„Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht“

Der Bregenzer Lukas Mähr erzählt im exklusiven Sport-Talk, was sich seit seinem Olympiasieg verändert hat.
Was macht das mit Ihnen, wenn Kinder Sie ehrfurchtsvoll anschauen und Menschen von Ihnen ein Autogramm wollen?
Lukas Mähr: Es löst Verwunderung bei mir aus, weil das völlig neue Erfahrungen für mich sind. Ich muss mich daran erst noch gewöhnen. Es ist aber eine Bestätigung dafür, dass es sich lohnt, einen mutigen Weg zu gehen – selbst, wenn man nicht unbedingt weiß, ob man sein Ziel erreicht. Das ist etwas, was ich den Menschen mitgeben möchte: Glaubt an euren Traum, gebt nicht auf, verfolgt eure Ziele! Im Leben ist, zumindest in unseren Breitengraden, vieles, wenn nicht sogar alles möglich. Wenn ich es geschafft habe, dann könnt ihr das auch.
Hatten Sie als Kind einen Lieblingsstar, von dem Sie sich vielleicht sogar ein Autogramm holten?
Mähr: (lächelt) Es gibt da diese Geschichte, wie Roman Hagara und Hans-Peter Steinacher 2001 in Friedrichshafen waren. Die beiden haben Autogrammkarten verteilt, und ich habe mir auch eine geholt. Ich habe heute noch vor Augen, wie die Karte ausgesehen hat: Ihr großer Tornado, die Goldmedaille und die olympischen Ringe waren abgebildet. Ich weiß noch, wie mich das als Elfjähriger extrem fasziniert hat – diese Karte war eine Inspiration für mich, ich wollte es danach unbedingt zu den Olympischen Spielen schaffen. Ohne auch nur die geringste Vorstellung davon zu haben, was das genau bedeutet. Zum Glück nicht. Ich sage immer: Es ist gut, dass es vieles gibt, von dem man nicht weiß, was es mit sich bringt. Wenn ich mir vorstelle, dass ich vor Marseille gewusst hätte, was ein Olympiasieg auslöst. Das hätte mich wohl zutiefst beeindruckt und beeinflusst.

Behandeln die Menschen Sie jetzt, da Sie Olympiasieger sind, anders als früher?
Mähr: Ja. Mir wird eine ganz andere Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn ich vor einem Monat eine Aussage getroffen habe, dann wurde davon nur in einem begrenzten Umfeld Notiz genommen. Wenn ich heute etwas sage, dann ist es die Meinung eines Goldmedaillengewinners und damit in den Augen sehr vieler eine Meinung von jemandem, der es im Leben geschafft hat. Der Unterschied zwischen vor den Spielen und nach den Spielen ist wie Tag und Nacht. Dieser Stellenwert, den ich durch meinen Olympiasieg bekommen habe, macht mich ehrfürchtig – und dankbar. Am meisten überrascht mich vielleicht eine ganz simple Erkenntnis: Der Olympiasieg verändert einen selbst nicht, ich bin noch derselbe wie davor, was sich verändert, sind die Reaktionen der anderen auf mich.
Ist Ihnen schon bewusst geworden, dass dieser Olympiasieg Ihr ganzes restliches Leben verändert – Sie bleiben Olympiasieger bis zur Bahre, was freilich Ihre Perspektiven und Möglichkeiten ändert.
Mähr: Das ist mir bewusst. Ich habe als Athlet vieles in meinem Leben hinten angestellt, im Privatleben, aber auch was die Ausbildung betrifft. Man verpasst als junger Mensch und dann auch als junger Familienvater Momente, die nie mehr wiederkommen, zögert seine Ausbildung hinaus. Alles für eine ungewisse Athletenzukunft. Das ist es, was ich zu Beginn meinte: Ich habe Opfer gebracht, ohne jede Gewissheit darüber, wohin das alles führt. Als Olympiasieger werden sich nun Möglichkeiten für mein späteres Berufsleben auftun, die ich ohne meine Goldmedaille nicht bekommen hätte. Darüber bin ich sehr froh. Das Schönste ist aber, und ich komme immer wieder darauf zurück, dass mir mein Olympiasieg die Möglichkeit gibt, andere Menschen zu inspirieren. Das ist gerade mit Blick auf die Jugend so wertvoll. Ob ich ein Vorbild bin, müssen andere beurteilen. Aber ich hoffe, dass ich mit meiner Geschichte andere ins Tun bringe, sie mitziehen kann.

Welche Bilder steigen in Ihnen vom Olympiasieg auf?
Mähr: Das sind vor allem die Augenblicke bei der Siegerehrung. Für mich sind das die emotionalsten Erinnerungen. Wenn ich Bilder davon sehe, wie Lara und ich auf dem Podest stehen, wie hinter uns die österreichische Nationalfahne weht, dann höre ich innerlich wieder die Hymne spielen. Ich weiß noch genau, wie es sich angefühlt hat bei der Siegerehrung, die Goldmedaille um den Hals zu tragen. Das waren so berührende Momente, die immer wieder hochkommen. Dann laufen diese Momente wie ein Film in mir ab. Aber auch die Empfänge in Bregenz und Wolfurt waren sehr emotional. Weil ich dabei Menschen getroffen habe, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Wie meine Wegbegleiter vom Yachtclub Bregenz, die mich seit Jahrzehnten kennen. Diese Menschen sind mir über so viele Jahre zur Seite gestanden, ohne mich oder ihre Unterstützung zu hinterfragen. Sie haben an mich geglaubt. Diese Mitstreiter in dieser Konstellation wiederzusehen ist schon richtig geil, wenn ich das so sagen darf.
Wie eng ist eigentlich Ihr Kontakt mit Lara Vadlau im Moment? Abgesehen von den vielen gemeinsamen Empfängen versteht sich.
Mähr: Wir sind nach wie vor täglich in Kontakt. Vor den Spielen haben wir die segelspezifischen Fragen und Termine koordiniert, jetzt koordinieren wir die Empfänge, Events und Interviews.

Wie gehen Sie mit den vielen Medienanfragen um, was macht das mit Ihnen als Mensch, so im Mittepunkt zu stehen?
Mähr: Es werden im Moment sehr viele Medienanfragen an mich gerichtet, ich nehme mir die Zeit aber sehr gerne. Auch, weil ich an der Reihe bin, etwas zurückzugeben. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass der österreichische Segelsport in den vergangenen 25 Jahren konstant Medaillengewinner bei Olympischen Spielen hervorgebracht hat. Ich will aufzeigen, was unser Sport bewirken kann. Und ich will mit meiner Präsenz auch ein Stück weit dabei mithelfen, dass der österreichische Segelverband auch in Zukunft die Kraft hat, neue Medaillengewinner zu entwickeln – was nur bei einer entsprechenden Förderung möglich ist. Wenn wir über Medienanfragen sprechen, dann müssen wir aber auch unbedingt über meine Beitragsserie „Road to Marseille“ in der NEUE reden. Das ist mir ein großes Anliegen.

Das ist die nächste Frage. Mit der „Road to Marseille“ haben Sie über fast ein Jahr hinweg in der NEUE am Sonntag ein mediales Etappenbuch über Ihren Weg nach Marseille geführt. Jetzt können Sie auf eine veröffentlichte Dokumentation zurückblicken, die Ihre Stationen zum Olympiasieg aufzeigt. Das ist schon sehr speziell?
Mähr: Im Rahmen dieser Beitragsserie sind viele lässige Geschichten entstanden, auf die ich sehr oft angesprochen wurde. Es macht mich stolz, dass Sie und ich diesen Weg gemeinsam in der NEUE gegangen sind – und zwar vor dem großen Olympia-Erfolg. Das ist ein riesiger Unterschied. Sie gehören zu den Menschen, die an mich geglaubt haben. Dass jetzt sehr viele Medienvertreter mit mir sprechen wollen, ist ein Stück weit normal und natürlich legitim, ich weiß jede Anfrage zu schätzen. Aber meine „Road to Marseille“ in der NEUE ist ein Bestandteil meiner Geschichte, dass alles so aufgegangen ist, ist wie ein Sommermärchen. Besonders gefallen an der „Road to Marseille“ haben mir zwei Aspekte: Dass ich weitläufigere Gedanken fassen konnte, und dass ich schonungslos die Wirklichkeit aufzeigen konnte. Ich durfte schildern, wie es ist, sich auf Olympia vorzubereiten und dafür immer wieder die Familie zurückzulassen: Um zu trainieren, wie ein völlig Verrückter an den kleinsten Details zu arbeiten, weil Lara und ich nie zufrieden waren. Das alles in einer fast schon brutalen Ehrlichkeit mit der Öffentlichkeit zu teilen und jetzt selbst nachlesen zu können, ist megacool. Was mich wieder zu dieser Vorbildfunktion führt.
Inwiefern?
Mähr: Ich will auch klarmachen, dass mit Talent nicht nur die Begabung gemeint ist, sondern dass zum Talent-Sein auch der Wille zur harten Arbeit gehört. Talent ohne Fleiß, Zähigkeit, Konsequenz, Durchhaltevermögen ist kaum etwas wert. Es ist darum so wichtig, dass die Fähigkeit, hart für ein Ziel zu arbeiten, auch als Talent verstanden wird.

Sozusagen das Talent, über sich hinauswachsen zu wollen?
Mähr: Mir gefällt der Ansatz des amerikanischen Seglers Morgan Reeser so gut. Er sagt: „Outwork the others“, was nichts anderes heißt als: die anderen im Arbeiten übertreffen. Dieser demütige Ansatz entspricht mir. Die Magie, das sportliche Talent hat nur einen kleinen Anteil am Erfolg. Den großen Unterschied macht der Wille zur harten Arbeit aus. Nicht nur im Sport, sondern in jedem Lebensbereich. Wer weiterkommen will, wer Erfolg haben will, muss hart arbeiten. Ein Leben lang.
Wie gut hat es Ihnen nach dem ersten Trubel getan, im Kreis Ihrer Familie zur Ruhe zu kommen?
Mähr: Das war super wichtig. Für mich und vor allem für meine Kinder und den engsten Familienkreis. Natürlich haben sich alle in meiner Familie so sehr über meinen Erfolg gefreut. Gleichzeitig waren auch alle froh, dass Olympia vorbei war. Die sehr intensive Vorbereitungszeit auf die Spiele war sehr belastend für die Familie. Weil ich speziell in den letzten drei Monaten vor den Spielen fast nie mehr zu Hause war. Und wenn ich zu Hause war, dann waren meine Gedanken in Marseille. Diese harte Arbeit vor Ort in Marseille war aber unser Pluspunkt bei den Spielen. Wir haben während der Vorbereitung alles reingeworfen, haben konsequent, geradezu kompromisslos trainiert und getüftelt. Als die Olympia-Regatta begann, kannten wir die olympische Bucht mit all ihren Eigenheiten in- und auswendig. Jetzt ist es vor allem für die Kinder wichtig, dass sie wieder in eine Routine und einen Alltagsrhythmus reinkommen. Ich bin meiner Familie und vor allem meiner Frau so dankbar, Christine hat alles mitgetragen.
Welcher Vorarlberger Olympiasieger ist Ihnen emotional am nächsten?
Mähr: Auch das ist eine Frage, die mir in all den Interviews der vergangenen Wochen noch nie gestellt wurde. (überlegt) Wenn ich so darüber nachdenke, dann identifiziere ich mich am meisten mit Hubert Hammerer, der 1960 in Rom bei den Sportschützen Gold gewonnen hat. Ich habe in den vergangenen Tagen so oft seinen Namen gehört, da ich ja der erste Vorarlberger Olympiasieger bei Sommerspielen seit ihm bin. Ich kann mich sehr gut in ihn hineinversetzen. Denn leider hat der Sommersport in Österreich und Vorarlberg nicht den Stellenwert des Wintersports. Ich hoffe, ich kann dazu beitragen, dass sich die Wertigkeit und Wahrnehmung des Sommersports zumindest an den Wintersport annähert. Persönlich kenne ich von den Vorarlberger Olympiasiegern nur Alessandro Hämmerle, „Izzi“ hat mir auch gleich gratuliert.

Alessandro Hämmerle erzählte in einem NEUE-Interview, dass er sich seit seinem Olympiasieg in der Öffentlichkeit teilweise beobachtet fühlt. Weil ihn die Menschen erkennen und sich fragen, wie denn der Goldmedaillengewinner privat so ist. Haben Sie diese Erfahrung auch schon gemacht?
Mähr: Nein, ich bin noch ganz neu in der Liga. (lacht) Aber diese Schilderung passt zu meiner ersten Beobachtung, dass alles, was ich jetzt sage, viel mehr Gewicht und eine viel größere Öffentlichkeit bekommt.
Bleibt noch eine Frage: Setzen Sie Ihre Karriere fort?
Mähr: Ich will auch diese Frage ganz offen beantworten. Lara und ich haben noch viele Termine vor uns. Im September steht beim österreichischen Segelverband ein großes Treffen an, bei dem die Leistungen bei den olympischen Spielen analysiert werden und der Fahrplan für die Spiele 2028 in Los Angeles fixiert wird. Aktuell laufen diesbezüglich gerade die Budget-Verhandlungen. Anhand der Informationen, die uns der Segelverband dann präsentiert, und natürlich anhand privater Entscheidungen, werden wir Mitte September ungefähr wissen, in welche Richtung es sich entwickelt. Doch wir werden keine schnelle Entscheidung treffen. Lara und ich sind uns einig, dass wir in aller Ruhe einen Entschluss fassen.