Sport

„Im Hintergrund stehe ich als Mensch“

03.08.2025 • 09:30 Uhr
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Liensberger an der Waffe – bei der Biathloneinheit des Cobratrainings. Links oben fliegt die Patronenhülse weg. GEPA/Lerch

Katharina Liensberger absolvierte in Furx beim Peterhof eine Trainingseinheit mit der Cobra. Danach sprach die Göfnerin im Sport-Talk auch über ihr Bild in der Öffentlichkeit.

Die ÖSV-Technikdamen um Katharina Liensberger, Katharina Huber, Katharina Gallhuber und Lisa Hörhager waren zuletzt vier Tage im Peterhof in Furx zu Gast. Am Mittwoch stand auf der rund 1200 Höhenmeter gelegenen Parzelle von Zwischenwasser ein Cobra-Training an. Zu der Trainingseinheit waren auch Medienvertreter geladen, doch wer glaubte, dass die vier Ski-Asse nur spannende Bilder produzieren wollten, sah sich getäuscht. Knapp drei Stunden dauerte der Trainingsblock mit der Polizei-Sondereinheit.
Die vier Skiweltcupläuferinnen kraxelten auf Hochseile und hangelten sich über Abhänge hinweg, mussten strategische Aufgaben lösen und dabei sowohl im Team als auch als Individuum funktionieren – und obendrein dabei schusssichere Westen tragen. Es wurde die Rettungskation einer verletzten Person simuliert und auch eine Biathloneinheit ausgetragen, bei der das Quartett zur Waffe griff. Der Spaß kam bei dem Training nicht zu kurz, aber schon vom Zuschauen wurde man müde. Dennoch nahm sich die Slalom-Großmeisterin Katharina Liensberger danach viel Zeit für ein Interview mit der NEUE.

„Im Hintergrund stehe ich als Mensch“
Die Übung am Hochseil verlangte gute Nerven und Schwindelfreiheit. Stiplovsek

Wenn der Eindruck nicht getäuscht hat, hat Ihnen das Training mit der Cobra sehr viel Spaß gemacht?
Katharina Liensberger:
Absolut, das Training hat sehr viel Spaß gemacht. Bei den Einheiten mit der Cobra sind immer neue Reize und Überraschungen dabei. Ich finde es immer extrem spannend, wie diese Einheiten vermitteln, dass Strategie, Taktik und psychische Intelligenz entscheidende Faktoren beim Überwinden von Hindernissen sein können. Dadurch erhält man eine völlig neue Vorgehensweise für das Vorankommen in kritischen Situationen.

Bei der biathlonähnlichen Einheit, die aus einer Lauf- und einer Schießeinheit bestand, haben Sie sich beim Schießen etwas schwer getan. Das heißt, eine Biathletin ist an Ihnen nicht verloren gegangen?
Liensberger:
Nein, definitiv nicht, das habe ich eigentlich gleich festgestellt. Die Waffen, das Schießen – das ist nicht meins. Aber es war spannend, es mal auszuprobieren.

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Liensberger machte die Schussübung Spaß. GEPA/Lerch

Im Sport wird viel über Druck gesprochen. Ist Druck real oder doch eher eine Illusion, die andere schaffen oder man als Athlet selbst erzeugt? Die Aufgabe an sich bleibt ja auch bei Olympischen Spielen im zweiten Durchgang dieselbe, es gilt, so schnell wie möglich vom Start ins Ziel zu kommen.
Liensberger:
Das ist ein spannender Blickwinkel, aber so oder so: Druck ist ein Faktor im Sport. Schlussendlich kommt es immer auf einen ganz persönlich an, wie man mit Druck umgeht, dadurch kann man auch selbst bestimmen, welche Auswirkungen der Druck hat. Natürlich gibt es Situationen, in denen viel Druck möglich ist. Entscheidend ist dann, ob man diese Erwartungshaltung in positive oder negative Energie umwandelt, denn die Energie verschwindet nicht, die ist immer da. Nutzt du die Energie positiv, bekommt Druck eine völlig andere Eigenschaft.

Mein Eindruck ist, dass Sie insbesondere bei Großereignissen den Druck in Freude umwandeln können. Freude darüber, dass Sie es soweit gebracht haben, eine Medaillenkandidatin zu sein, Freude darüber, dass die Augen auf Sie gerichtet sind – und vor den vielen Tausenden Zuschauern am Hang und den Millionen Zuschauern vor den Endgeräten Ihr Können zeigen können. Es scheint Sie nicht zu hemmen, dass man von Ihnen in solchen Augenblicken eine Top-Leistung erwartet.
Liensberger:
(lächelt) Absolut, weil ich es als Privileg empfinde, dass ich das tun darf, was ich so liebe: Ski fahren, und mich dabei auf dem allerhöchsten Niveau dem Wettkampf stellen darf, was ich genieße und nicht als Last empfinde. Ich habe dadurch nämlich auch die Möglichkeit, mit den vielen Zuschauern gemeinsam einzigartige Momente zu kreieren, so wie ich es im Frühjahr in Saalbach bei der WM erleben durfte. Damals sind Freunde und Fans nach dem Rennen zu mir gekommen und meinten, ich hätte ihnen einen der schönsten Tage ihres Lebens geschenkt. So was berührt mich ganz tief, denn in solchen Augenblicken wird einem klar, was für eine Kraft der Sport und man selbst als Athletin hat. Man kann so emotionale Momente und Erinnerungen schaffen, die für die Ewigkeit bleiben können. Das sind eigentlich unvorstellbare Dimensionen.

„Im Hintergrund stehe ich als Mensch“
Die Göfnerin hatte auch in luftiger Höh’ alles im Griff. Dietmar Stiplovsek

Wie lange können Sie das positive Gefühl nach einem großen Erfolg halten, sprich, wie lange wirkt ein Erfolg emotional nach?
Liensberger:
Man kommt in einen Zustand, den man heutzutage unter dem Begriff Flow kennt, in dem sich plötzlich alles ganz leicht anfühlt. Wenn man in so einem Zustand ist, wenn alles wie am Schnürchen läuft, hilft einem das ungemein. Wie damals bei der WM 2021, als ich mit drei Medaillen von Cortina heimgefahren bin, zwei davon in Gold. Nachdem ich Weltmeisterin im Parallelbewerb geworden bin, habe ich gespürt, dass sich eine Dynamik entwickelt, der Rest ist mir mehr oder weniger passiert: Ich habe Bronze im Riesentorlauf gewonnen, und zum Abschluss der WM Gold im Slalom, das i-Tüpfelchen war danach die Slalomkristallkugel. In so einer Phase hat man das Gefühl, dass man fast gar nichts falsch machen kann. Es gelingt einem alles. Dieser Flow ist der Wunschzustand eines jeden Spitzensportlers, nur lässt sich der nicht erzwingen, sondern entsteht, nach positiven Ereignissen – und natürlich tut man dann alles dafür, dass dieser Zustand erhalten bleibt.

Ist ein Charakteristikum dieses Flow-Zustands, dass man schlichtweg nicht zweifelt – weder an sich noch am Material?
Liensberger:
Genau, man hat Vertrauen in sich selbst und in sein Team oder größer gesprochen Vertrauen darin, dass die richtigen Dinge passieren. Bei diesem Zustand entsteht tief in einem drin das Gefühl, dass man auf dem richtigen Weg ist. Und ich denke, das ist das Ziel eines jeden Menschen, dass er seinen Weg findet und spürt, dass er seinen Platz im Leben gefunden hat.

Und wie lange brauchen Sie, um eine Enttäuschung oder zum Beispiel einen bitteren Ausfall abzuschütteln?
Liensberger:
Am liebsten hätte man in so einer Phase einen Ratschlag, wie das tatsächlich funktioniert, einen Rückschlag abzuschütteln. Es ist nämlich nicht immer so einfach, wenn man in der Situation steckt, das hat viel mit Emotionen zu tun, gerade wenn man seine Aufgabe ernst und wichtig nimmt. Es hilft einem, wenn man sich wieder kleine Ziele setzt, die man recht einfach erreichen kann, um wieder Erfolgserlebnisse zu sammeln. Ein Schlüssel ist auch, das Geschehene zu relativieren, indem man sich sagt, dass es weitere Chancen gibt. Ich sage mir nach Rückschlägen auch immer, es hat seinen Grund, warum etwas passiert: Vielleicht stecken gewisse Sachen und Themen dahinter, die man noch zu lernen hat, Herausforderungen, die man zu überwinden hat, bevor man zur nächsten Entwicklungsstufe kommen kann. Das Leben lässt sich nicht vorausplanen. Trotzdem braucht es das Vertrauen, dass alles, was passiert, richtig ist zu dem Zeitpunkt, auch wenn man das in der Situation nicht immer so recht verstehen kann.

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Das Slalom-Ass im Gespräch mit NEUE-Sportchef Hannes Mayer. Dietmar Stiplovsek

Sie haben so viele Medaillen bei Großereignissen geholt, in Summe sind es acht, drei davon in Gold, auch die Slalomkugel haben Sie gewonnen. Auch wenn Ihnen das vielleicht gar nicht so wichtig ist: Aber haben Sie das Gefühl, dass die Menschen in Vorarlberg zumindest mehrheitlich wirklich begriffen haben, was für eine absolute Weltklasseathletin Sie sind?
Liensberger:
Das ist eine gute Frage. Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht, ob ich so gesehen werde. Ich würde es mir schon wünschen, dass ich über die Jahre hinweg ein Bild von mir in Vorarlberg erwecken konnte, das mich präsentiert, mit meiner Art, wie ich dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin. Mein Weg hat sehr einfach angefangen. Ich stamme aus der kleinen Gemeinde Göfis, die nicht mal einen Skiklub hat. Ich bin mit null Ambition auf eine Weltcupkarriere zum Skiklub Rankweil. Ich wollte einfach Ski fahren, ich hatte Spaß daran mich weiterzuentwickeln, mich zu verbessern – und so bin ich Stufe für Stufe nach oben gekommen. Ohne wissen zu können, wie hart der Weg noch würde, der vor mir liegt, wie viele Steine ich noch aus dem Weg räumen würde müssen. Es war nicht immer leicht, das muss ich dazu sagen. Ich hatte große Herausforderungen zu überwinden, auch, weil ich das ein oder andere nicht gewusst habe. Ich war einfach unerfahren.

Ich habe noch das Bild vor Augen, wie Sie 2015 als noch etwas eingeschüchtertes Mädchen bei den EYOF-Skibewerben in Malbun vor mir standen.
Liensberger
: Richtig. Aber ich bin an den Erfahrungen gewachsen. Ich habe sicher Fehler gemacht, das ist völlig normal. Umso schöner ist es, dass ich immer weitergewachsen bin. Damals bei der WM in Cortina ist es mir im Slalom gelungen, Mikaela Shiffrin und Petra Vlhova zu schlagen. Das wurde mir klar: Obwohl beide, im Privatleben angefangen, ihr Athletendasein zu einer atemberaubenden Perfektion getrieben haben, konnte ich beiden auf Augenhöhe begegnen. Das aus Göfis heraus geschafft zu haben, zeugt davon, dass ich stetig dazugelernt habe und in Summe doch das eine oder andere richtig gemacht habe. Ich würde mir wünschen, dass mich die Leute als bodenständige Person wahrnehmen, die gerne mit Menschen kommuniziert, ein positives Weltbild hat und mit dieser positiven Anschauung an die Herausforderungen herangeht.

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Liensberger zeigte sich auch sehr nachdenklich beim Sport-Talk. GEPA/Lerch

Ich habe diese Frage auch deshalb gestellt, weil Sie weiterhin einen Kopfsponsor suchen und jetzt sogar eine Präsentationsmappe online gestellt haben. Man müsste eigentlich meinen, dass ob Ihrer Erfolge die Sponsoren bei Ihnen Schlange stehen.
Liensberger:
(Schüttelt den Kopf) Dem ist definitiv nicht so.

Wie ist das für Sie erklärbar – kann das nur an der Wirtschaftslage liegen?
Liensberger:
Die wirtschaftliche Situation ist heute sicherlich nicht mehr so wie noch vor ein paar Jahren. Aber vielleicht ist es auch so, dass viele noch gar nicht gesehen haben, wie sehr sie von einer Zusammenarbeit mit mir profitieren könnten, wie viel ich als Markenbotschafterin bieten kann. Ich glaube, mit dieser Chance haben sich viele noch nicht so wirklich auseinandergesetzt. Ich könnte mir auch vorstellen, dass manche Respekt davor haben, in Kontakt mit mir zu treten, weil ich eben als Athletin sehr erfolgreich bin und sie nicht wissen, mit wem sie die Gespräche führen würden. Wahrscheinlich wird da ein riesiger Apparat im Hintergrund vermutet. Doch den gibt es nicht. Im Hintergrund stehe ich als Mensch, mit den Werten, die mir wichtig sind. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, mich als Athletin auf allen Ebenen selbst zu vertreten und nicht eine Agentur damit zu beauftragen. Das ist sicherlich der schwierigere Weg als meine Betreuung im Fullpackage aus der Hand zu geben. Doch mir ist es extrem wichtig, als Athletin authentisch zu bleiben, nur so kann ich für die Marke, deren Logo ich auf dem Kopf trage und damit weltweit präsentiere, mit meiner ganzen Persönlichkeit einstehen. Ich will mich mit der Marke identifizieren können. Das steht für mich viel mehr im Vordergrund als einfach nur ein Vertragsabschluss. Es geht darum, dass man Wege zusammen geht, die Gemeinschaftlichkeit spürt. Zusammen ein Projekt starten, das mich und meinen Partner bis zu den Olympischen Spielen bringt – das ist mein Wunsch. Olympia ist so etwas Spezielles, weil man nicht nur für sich selbst fährt, sondern für unser Land, für Österreich, und mit seinen Erfolgen und seinem Auftreten hoffentlich auch gesellschaftlich etwas bewegen kann. Ich fände es wunderschön, das gemeinsam mit einem starken Partner bewegen zu können.

Machen wir einen harten Themenschnitt. Sie sind im Winter sehr viel unterwegs, sehr viele Strecken legen Sie mit dem Auto zurück. Fahren Sie lieber selbst oder bevorzugen Sie es, die Beifahrerin zu sein?
Liensberger:
Ich bin tatsächlich lieber die Beifahrerin. Aus dem Grund, dass es sehr anstrengend ist, nach einem Rennen zig Stunden hinter dem Steuer zu sitzen. Das erfordert viel Konzentration. Als Beifahrerin kann ich die Fahrtzeit zur Regeneration nutzen und runterkommen. So tanke ich die Kraft, die ich brauche, um im Training auf und neben der Strecke alles geben zu können – und natürlich vor allem bei den Rennen. Die Regenerationszeit ist bei uns ein extrem wichtiger Faktor, weil viele Rennen nacheinander stattfinden. Im vergangenen Winter war ich vor und nach der WM angeschlagen, in Aare war ich krank. Man muss wirklich sehr auf sich achten, und dabei ist es ganz wichtig, auch mal abzuschalten.

„Im Hintergrund stehe ich als Mensch“
Katharina Gallhuber, Lisa Hörhager, Katharina Liensberger und Katharina Huber bei einer Lageklärung vor einer der zahlreichen Übungen beim Cobratraining. Stiplovsek

Wenn Sie einen Tag lang FIS-Präsidentin sein könnten und eine Regel ändern könnten: Was würden Sie ändern?
Liensberger:
(Überlegt sehr lange) Ich würde wahrscheinlich beschließen, dass die Damen und Herren öfters an einem Ort ihre Rennen fahren. Dem Skiweltcup würde mehr Eventcharakter gut tun, vergleichbar zur Formel 1 mit einem kompletten Rahmenprogramm. Das gibt es im Skirennsport nur in Kitzbühel. Ich fände es gut, wenn die Weltcuprennen eine Eventstruktur hätten, die sich an jedem Rennort größtenteils wiederholt. Das wäre gut für den Unterhaltungswert, mir fehlt so ein bisschen der Rennserien-Charakter.

Ein spannender Ansatz. Bleibt noch eine Frage: Wenn Sie einen Lauf noch mal fahren könnten, sei es, um den Lauf wieder zu genießen oder um es besser zu machen: Gäbe es da einen Lauf, der Ihnen spontan einfällt?
Liensberger:
(Wie aus der Pistole geschossen) Den zweiten Slalomlauf von der WM in Cortina 2021. Meine Fahrt zu Gold würde ich gerne noch mal genießen.