Sport

„Wir sind doch nicht am Kasernenhof!“

20.04.2025 • 08:00 Uhr
„Wir sind doch nicht am Kasernenhof!“
Werdenigg ordnet die Kritik von Venier und Co. an Roland Assinger ein. APA, GEPA

Sport-Insiderin Nicola Werdenigg ordnet im Exklusiv-Interview die Kritik mehrerer ÖSV-Läuferinnen an Damenchef Roland Assinger ein. Und sagt: Assinger ist kein Einzelfall.

Wie würden Sie aktuell die Lage beim ÖSV auf den Punkt bringen?
Nicola Werdenigg: Der österreichische Skiverband steckt in einem Strukturdilemma. Das zeigt sich indirekt auch ganz aktuell durch den Wechsel an der Spitze des Alpinsektors, wo Christian Mitter jetzt Herbert Mandl als Sportlichen Leiter ablöst. Dieser Wechsel verdeutlicht, dass man grundsätzlich beim ÖSV auf der obersten Etage einen Umstellungsbedarf sieht. Aber das ist eben nur eine Personalrochade. Man wird an den Strukturen etwas verändern müssen, wenn man nachhaltige Verbesserungen erzielen will – und da müsste man bei der Trainerausbildung und dort ganz unten anfangen, moderne Wege zu gehen. Ich höre nämlich von vielen Beteiligten, dass bei der internen Trainerausbildung so wichtige Bereiche wie Pädagogik, Didaktik und Coaching sehr stiefmütterlich behandelt werden, während man bei Materialveränderungen beweist, dass man relativ schnell reagieren kann. Es wird den Trainern kein wertschätzender Umgang mit jungen Menschen beigebracht, die den Sport zu ihrem Lebensinhalt machen. Darüber hinaus ist die Ausbildung nicht sonderlich frauenfreundlich, deshalb absolvieren auch nur sehr wenige Frauen eine Trai­nerausbildung beim ÖSV.

Hinter vorgehaltener Hand wird über fehlende Umgangsformen und kommunikative Missstände bis hinunter zu den Jugendkadern erzählt.
Werdenigg: Es ist wichtig, dass wir die Diskussionen um diese Ebene erweitern. Mein größtes Anliegen ist, dass man die ganz jungen Athleten und Athletinnen schützen muss, die tun sich nämlich noch viel schwerer als die Arrivierten, sich zu Wort zu melden und Missstände aufzuzeigen. Wobei es festzuhalten gilt, dass diese Unzufriedenheiten im Nationalteam nicht erst im April aufgetaucht sind, sondern schon seit fast einem Jahr auf dem Tisch liegen.

In der Öffentlichkeit bricht sehr viel Kritik über Roland Assinger herein – aber er alleine ist es doch nicht.
Werdenigg: Nein, ich tue mir genau deshalb auch wirklich schwer, über Einzelne zu sprechen: Weil dadurch der falsche Eindruck entsteht, dass es sich um Einzelfälle handelt. Dem ist nicht so. In erster Linie sind für mich die Oberen für das Klima im ÖSV verantwortlich, darum hat ja auch ÖSV-Sportdirektor Mario Stecher reagiert und ­Mandl durch Mitter ersetzt. Mandl war als Sportwart Alpin für die Personalbesetzung zuständig. Die Kritik muss immer auf die Entscheidungsträger, die Chefs abzielen, denn die schaffen mit ihren Entscheidungen die Grundlagen für die Entwicklungen. Im positiven Fall werden sie dafür gelobt, im negativen Fall müssen sie sich der Kritik stellen.

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Herbert Mandl ist nicht mehr Sportlicher Leiter beim ÖSV. GEPA

Die Berufung von Christian Mitter als Sportlichen Leiter wird offiziell anders dargestellt, aber was soll das sonst gewesen sein als eine Reaktion auf die öffentlichen Entwicklungen?
Werdenigg: Das ist das, was mir Sorge bereitet, es war wohl eine Reaktion auf die Veröffentlichungen, aber die ursächlichen Strukturprobleme bestehen schon seit 15 Jahren. Österreich hatte über Jahrzehnte das Glück, dass irrsinnig viele junge Leute in den Wintersport gedrängt haben. Peter Schröcksnadel hat daraus, wie es Toni Innauer genannt hat, die Industrialisierung des Erfolgs gemacht. Mit dieser Methode war Schröcksnadel lange sehr erfolgreich, das darf man nicht wegdiskutieren, aber diese Zeiten sind schon lange vorbei. Bei kleinen Verbänden wie Norwegen oder den USA machen sie es uns vor, wie wichtig es ist, die individuelle Betreuung voranzustellen. Auch der ÖSV wird sich dahin entwickeln müssen.

Die Historie im Skisport zeigt, dass die Besten der Besten mehr oder weniger losgelöst von der Kollektiv-Betreuung ihre großen Erfolge feierten. In Österreich wurden und werden alle in ein System gepresst – und bei der Herangehensweise gibt es immer Gewinner und Verlierer. Ein Marc Girardelli zum Beispiel hat sich das nicht bieten lassen.
Werdenigg: Diese Methodik lebte von der immensen Breite an Athleten, da hatte man es gar nicht nötig, auf Einzelne einzugehen. Wenn einer scheiterte, waren zehn andere da. Natürlich kann man die Athleten nicht in jedem Bereich individuell betreuen, aber individuelle Betreuung heißt ja auch, dass man auch in der Gruppe mit dem nötigen Fingerspitzengefühl mit den Befindlichkeiten der Athleten umgeht. Auch Höchstleistungssportler sind Menschen aus Fleisch und Blut und keine Leistungsmaschinen. Es geht im Fußball, dass Trainer bei gewissen Thematiken auf die Spieler individuell eingehen, und es gibt keinen Grund, warum das nicht auch im Skisport möglich sein sollte. Außer vielleicht, dass die Fußballtrainer dahingehend besser ausgebildet sind. Aber das lässt sich ja ändern.

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Stephanie Venier äußerte öffentlich Kritik an Roland Assinger. GEPA

Es braucht sehr viel, bis Läuferinnen öffentlich Stellung zu einem Trainer beziehen. Noch dazu, wenn sie wie Stephanie Venier zumindest noch nicht zurückgetreten sind.
Werdenigg: Der Gang in die Öffentlichkeit, das wissen Sie vermutlich als Journalist auch, ist immer der letzte Schritt. Die Athletinnen haben intern Gespräche gesucht, aber wenn keine Lösungen gesucht werden und der Leidensdruck zu groß wird, dann muss man nach außen gehen. Verlässliche Quellen haben mir zugetragen, dass Roland Assinger den gesamten Betreuerstab regelrecht umgegraben hat: In Summe soll er acht Leute entfernt haben – wir sprechen da von Co-Trainern, Physios und anderen Betreuern.

In der Politik würde man mitunter von einem „Umfärben“ sprechen.
Werdenigg: Sagen wir es so, bei so vielen Veränderungen zeugt das von einer Systematik.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mit der noch aktiven Vorarlbergerin Ariane Rädler und der zurückgetretenen Weltmeisterin Nicole Schmidhofer auch zwei Athletinnen für Assinger Partei ergriffen haben. Schmidhofer meinte, vielleicht könne nicht jede damit umgehen, dass man ihr den Spiegel vorhält. Hat Schmidhofer da nicht einen Punkt?
Werdenigg: Na ja, was heißt Spiegel vorhalten? Jemanden anschreien ist nicht den Spiegel vorhalten. Es geht eben nicht darum, dass sich die Athletinnen nicht auch manchmal einen härteren Umgangston gefallen lassen, das sind alles Hochleistungssportlerinnen, die können mit Kritik schon umgehen, sonst hätten sie es nicht bis in den Weltcup geschafft. Die schenken sich ja selbst nichts, die wissen, dass Hochleistungssport harte Arbeit ist, das sind Getriebene, und sie lassen sich auch treiben. Aber das heißt noch lange nicht, dass man emotional komplett zur Sau gemacht werden darf. Auch bei einem fallweise härteren Ton muss der Umgang immer korrekt und respektvoll bleiben. Die Athletinnen sind keine kleinen Kinder, das sind erwachsene Menschen. Wenn Trainer reihenweise Athletinnen zum Weinen bringen und auch noch der Erfolg ausbleibt, das kommt ja noch dazu, dann kann das doch niemand gutheißen. Ich persönlich bin der Meinung, dass auch Erfolg kein Herumschreien und Kleinmachen legitimiert – aber wenn auch noch der Erfolg fehlt, dann muss doch auch der Letzte einsehen, dass es so nicht weitergehen kann. Darüber dürfen auch ­Einzelerfolge nicht hinwegtäuschen.

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Die Vorarlbergerin Ariane Rädler (r.) hat Partei für Roland Assinger ergriffen. GEPA

Ironischerweise war es bei der WM just Stephanie Venier, die mit ihrem WM-Titel das Momentum verändert und den ÖSV ein Stück weit gerettet hat.
Werdenigg: Und genau zu dieser Goldmedaille gibt es eine vielsagende Geschichte. Venier ist mit Christian Walder liiert, der selbst aus dem Speedbereich kommt und somit vom Fach ist. Er ist während der WM nach Saalbach gekommen, hat mit Stephanie die Strecke studiert, sie auf das Rennen vorbereitet und ihr Tipps gegeben. Das ist im ÖSV-Trainerstab nicht gut angekommen. Anstatt sich zu freuen, dass eine Läuferin alle Register zieht, auf den Punkt gut gecoacht ist und dann auch noch gewinnt, reagiert man beleidigt. Walder ist aus dem Quartier entfernt worden. Wir sind doch nicht im Kasernenhof! Wir schreiben das Jahr 2025, da sollte man Menschen über 30 schon zutrauen, selbst darüber zu entscheiden, wen sie an ihrer Seite haben möchten. Das Herumschreien, das zu keinem Erfolg führt, wird geduldet, eine individuelle Betreuung, die über das normale Coaching hinausgeht und zum Weltmeistertitel führt, hingegen nicht.

Auch Chiara Mair hat schwere Vorwürfe gegen Assinger erhoben, auch Mair sagt, Assinger hätte sie angeschrien. Sie waren selbst Skirennläuferin, sind gut vernetzt: Ist so was Usus beim ÖSV, dass Athleten angeschrien werden?
Werdenigg: Das ist natürlich nicht Usus, die Männer würden sich das nie gefallen lassen. Angeschrien zu werden war auch früher nicht Usus, wenn es doch vorkam, wurde nicht weggeschaut. Es ist jetzt 50 Jahre her, dass wir bei den Frauen einen Trainer hatten, der uns völlig respektlos behandelt hat. Wir Läuferinnen haben uns dann beim Weltcuprennen in Schruns zusammengesetzt und beschlossen: Wenn wir weiter so unwürdig behandelt werden, dann streiken wir. Wir waren da alle in einem Boot. Daraufhin wurde der Trainer mitten in der Saison abgesetzt. Es ist wichtig, das bei dieser Diskussion immer wieder zu betonen: Es geht nicht darum, dass die Läufer und Läuferinnen nicht auch mal eine deftigere Ansage vertragen müssen, und es geht schon gar nicht darum, dass es keine Kritik geben darf. Es geht um einen respektvollen Umgang. Das beste Beispiel dafür ist Karl Frehsner, die Älteren werden sich erinnern, sein Spitzname „Der eiserne Karl“ kam nicht von ungefähr. Karl konnte einen strengen Ton anschlagen und war sicher kein Charmeur. Aber: Er war nie respektlos. Er war kompromisslos, ja, erfolgsbesessen, ja, aber ich habe ihn nie so erlebt, dass er die jungen Frauen von oben herab behandelt hat. Überhaupt nicht. Das ist der Unterschied. Karl hat mich schon Ende der 1990er-Jahre zu Trainerfortbildungen eingeladen, daher weiß ich aus erster Hand, wie seine Umgangsformen waren und dass er Frauen in den Trainerberuf bringen wollte. Arno Staudacher, der jahrzehntelang in Stams das Skigymnasium leitete, war lange auch Jugendsportwart: Auch er hat extrem auf gute Umgangsformen der Trainer geachtet, auch bei ihm war ich mehrfach bei Trainerfortbildungen dabei und habe miterlebt, wie wichtig ihm ein respektvoller Umgang mit jungen Athleten und Athletinnen war. Das hat er vorgelebt. Brülltrainer gab es früher auch beim ÖSV. Aber was mir in den vergangenen Wochen und Monaten mitgeteilt wurde, hat man beim ÖSV einen Rückfall in längst vergangene Zeiten hingelegt. Es geht im Nationalteam sehr respektlos zu, da passieren Grenzüberschreitungen – und das ist Machtmissbrauch.

APA18787636-6_12062014 – KITZB†HEL – …STERREICH: ZU APA095 VOM 12.06.2014 – Am Freitag, 13. Juni 2014, wird der frŸhere Alpinski-Trainer Karl Frehsner 75 Jahre alt. Im Bild Frehsner am 24. JŠnner 2003, im Zielraum der Streif in KitzbŸhel. (ARCHIVBILD) (ARCHIVBILD VOM 24.01.2003) FOTO: APA/HARALD SCHNEIDER
Der eiserne Karl, wie ihn alle kennen: Karl Frehsner war ein strenger Trainer, fand aber laut Werdenigg immer den rechten Ton – und dient so auch heute noch als Vorbild. APA

Hat man beim ÖSV nichts von #MeToo gelernt?
Werdenigg: Doch, das glaube ich eigentlich schon. Ich habe eine recht gute Gesprächsbasis mit ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober und war auch mit Petra Kronberger im guten Austausch. Nur, leider ist Petra von der Frauenbeauftragten zur Ethikbeauftragten geworden. Dass sie mit Jahresende 2024 den ÖSV verlassen hat, war leider schon ein Signal. Jetzt ist Jacqueline Stark als leitende Sportkoordinatorin beim ÖSV die Anlaufstelle. Das Grundproblem bleibt: Probleme innerhalb einer Organisation können nicht intern gelöst werden. Deshalb verweise ich auf „veraals Vertrauensstelle. Das ist eine hochprofessionelle Institution, die per Gesetz abgesegnet und legitimiert ist. Es wäre sinnvoll, wenn der ÖSV mit vera zusammenarbeiten und Verhaltenskodexe und Ethikrichtlinien erstellen würde – um diese dann den Trainern vorzulegen und auf Einhaltung zu pochen. Es steht ja sogar auf der ÖSV-Website, dass man Läuferinnen mit Respekt begegnen muss. Nur muss das auch gelebt werden. Eine externe Prüfung der Verhaltensformen würde den ÖSV enorm weiterbringen und ist überfällig.

Das ÖSV-Frauenteam wurde in der Nationenwertung nur mehr Dritter – und war dabei dem vierten Platz näher als Rang drei. Das ist doch auch ein Indiz dafür, dass etwas Grundsätzliches nicht stimmt?
Werdenigg: Natürlich, unsere Frauen haben doch nicht von heute auf morgen das Skifahren verlernt, der Leistungsrückfall gegenüber den Vorjahren ist ja dramatisch. Wir haben im Jänner miterlebt, wie ÖSV-Spartentechniktrainer Christian Perner vor laufender Kamera sagte, und zwar angesprochen auf Julia Scheib, seine Läuferinnen hätten wieder die Schweinelähmung gehabt. Wenn ein Trainer so was ungeheuerlich Entwertendes live im Fernsehen sagt, dann wählt er möglicherweise im privaten Umfeld unter vier Augen noch ganz andere Worte. Das ist alles ganz weit entfernt von einem modernen Coaching. Außerdem wurde mir zugetragen, dass auch bei der Trainingsarbeit an sich Fehler passieren. So wurde zum Beispiel vor Kranjska Gora nicht auf harten Bedingungen trainiert. Also auch fachlich liegt einiges im Argen.

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ÖSV-Spartentechniktrainer Christian Perner warf seinem Riesentorlauf-Damenteam vor, mal wieder die “Schweinelähmung” zu haben. GEPA

Trotzdem bleibt in der Öffentlichkeit Roland Assinger das Gesicht zu den aktuellen Vorwürfen. Kann es sich der ÖSV überhaupt noch leisten, mit Assinger weiterzumachen?
Werdenigg: Es tut eigentlich nichts zur Sache, ob Assinger für die Öffentlichkeit noch tragbar ist oder nicht. Wichtig ist, dass die Entscheidung intern akzeptiert wird. Wenn man mit ihm weitermacht, braucht es klare Richtlinien, an die er sich zu halten hat und an denen er sich messen lassen muss. Ich weiß nicht, wie man beim ÖSV entscheiden wird, ich will da nicht vorgreifen, und das steht mir auch überhaupt nicht zu. Wenn ich dem ÖSV einen Tipp geben würde, dann, dass sie einen externen Berater dazuholen sollten: Toni Innauer. Der Mann weiß, wie ein Verband funktioniert, er weiß, wie man erfolgreich ist – und er hat ein Gespür für die Leute, weil Toni ein feinfühliger Mensch mit Weit- und Tiefblick ist.

Ich wollte es gerade sagen: Irgendwas wird aber passieren müssen, ein einfach weiter so, speziell mit denselben Personen, ist doch nicht mehr vermittelbar?
Werdenigg: Natürlich muss etwas passieren. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Sponsoren mit Strukturen in Verbindung gebracht werden wollen, wo Machtmissbrauch passiert und am Ende alle meinen, dass sie dafür nicht zuständig sind und waren.

„Wir sind doch nicht am Kasernenhof!“
Werdenigg schlägt Toni Innauer als Berater für den ÖSV vor. Klaus Hartinger

Mich wundert ja, dass diese Entwicklungen im Damen-Trainerteam bei einer weiblichen Präsidentin möglich sind. Fehlt Roswitha Stadlober die Stärke oder die Macht, um durchzugreifen?
Werdenigg: Ich glaube, die Verbandstrukturen, die seit 120 Jahren gewachsen sind und so von Männern dominiert werden, lassen sich nicht von einer Frau im Handumdrehen verändern. Meines Erachtens hat der Verband gerade auch im Umgang mit Tamara Tippler einen großen Fehler gemacht. Der ÖSV hätte sich als moderner Verband präsentieren können, indem man aufzeigt, dass auch Frauen mit Kindern Platz im ÖSV-Kader haben oder in weiterer Folge Trainerinnen sein können. Uli Maier ist mit einem Kind unter dem Herzen Weltmeisterin geworden und hat mit einem kleinen Kind im Zuschauerraum ihren Weltmeistertitel verteidigt. Damals ging, was heute nicht geht. Wann hat Uli ihre Weltmeistertitel geholt?

1989 und 1991.
Werdenigg: Das ist jetzt fast 35 Jahre her. Aber der damalige ÖSV-Damenchef Raimund Berger war eben in einer Familie mit starken Frauen eingebettet. Es ist fatal, dass Tippler ihre Comebackpläne aufgeben musste, weil sie als junge Mutter keinen Rückhalt beim ÖSV hatte, sie war ja nur geduldet. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob das im Verband mehr als nur Einzelnen überhaupt bewusst ist, was für ein verheerendes Bild man damit abgegeben hat.

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Jungmutter Tamara Tippler wollte zurück in den Skiweltcup, fühlte sich aber nicht unterstützt vom ÖSV und ÖSV-Damenchef Roland Assinger. GEPA

Was die perfekte Überleitung zur nächsten Frage ist: Was muss beim ÖSV passieren, damit man endlich einen Schritt nach vorne macht?
Werdenigg: Man sollte sich im Klaren werden, wo man im Jahr 2025 stehen sollte – und wo man tatsächlich steht. Es bräuchte ganz klare Compliance-Regeln, die nicht nur die zuständigen Trainer kennen sollten, sondern auch die Läuferinnen und Läufer. So was ist in der Privatwirtschaft gang und gäbe. Und ganz wichtig wäre eben, dass man die Trainerausbildung überdenkt.

Bleibt noch die Frage, wie Sie die sportliche Lage beim ÖSV einschätzen?
Werdenigg: Der ÖSV hat nicht nur ein Problem mit den Umgangsformen, sondern ich bin gerade vor ein paar Tagen auf die Zahl gestoßen, dass es aktuell 47 Verletzte in den ÖSV-Kadern gibt. Auch da wird man reagieren müssen. Der Rennkalender ist schon bei den Nachwuchsläufern so dermaßen voll, dass selbst so vor Kraft strotzende junge Menschen, die topfit sind, an ihre Grenzen stoßen. Viele Verletzungen beruhen auf einer Überbelastung. Sportlich muss man dem ÖSV zugestehen, dass es viel schwieriger geworden ist. Durch den Klimawandel kann man das Sommertraining nicht mehr so gestalten wie früher, außerdem hat die Breite in den Landeskadern enorm abgenommen.

Und wo die Breite fehlt, ist für gewöhnlich auch die Spitze kleiner.
Werdenigg: Das ist grundsätzlich die Rechnung, ja, aber man muss einfach mal über den Tellerrand hinausschauen und bei den Verbänden genau hinschauen, die auch keine so große Breite haben. Es muss endlich die Kultur beim ÖSV einziehen, dass man sich um jeden bemüht. Das nicht zu tun war schon früher falsch, weil man dadurch viele Talente verloren hat. Aber jetzt kann man sich das bei den relativ klein gewordenen Kadern überhaupt nicht mehr leisten. Es braucht auch eine viel polyvalentere Nachwuchsausbildung. Die 12- bis 14-Jährigen fahren alle wahnsinnig gut zwischen den Stangen, weil ganz früh die Spezialisierung einsetzt, aber sie lernen nicht mehr das breite Spektrum des Skifahrens an sich, selbst Kleinkinder im Alter vor drei, vier Jahren fahren permanent Stangen. Die Kinder und Jugendlichen müssen auch wieder sehr gut im Freifahren werden, dadurch werden sie nämlich die kompletteren Skifahrer und lernen spielerisch, auch mit nicht so guten Bedingungen zurechtzukommen. Aber wenn man immer nur auf bestens präparierten Pisten trainiert, folgt das Erwachen, wenn man bei den diversen Rennen plötzlich auf schlechten Pisten fahren muss. Das heißt, man sollte mit den Kindern einfach Skifahren gehen, abseits der Stangen. Leider sind die Ausbildungsstrukturen kaputt gemacht worden beim ÖSV. Es gab früher den Skilehrwart, den Instruktor, der sich als Skilehrer auf Vereinsebene mit dem Nachwuchs intensiv beschäftigt hat. Diese Ausbildungsebene ist zerschlagen worden – und das fehlt heutzutage. Es braucht im Nachwuchs wieder viel besser ausgebildete Trainer, die sind nämlich die Ausnahme geworden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der ÖSV muss endlich zukunftsfit werden. Denn mit Stillstand oder gar Rückwärtsgewandtheit wird man keine Fortschrittlichkeit erreichen.