„Ich sagte zu mir: Jetzt musst du aufhören“

Lorena Schneider ist eine der erfolgreichsten Kunstradfahrerinnen Österreichs. Sie hat mehrere Rekorde aufgestellt und zahlreiche Titel gewonnen. Nun beendet sie nach 17 Jahren ihre Karriere. Im Gespräch mit der NEUE am Sonntag verrät sie den Grund für ihren Rücktritt, wie es ihr dabei geht und was sie in Zukunft vorhat.
Bereits mit sieben Jahren hat die Höchsterin Lorena Schneider mit dem Kunstradfahren angefangen. Damals hätte sie nie gedacht, dass sie eine 17 Jahre lange, sehr erfolgreiche Karriere in diesem Sport vor sich haben würde. Nun hat sie ihren Rücktritt bekanntgegeben, der, wie sich im Gespräch mit der NEUE am Sonntag gleich herausstellte, für die junge Frau schon länger feststand.
Frau Schneider, sie sind über 17 Jahre aktive Kunstradfahrerin gewesen. Sie haben ihre Karriere gestern beim ASVÖ-Kunstradcup in Bregenz offiziell beendet. Wie kamen Sie zu dem Entschluss, sich mit Saisonende zurückzuziehen?
Lorena Schneider: Ich habe mich schon im Sommer entschieden, aufzuhören. Das war eine sehr emotionale Zeit für mich, eigentlich bis jetzt. Alle Wettkämpfe, die ich bestritten habe, waren so anders als sonst. Zum Beispiel wusste ich bei der Staatsmeisterschaft, dass es das letzte Mal für mich sein wird. Ich habe die Atmosphäre genossen, die Stimmung aufgesaugt, alles noch einmal viel intensiver und bewusster wahrgenommen. Die Leidenschaft für den Sport hat immer mehr nachgelassen, aber ich wollte für mich selbst einen schönen Abschluss haben. Die Saison durchziehen. Nicht nur für mich, auch für alle anderen, die mich in all den Jahren unterstützt haben. Das war mir wichtig. Ach ja, was vielleicht auch ausschlaggebend war: Ich bin mit meiner Cousine den Jakobsweg gelaufen. Diese Reise hat mir in sehr vielen Dingen Klarheit verschafft, unter anderem auch, dass ich mit dem Kunstrad aufhöre. Da ist etwas passiert, was ich nicht ganz beschreiben kann.

Gab es einen entscheidenden Grund?
Schneider: Nein. Aber ich hatte einfach das Gefühl, dass mir mittlerweile die Lust am Sport etwas fehlt. Wenn man das so lange macht wie ich, kommt irgendwann der Punkt, wo alles zur Routine wird. Du machst und tust, es wiederholt sich alles. Ich habe auch gemerkt, dass ich nicht mehr so gerne aufs Training gehe. Es ist so anstrengend, wenn du schauen musst, das Niveau, das du hast, immer halten zu können. Das ist nicht leicht. Dann dachte ich mir, ich muss ehrlich zu mir selber sein. Der Sport hat mir so viel Luft genommen, es hat sich alles so eng angefühlt. Ich will einmal etwas anderes machen, vielleicht öffnen sich neue Türen. Der Funke war nicht mehr da, und ich konnte dieses Gefühl nicht mehr ignorieren. Und ich sagte zu mir: Jetzt musst du aufhören.
Was war denn die Initialzündung beziehungsweise wie sind Sie zum Kunstradsport gekommen?
Schneider: Durch meinen Vater Reinhard Schneider. Er hat zusammen mit Marco Schallert beim RC Höchst Radball gespielt und ist später Trainer geworden. Er hat mich dann auf Wettkämpfe mitgenommen – manchmal werden Radball – und Kunstradbewerbe zusammengelegt – und ich war auf Anhieb von diesen Kunststücken auf dem Fahrrad begeistert. Und dann wollte ich es auch unbedingt machen.
Ihr Vater war also Ihr Trainer. Das ist eine besondere Konstellation. Wie hat das funktioniert?
Schneider: Das Lustige ist, dass sich die Radballer ja über die Kunstradler lustig machen, weil die fahren ja sowieso nur im Kreis herum (lacht). Mein Vater hatte ja keine Ahnung vom Kunstrad und ich habe dann mit Lotte Schobel eine Trainerin bekommen, die mir die Grundlagen beigebracht hat. Mein Vater hat sich dann trotzdem immer mehr eingebracht und sich Tipps geholt. Er hat mich dann immer begleitet, und hat mir, nicht nur was den Sport anbelangt, so viel mitgegeben. Dinge fürs Leben, dass zum Beispiel Erfolg nicht alles ist. Ich sehe das als Geschenk. Wir haben uns immer gut verstanden, aber natürlich kracht es auch mal, wenn der Papa Trainer ist. Da traut man sich einfach mal etwas mehr zu sagen wie bei einer externen Person.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert? Kunstrad zählt wohl eher zu den etwas exotischeren Sportarten.
Schneider: Es ist heute noch so, dass ich meistens erklären muss, wie das genau funktioniert (lacht). Viele können sich nichts darunter vorstellen, dann muss man eben Bilder zeigen. Auch die Frage nach dem Fahrrad selbst wird öfter gestellt, weil ich ja auf dem Sattel stehen kann und so weiter (lacht). Aber es hat sich etwas gebessert, vor allem in Vorarlberg.
Sie haben dann eine beeindruckende Karriere hingelegt. Geben Sie uns doch einen Einblick in Ihre Titelsammlung.
Schneider: Da muss ich kurz nachdenken. Also bei den Junioren war es der österreichische Punkterekord und der Staatsmeistertitel bei den Schülern. Ich hätte damals nicht gedacht, dass es so kommt, das war sehr überraschend. Bei den Junioren habe ich zwei Mal den Europameistertitel gewonnen, das war 2017 und 2019, 2018 die Silbermedaille. Und in der Elite-Klasse war es die Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft 2019, 2023 und 2024.
Gibt es ein persönliches Highlight in Ihrer Karriere, an das Sie gerne zurückdenken?
Schneider: Grundsätzlich muss ich sagen, dass mir der Erfolg nie wichtig war. Highlights sind, wenn ich so zurückdenke, die Freundschaften, die ich geknüpft habe. Obwohl man gegeneinander fährt, versteht man sich. Unser Sport ist sehr familiär, das finde ich wunderschön und schätze das sehr.
Haben Sie auch negative Erfahrungen gemacht?
Schneider: Ich kann wirklich nichts Negatives über diesen Sport sagen. Klar gibt es einmal ein Training, das nicht gut läuft. Aber das ist in jedem Sport so. Das Kunstradfahren hat mir in sehr vielen Lebenssituationen, auch privat, so viel Halt und Sicherheit gegeben. Ich konnte die Gefühle, die ich hatte auf den Wettkampf ummünzen.

Also würden Sie alles noch einmal genauso machen?
Schneider: Ja, auf jeden Fall.
Gibt es eine Person, die Sie besonders inspiriert hat? Ein Idol?
Schneider: Ich wollte schon als Kind – also die Großen waren natürlich immer Vorbilder – fahren wie Adriana Mathis. Ihr Stil, ihre Fahrweise – sie war immer mein Kunstradvorbild.
Was – denken Sie – braucht es, abgesehen von den körperlichen Voraussetzungen, um diesen Sport ausüben zu können?
Schneider: Man braucht sehr viel Zeit und Durchhaltevermögen. Im Kunstrad übst du teilweise jahrelang für eine einzige Übung. Das wissen viele Leute gar nicht. Klar, die einen tun sich da leichter, die anderen dort. Aber bei den meisten dauert es Jahre – für ein einziges Ding. Da brauchst du Geduld, Ausdauer, den richtigen Trainer und eben Zeit. Dazu kommen die vielen Wettkämpfe – das ist ein enormer Aufwand, da ist nicht jeder dafür gemacht.
Sie haben also mit Ihren 24 Jahren in Ihrer Jugend auf viele Dinge verzichten müssen?
Schneider: Ja, das musste ich. Obwohl weder mein Vater noch ich es immer streng genommen haben. Wenn ein Geburtstag oder etwas anderes war, bin ich hin und dann ist das Training am nächsten Tag eben ausgefallen. Das war selten, kam aber vor.
Wie geht es weiter für Lorena Schneider? Gibt es schon Pläne für die Zukunft?
Schneider: Nun ja, ich bin Kindergartenpädagogin, die Arbeit macht mir sehr viel Freude und das werde ich auf jeden Fall weitermachen. Sonst gibt es sehr viele Sachen, die mich interessieren. Andere Sportarten, die ich auch schon ausprobiert habe, aber nicht weiterverfolgen konnte. Zum Beispiel gehe ich gerne zum Bouldern, auch das Surfen habe ich ausprobiert. Da habe ich mir aber nach zehn Minuten die Nase gebrochen (lacht). Ich spiele gerne Gitarre, auch da möchte ich mich noch weiterentwickeln. Ansonsten will ich jetzt einfach einmal Zeit für mich, für meine Freunde und meine Familie.

Sie werden also nicht komplett auf Sport verzichten?
Schneider: Nein, sicher nicht.
Können Sie sich vorstellen, irgendwann zum Kunstrad zurückzukehren? Als Trainerin zum Beispiel?
Schneider: Nein, momentan nicht. Aber vorstellen könnte ich es mir schon. Irgendwann vielleicht.
Zum Abschluss, da ja nun ein neues Kapitel in Ihrem Leben auf Sie wartet, gibt es etwas, das Sie schon immer einmal machen wollten?
Schneider: Das ist eine schwierige Frage, darüber habe ich mir tatsächlich noch keine Gedanken gemacht. Aber dafür habe ich jetzt ja genügend Zeit (lacht). Nein, in erster Linie freue ich mich auf ein neues Kapitel, auf das, was kommt. Ich lasse das alles auf mich zukommen, und schaue, wie gehabt, welche Türen sich für mich öffnen. Ich brauche etwas Abstand von der Vergangenheit und freue mich auf die Zukunft.