nicht aufhalten.“ Rädler ist eben eine Powerfrau.

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Rädler lässt sich von Rückschlägen nicht aus der Ruhe bringen. Klaus Hartinger

Auf nach Saalbach

Der kommende Winter ist ein WM-Winter. Nicht irgendeiner Weltmeisterschaft. Sondern einer Heim-WM. Die Titelkämpfe finden in Saalbach statt. Rädler will bei der WM unbedingt dabei sein, was dann dort für sie möglich wäre, lässt sich freilich nicht abschätzen. Die Konkurrenz ist stark, aber Rädler will es nun vollends wissen. „In den vergangenen Jahren musste ich vor jeder Saison Basisarbeit leisten und eigentlich immer einen Rückstand aufholen, jetzt kann ich mich auf die Feinheiten konzentrieren.“ Kraft gibt ihr auch ihr stabiles Umfeld, zu dem seit Neuestem auch Charly Dorner, der Manager von Johannes Strolz, gehört. Auch diese Veränderung passt zur aktuellen Zeitqualität von Ariane Rädler.
Die Leiblachtalerin ist nämlich jetzt in der kurzen Phase zwischen den Saisonen dabei, das Alte loszulassen und sich bereit für das Neue zu machen, was dem Charakter der letzten Tage eines Jahres entspricht. Rädler kann bei diesem Übergang nicht nur den Vorwinter loslassen. Sondern auch ihre alte Rolle der verletzungsgeplagten Comebackerin, die ihren Weg zurückfinden muss. Rädlers neue Rolle im Weltcup ist die der Weltklasseläuferin, die alle Rückschläge überwunden hat und für die nun alles möglich ist. Manchmal ist das Leben eben doch gerecht.