„Ich habe eine zweite Wutrede verhindert“

INTERVIEW. Am 12. September veranstaltete Heinz Fuchsbichler im Altacher Businessklub das Event „The Sports Mindset“ mit Größen aus dem Weltfußball. Die NEUE traf dabei Markus Hörwick, der von 1983 bis 2016 Kommunikationsleiter beim FC Bayern war. Im Sport-Talk spricht Hörwick (69) über das Bauchgefühl, das er bei Uli Hoeneß brauchte, den FC Hollywood, Trapattonis Wutrede – und lässt dafür Matthias Sammer warten.
Ihr Vortrag bei „The Sports Mindset“ im Altacher Businessklub stand unter dem Leitsatz: „Medien, Wirkung und Vertrauen – aus 30 Jahren Bayern München: Was Unternehmen/Teams vom FC Bayern lernen können“. Was können Führungskräfte vom FC Bayern lernen?
Markus Hörwick: Ich denke, sehr viel. Als Führungskraft in einem Unternehmen, in einer Abteilung oder in einem Team macht man nichts anderes als ein Trainer auch. Die Führungskraft geht täglich mit Menschen um, sie vertritt ihr Unternehmen, und es kommt auf Erfolg an. Eine Führungskraft wird am Erfolg und am Image, das sie der Firma bringt, gemessen. Das ist wie im Fußball. Im Fußball geht es vielleicht noch ein bisschen intensiver, noch ein bisschen schneller zu. Aber es passieren in jedem Betrieb dieselben Dinge wie in einem Fußballklub. Es gibt Eifersüchteleien, Erfolg, Niederlagen – dann ist die Frage, wie geht man mit dem Erfolg oder den Niederlagen um. Und man hat es, das ist das Entscheidende, vor allem immer mit Menschen zu tun. Ob das Spieler und Fans oder Angestellte und Kunden sind, macht eigentlich keinen Unterschied. Wir rühmen uns zwar heute mit der KI und mit all den technischen Möglichkeiten, die wir haben, aber wir dürfen eines nicht vergessen, es geht immer um Menschen. Mit Menschen umzugehen, Menschen Vertrauen und Orientierung zu geben, das ist das A und O. Der Fußball ist sicherlich ein Extrembeispiel, weil du hast einen Trainer, der 20, 25 Spieler führen muss, die teilweise aus anderen Kulturen stammen, ein unterschiedliches Alter haben, manche sprechen deine Sprache nicht mal. Es ist unfassbar, was so ein Trainer heute zusammenhalten muss. Neben der Mannschaft gibt es noch einen Staff mit 10, 20, teilweise 30 Leuten. Und um die muss er sich auch kümmern. Das alles hinzukriegen, daraus eine Einheit, ein Team, ein Erfolgsteam zu machen, das ist die hohe Kunst. Das ist am Fußballplatz genauso, wie wenn Sie heute in die nächste Fabrik oder ins nächste große Büro gehen.
Aktuell macht beim FC Bayern Uli Hoeneß gefühlt vor jedem Mikrofon halt und fällt teils sehr kritische Aussagen über interne Abläufe und handelnde Personen wie Sportvorstand Max Eberl. Sie kennen das aus Ihrer Zeit an der Säbener Straße, aber damals war Hoeneß noch per Amt ermächtigt zu solchen Aussagen. Heute ist er nur mehr Aufsichtsratsmitglied: Hand aufs Herz, sind Sie in solchen Augenblicken ganz froh, nicht mehr Kommunikationsleiter beim FC Bayern zu sein?
Hörwick: Einerseits ja. Andererseits ist immer noch so das Feuer da, dass ich sage, Mensch, ich glaube, ich könnte das eine oder andere regeln. Als Kommunikationschef war es ja meine Aufgabe zu vermitteln, um solche öffentlichen Diskussionen erst gar nicht entstehen zu lassen. Mehr möchte ich dazu aber auch gar nicht sagen. Ich war zu lange beim FC Bayern mittendrin dabei, habe alles mitgetragen und nach außen „verkauft“ – so dass ich mich jetzt nicht mit erhobenem Zeigefinger hinstelle, den Schlaumeier spiele und den Verein kritisiere. Das macht man nicht.
Sie haben ja insbesondere in den 1990er-Jahren wilde Zeiten beim FC Bayern erlebt, den FC Hollywood, mit Machtkämpfen zwischen Matthäus, Klinsmann und der halben Mannschaft, Sie erlebten einen überforderten Otto Rehhagel, die Wutrede von Trapattoni, die Schelten von Franz Beckenbauer wie zum Beispiel seine Bankettrede nach der 0:3-Niederlage in Lyon. Wie bewahrt man in solchen Situationen die Ruhe?
Hörwick: Ich glaube, man braucht ein gutes Fingerspitzengefühl, und man muss die Menschen einschätzen können. Ich wusste schon, wann ich zum Uli ins Büro gehen muss. Ist es am Vormittag gescheiter oder besser nach dem Mittagessen? Solche Kleinigkeiten können darüber entscheiden, ob man zwischen zwei Menschen ausgleichen kann oder nicht. Im Prinzip bestand mein gesamter Job aus dem Ausgleichen. Ich habe ausgeglichen zwischen einer sehr hektischen Medienlandschaft in München und dem Klub, zwischen den Medien und den Spielern, zwischen den Medien und dem Trainer. Mein Platz im Verein war immer zwischen den Stühlen. Ich konnte es weder dem einen noch dem anderen hundertprozentig recht machen. Das muss man wissen und irgendwann ein breites Kreuz entwickeln, denn empfindlich sein darfst du nicht. Du wirst immer angemault. Von den Leuten im Verein, weil du die Journalisten nicht weit genug weghältst von den Spielern, von den Journalisten, weil du sie nicht nahe genug an die Spieler ranlässt. Wenn es medial gut gelaufen ist, dann waren es immer die anderen, die es gut machten. Wenn etwas schlecht gelaufen ist, dann bist natürlich du verantwortlich für die Medien.
Und wahrscheinlich hatte man intern gar keine Vorstellung davon, wie oft Sie manchen Spielern und damit dem Verein, salopp ausgedrückt, den Hintern gerettet haben, indem Sie eine Story noch vor dem Erscheinen abwürgen konnten?
Hörwick: Wir verstehen uns. (lächelt) Einige der brisantesten Geschichten sind nie erschienen, weil ich die vorher weggebogen habe. Geschichten, die dem Verein oder einem Spieler, Trainer, Verantwortlichen geschadet hätten. Nur, davon wusste kein Mensch im Verein, daher kam auch keiner, der mal gesagt hat, Mensch, gut gemacht.

Wie war das zum Beispiel bei Ulis legendärem Auftritt am 20. Mai 1989 im Aktuellen Sportstudio zusammen mit Trainer Jupp Heynckes im Wortduell mit Christoph Daum und Udo Lattek vom 1. FC Köln – waren Sie eingeweiht?
Hörwick: Ja, klar. Der Uli hatte ja bei dieser Runde Papiere, aus denen er zitiert hat, die habe ich ihm alle vorbereitet. Das war eine andere Zeit. So was könnte heute, Gott sei Dank, nie wieder vorkommen. Man muss sich mal vorstellen, es streiten zwei oder vier Leute in aller Öffentlichkeit miteinander. Und das Leute dieses Kalibers. Heute würde man entweder gar nicht miteinander reden oder sagen, jetzt setzen wir uns mal hinter verschlossenen Türen zusammen, dann hauen wir uns, wenn’s sein muss, die Birne ein, und danach schauen wir, was rauskommt. Aber das vor laufenden Kameras zu machen, das war dann genau der Zeitpunkt, wo wir gesagt haben: Leute, jetzt haben wir es alle übertrieben.
Wobei ja Lothar Matthäus einige Jahre später öffentlich ein TV-Duell mit Jürgen Klinsmann einforderte, in dem er klären wollte, ob Klinsmann gegen ihn bei der Nationalmannschaft intrigiert hätte? Beide spielten da bei Bayern.
Hörwick: Ich glaube, dass beide nicht immer ganz so ernst zu nehmen gewesen sind in der Zeit.
Rückblickend kann man fast gar nicht glauben, was da alles passiert ist.
Hörwick: Das stimmt. Sie haben den Begriff FC Hollywood ja schon angesprochen. Es gibt eine gleichnamige Dokuserie, das ist die erfolgreichste Doku, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Es gibt bislang über zehn Millionen Aufrufe in der ZDF-Mediathek. Ich kann Ihren Lesern die Serie nur wärmstens ans Herz legen. Die Doku ist unglaublich gut gemacht, die Ereignisse wurden, das muss man sagen, sehr gut zusammengeschnitten. Da waren sogar Vorkommnisse dabei, die ich so überhaupt nicht mehr in Erinnerung hatte. Es war eine unfassbar turbulente Zeit, ein bisschen Fußball gespielt haben wir aber schon auch noch. (lacht)
Bayern hat damals sogar den UEFA-Cup gewonnen.
Hörwick: Die Mannschaft war ja auch gut, nur haben wir in diesen Jahren keine Ruhe in den Verein bekommen.
Wie geht man denn als Kommunikationschef damit um, dass immer wieder Interna bei der Presse landen?
Hörwick: Es macht einen verrückt, denn es verhindert, dass ein Klub gut arbeiten kann. Weil natürlich immer Vermutungen angestellt werden. Wenn wir drei jetzt etwas privat bereden, und morgen steht es nicht bei Ihnen, sondern irgendwo in der Zeitung, stellen sich zwei von uns die Frage, wer unser Gespräch verraten hat und warum er das gemacht hat. Dadurch geht Vertrauen verloren. Das ist in einem Fußballklub nicht anders. Jeder fragt sich, wer der Maulwurf ist, es muss ja einer aus dem engsten Umfeld sein. Es ist so grundverkehrt, Kabineninfos durchzustecken. Nur hat sich leider in den letzten Jahren im gesamten Fußball die Einstellung eingebürgert, dass Leute glauben: Wenn ich mit einem Journalisten gut kann, dann bringt mir das was – und geben darum Infos weiter. Das geht nicht, allein die Grundannahme ist ja schon völlig falsch. Wenn du Journalist bist und kriegst eine heiße Geschichte, dann musst du sie bringen. Weil wenn du es nicht schreibst, schreibt es der Kollege von der anderen Zeitung. Das ist legitim. Das ist die Aufgabe eines Journalisten.
Das verstehen wirklich viele nicht. Ich könnte Ihnen da Sachen darüber erzählen, wie Vereinsverantwortliche erwarten, dass über finanzielle Probleme nicht berichtet wird und glauben, einen Anspruch darauf zu haben, dass die Medien entgegen der Faktenlage eine positive Stimmung erzeugen müssen. Und die Spieler ticken natürlich oft genauso. Ich kann mich an einen Fußballspieler erinnern, der nach einer veröffentlichten Statistik – Punkteschnitt mit und ohne ihn – böse war und sich verraten fühlte.
Hörwick: (Schüttelt den Kopf) Da haben wir’s ja. Sagen wir, ein Klubverantwortlicher sitzt mit einem befreundeten Journalisten die ganze Nacht zusammen, trinkt ein Bier nach dem anderen – auf dem Nachhausweg kommt er in eine Polizeikontrolle und muss den Führerschein abgeben. Die zwei können sich noch so gut kennen, wenn das der Journalist mitkriegt, muss er das schreiben. Der Klubverantwortliche kann nicht hergehen und sagen, wir haben doch immer gut zusammengearbeitet. Nein, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich glaube, viele, die heute im Fußball verantwortlich sind, verstehen einfach nicht die Spielregeln der Medienarbeiter und begreifen nicht, was Kommunikationsarbeit ausmacht.

Äußerst kritisch war die Konstellation, dass die Freundin von Bayern-Trainer Julian Nagelsmann bei „Bild“ in der Sportredaktion gearbeitet hat. So was schafft doch mannschaftsintern per se schon ein massives Misstrauen, zumal sie ja sogar über den FC Bayern berichtet hat.
Hörwick: Ja, das war nicht glücklich. Das war aber nur das Tüpfelchen auf dem i. Julian Nagelsmann hatte damals die Münchner Medienlandschaft und den FC Bayern total unterschätzt.
Wie war denn Franz Beckenbauer zu handeln? Der hat doch eigentlich immer frisch, fromm, fröhlich, frei von der Leber weg geredet. Dem hat man, könnte ich mir vorstellen, keine Planken setzen können, was er öffentlich besser nicht anspricht?
Hörwick: Nein, gar nicht. Aber Franz war auch das Unkomplizierteste, was wir beim FC Bayern hatten. Moment, jetzt ruft gerade Matthias Sammer an, aber ich bleibe bei Ihnen, der Matthias muss noch etwas warten. Franz war immer menschlich. Er war unkompliziert, weil er hat sich Meinungen angehört. Er hatte einen gesunden Menschenverstand. Er hat zwar schon manchmal losgepoltert, und dann konnte er sehr deutlich werden – wie damals in Lyon nach der Niederlage, aber er hat nie jemanden verletzt. Von ihm kam immer: Ihr seid die Experten auf eurem Gebiet. Ihr müsst sagen, wie es klappt, da rede ich euch nicht drein. Aber: Das Ergebnis muss stimmen. Wenn es nicht stimmt, dann komm ich. So war Franz. Neben allem anderen hat das die Arbeit mit ihm so schön gemacht. Es ist groß, als Chef zu sagen, noch dazu als Franz Beckenbauer: Du kannst die Dinge so machen, wie du es für richtig hältst, solange du dafür auch die Verantwortung übernimmst. Franz war einfach Franz. Ihm konnte kein Mensch böse sein. Er hat eine Art an sich gehabt, die bis heute einmalig ist. Wie er in der Öffentlichkeit aufgetreten ist: Die Türen sind für ihn in Königshäusern, bei Präsidenten und vielen anderen Größen aufgegangen, doch er hat bis runter zum Ordnungsmann im Stadion jeden gleich behandelt – und das hat er auch so zurückbekommen von den Menschen.
Ich sage immer, eine Szene, die vielleicht besser für Franz Beckenbauer steht als jede andere, ist, als er 1994 nach dem gewonnenen Meistertitel im Aktuellen Sportstudio vom vollen Weißbierglas aus bei der Torwand getroffen hat.
Hörwick: Ja, da haben Sie recht, die zeigt Franz, wie er war. So ein bisserl ein Lausbub und doch einfach der Kaiser.
Über die Wutrede von Trapattoni wurde viel gesagt und geschrieben, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, erwähnten Sie mal, dass Sie was ahnten. Mich würde interessieren: Was haben Sie denn hinterher zu Trap gesagt?
Hörwick: Ich beginne an der Stelle, wo das Video endet, wo er noch mal in den Presseraum reinschaut und sagt: Wenn sie etwas nicht verstanden haben, dann bin ich bereit, es noch einmal zu erklären. Danach sind wir bei der Tür rausgegangen. Nach drei Metern hat er sich umgedreht, hat mich mit aufgerissenen Augen angeschaut und gesagt: „Habe ich etwas vergessen, muss ich sofort zurück“. Da habe ich ihn dann an den Schultern genommen und rückwärts die ungefähr zehn Meter bis zu seiner Trainerkabine wirklich zurückgeschoben, ich habe ihn auf seinen Platz gesetzt und sagte, pass auf, überleg dir genau, was du sagen willst. Ich schaue, dass die Medienvertreter alle noch da bleiben. Er hat sich dann tatsächlich hingesetzt und sich konzentriert. Ich bin zurück in den Pressekonferenzraum und habe das blanke Chaos erlebt. In dem Raum waren ungefähr 40, 50 Leute, fünf Kamerateams. Die waren in Panik, die haben alle mit ihrer Redaktion telefoniert. „Wahnsinn, ihr könnt’ euch nicht vorstellen, was an der Säbener Straße los war, schmeißt alles raus, ich komme gleich zurück, das ist die Top-Story.“ Ich erinnere mich, dass alle Kamerateams in der Aufregung vergessen haben, beim Einpacken die Kamera vom Stativ zu nehmen und mit dem Stativ samt Kamera wie wild rumfuchtelten. Dann hatten wir drei Stehtische drin, wo ungefähr 20 Journalisten in Dreierreihen hintereinander gestanden sind, weil nämlich ein paar Journalisten damals schon Aufnahmegeräte hatten. Die haben es auf Lautstärke gestellt, und dann haben alle mitgeschrieben, Wort für Wort. Es war buchstäblich ein Wahnsinn, was da abging, so was habe ich noch nie erlebt. Ich habe dann sofort die Tür wieder zugemacht und die Türe auch zugesperrt, bin zum Trapattoni zurück in die Kabine und sagte: Mein lieber Giovanni, es tut mir wahnsinnig leid, die sind alle schon fort. Es hätte normalerweise noch einen zweiten Teil der Wutrede gegeben, und ja, das gestehe ich, den zweiten Teil habe ich verhindert. Ich konnte natürlich nicht ahnen, dass diese Wutrede in die deutsche Bundesligageschichte eingehen würde.

Auch Mario Basler war einer, der Ihnen das Leben schwer gemacht hat.
Hörwick: Ja, aber er war ja nicht der Einzige. Unser ehemaliger Trainer Ottmar Hitzfeld hat einmal zu mir gesagt: Weißt du, zwei Verrückte verträgt eine Mannschaft. Weil, die halten die Konzentration hoch. Was machen die zwei Verrückten heute schon wieder? Das ist gut für den Trainer. Aber wenn du drei Verrückte hast, kannst du die Mannschaft abmelden. Das Problem war, wir hatten fünf Verrückte: Mario Basler, Stefan Effenberg, Oliver Kahn, Lothar Matthäus und Mehmet Scholl. „Die Mannschaft war der Wahnsinn“ – das ist ein Originalzitat von Ottmar. Und ich kann ihm da nur recht geben: Das hat damals letztendlich den FC Hollywood ergeben.
In Ihren letzten Jahren bei den Bayern war Pep Guardiola Trainer. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Hörwick: Pep war ein Charismatiker. Er hat alle in den Bann gezogen. Und er war ein Visionär. Der war in Gedanken ein, zwei Jahre voraus. Pep hat schon überlegt, wie überrasche ich die gegnerischen Mannschaften in zwei Jahren? Gleichzeitig war er immer sehr korrekt. Wir haben nahezu täglich miteinander zu tun gehabt. Ich habe mich in seine Geschichten nicht eingemischt, und er hat sich meine Sachen angehört und gesagt, na ja, wenn es unbedingt sein muss, wenn ihr es hier in Deutschland so macht, gut, dann macht es halt. Aber er hat schon auch einige Sachen gebremst, die er so aus Spanien nicht gewohnt war.
Stimmt die Anekdote eigentlich, dass die Bayern 1987 beim Landesmeisterfinale in Wien gegen Porto in der zweiten Halbzeit schon dabei waren, auf der Pressetribüne die Sieger-Pressemitteilung zu verteilen? Bayern lag als haushoher Favorit lange 1:0 vorn, verlor aber noch 1:2.
Hörwick: Nein, so was hätten wir niemals gemacht. Das sind so Anekdoten, die sich verselbständigen. Die Tendenz stimmt aber. Wir haben damals das Finale verloren, weil wir ein Stück weit überheblich gewesen sind. Wir sind nach Wien gefahren und haben gesagt, müssen wir das Spiel überhaupt noch spielen? Gebt uns den Pokal, und dann feiern wir. Wir waren hochnäsig, wir waren arrogant. Das war das letzte Spiel von Udo Lattek als Bayern-Trainer. Der hat gesagt, jetzt holen wir den Pokal, und dann gehe ich nach Hause. Das war eine der bittersten Niederlage überhaupt. Es kamen zwar danach mit dem Finale gegen Manchester United und Chelsea zwei weitere schmerzhafte Finalniederlagen dazu, aber 1987 war anders. Da haben wir sämtliche Fehler gemacht, die du machen kannst. Statt uns abzuschotten, haben wir mitten in Wien in einem Hotel mit Palmen übernachtet, einem Wellnesshotel. Die Spieler haben gar nicht mehr ans Finale gedacht, sondern gesagt, schau, da geht wieder eine Nette vorbei. Also Wien, das ist ein Finale, das müssen wir uns bis heute selber ankreiden, dass wir das verloren haben.
Es gibt ja auch die Geschichte, die Dieter Hoeneß mal erzählte: Lattek hätte in der Pause vorgegeben, aufs 2:0 zu gehen, die Abwehrspieler hätten aber beschlossen, Porto kommen zu lassen und auf Konter zu spielen.
Hörwick: Davon weiß ich nichts, aber dass ein Trainer sagt, wir gehen auf das 2:0, ist klar. Denn nur mit einem zweiten Treffer hast du ein bisschen Ruhe. Bei 1:0 kann immer was passieren. Ob die Spieler da selber was entschieden haben oder nicht, das weiß ich nicht. Dieter hat danach seine Karriere beendet, falls er später dazu mal Stellung genommen hat, ist das an mir vorbei gegangen. Ich weiß nur, dass die Stimmung nach dem Spiel so im Keller war, wie ich das selten erlebt habe: Da war dann wieder ich gefragt, die Sache irgendwie zu retten, wie immer, wenn Feuer am Dach war. (lacht) Aber es gibt Dinge, da bist du als Kommunikationschef machtlos. Denn dass wir uns in Wien zum Deppen gemacht haben, hat ja jeder gesehen. Und das muss ein Journalist dann auch schreiben.

Bleibt noch: Was war denn der emotionalste Moment, der schönste Titelgewinn während Ihrer Bayern-Zeit: nach 25 Jahren der Gewinn der Champions League 2001?
Hörwick: Nicht der Champions-League-Sieg, sondern vier Tage vorher die gewonnene Meisterschaft in Hamburg. Die Geschichte ist bekannt: Wir haben mit Schalke um die deutsche Meisterschaft gekämpft. Schalke hat daheim gegen Unterhaching gewonnen. Wir brauchten einen Punkt für den Meistertitel, kassierten aber in der 90. Minute das Gegentor zum 0:1. Nach 34 Spieltagen haben wir in der 90. Minute die deutsche Meisterschaft verloren. In Schalke haben sie gefeiert, die Zuschauer stürmten das Spielfeld.
TV-Journalist Rolf Fuhrmann hatte sich zu der Aussage hinreißen lassen: Es ist zu Ende in Hamburg, Schalke ist Meister.
Hörwick: Bis irgendjemand gesagt hat, du schau mal auf die Videowand, das Spiel in Hamburg läuft ja noch. Und dann mussten sie miterleben, wie wir in der 94. Minute einen Freistoß bekommen. Im Strafraum von Hamburg. Da waren 40 Beine vor der Torlinie. Also normalerweise kriegst du den nicht rein, aber es war wie bei David Copperfield. Du weißt, der Ball kann ganz einfach nicht rein gehen, und plötzlich war er doch drin. So haben wir in der 94. Minute die Meisterschaft zurückgeholt. Das war eine Emotionsexplosion bei allen, bei den Spielern auf dem Platz, den Verantwortlichen und natürlich bei jedem Fan. Es war unglaublich. Vier Tage später haben wir dann das Champions-League-Finale im Elfmeterschießen gewonnen. Wobei man sagen muss, das hätten wir nie gewinnen können, wenn wir die Meisterschaft verspielt hätten. Das eine hat mit dem anderen zu tun gehabt. Wenn du mit dieser Enttäuschung in ein Champions-League-Finale gehst, in der 90. Minute am letzten Spieltag die Meisterschaft zu verlieren, dann bist du fix und fertig. Das wäre nicht gut gegangen. Ich habe in den vielen Jahren bei Bayern keine Mannschaft erlebt, die so Charakter hatte wie damals 2001. Da gab es Kahn, Effenberg – das war eine Mannschaft, die hatte eine Mentalität, die unvergleichbar war. Die Szene zum 1:1 in Hamburg war unfassbar. Da schießt der Patrik Andersson, der in seinem Leben noch nie einen Freistoß geschossen hat. Aber Effenberg sagte, du schießt den – und dann trifft er. Ich bekomme wieder eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Momente wie diese werde ich nie vergessen.
Kommenden Sonntag, 28. September: Der dreifache Weltschiedsrichter Markus Merk im Interview.