Touchdown: Ein Quarterback für den Großhandel

Wie man als Lebensmittelhändler in Zeiten von Inflation, globalen Spannungen und logistischen Herausforderungen in 111 Ländern erfolgreich agiert, erklärt Michael Temel (39), Geschäftsführer der Firma Gunz aus Mäder, ausführlich im Interview mit der NEUE am Sonntag.
NEUE am Sonntag: Fünf Jahre ist es jetzt her, seit Werner Gunz die Unternehmensführung an Sie übergeben hat. Wie lautet Ihr bisheriges Resümee?
Michael Temel: Wir haben den richtigen Zeitpunkt gefunden. Wir haben schon sehr früh mit dem Übergabeprozess begonnen, auch wenn uns Corona dann schon zusätzlich gefordert hat. Dadurch, dass alles gut vorbereitet war, ist sie spurlos über die Bühne gegangen. Jetzt haben wir ein paar tolle Jahre hinter uns. Wir konnten uns glücklicherweise weiterentwickeln – personell, umsatzseitig, in allen Bereichen. Das ist für uns immer ein Gradmesser für die Zukunft. Und wir hoffen, dass es so weitergeht.
NEUE am Sonntag: Es scheint, als folge eine Krise auf die nächste. Was sind aktuell die größten Herausforderungen im Lebensmitteleinzelhandel?
Temel: Die Preistreiber sind sicher eine der größten Herausforderungen. Speziell in unserem Geschäft ist es beispielsweise der Kakao-Bereich, also die Produktion von Schokolade und Pralinen. Hier sind die Preise in den letzten zwei Jahren wegen schlechter Ernten exorbitant gestiegen. Das führt zu anderen Preispunkten im Regal. Gewisse Artikel erreichen eine Schmerzgrenze. Andere Produkte verlieren an Rotation, also an Bewegung im Regal. Wenn eine Pralinenschachtel 5 Euro kostet statt 2,50 Euro, dann ist der Preisanstieg zu groß. Das hält uns aber nicht davon ab, gerade in diesen Segmenten an unserem bewährten Fairtrade-Konzept festzuhalten. Hier gibt es in Österreich nur wenige Firmen, die sich noch stärker bekennen. Das ist Gunz-DNA. Wir sind international tätig, auch in Ländern mit niedriger Kaufkraft. Dort ist es schwierig, wenn die Preise steigen, weil sich viele die Produkte schlicht nicht mehr leisten können.

NEUE am Sonntag: Wie schwierig ist die Preiskalkulation für so viele Länder?
Temel: Wir sind konzeptuell breit aufgestellt, weil wir in vielen verschiedenen Bereichen tätig sind. Wir können Alternativen zu Kakaoprodukten in anderen Produktkategorien abbilden. Wenn ein Bereich verliert, gewinnt ein anderer. Dadurch bleibt der Umsatz stabil. Weil wir keine eigene Produktion haben, sind wir flexibel in der Produktauswahl. Hier profitieren wir von unserem Netzwerk. Somit sind wir flexibler als ein Hersteller selbst.
NEUE am Sonntag: Wie gehen Sie mit dem neuen, heiß diskutierten Lieferkettengesetz der EU um?
Temel: Lieferketten unterscheiden wir immer in zweierlei Hinsicht. Einerseits ist es wichtig, dass es faire Lieferketten gibt – das ist im Interesse aller. Andererseits führt die Dokumentationspflicht in manchen Bereichen dazu, dass es nicht mehr praxistauglich ist. Es braucht eine Balance zwischen Theorie und Praxis. Zu viel Bürokratie erschwert die Umsetzung. Das kann sogar neue Probleme erzeugen. Wichtig ist, dass die Vorgaben praxisnah bleiben, sonst entstehen zusätzliche Engpässe.

NEUE am Sonntag: Was würden Sie sich diesbezüglich von der Politik wünschen?
Temel: Ich glaube, so wie Unternehmen sich digitalisieren müssen, müsste das auch auf Bundesebene möglich sein. Prozesse sollten vereinfacht und verschlankt werden – ob bei Zollabwicklung, internationalem Verkehr oder Lieferkettenthematik. Umso einfacher, umso praxistauglicher, Wir leben von Effizienz, nicht von Bürokratie.
NEUE am Sonntag: Gerade Österreich ist im EU-Vergleich besonders stark von Inflation betroffen. Wie spüren Sie das?
Temel: Besonders in diesem Jahr merkt man es deutlich. In unseren Kernländern sehen wir, dass Kundinnen und Kunden Qualität zwar schätzen, sie sich aber oft nicht mehr leisten können. Sie kaufen gezielter, preisfokussierter. Impulskäufe werden seltener. Preispunkte wie ein oder zwei Euro sind derzeit die Grenzen, bei denen zugegriffen wird. Das spielt uns zum Teil in die Karten, weil wir in diesem Segment stark vertreten sind. Trotzdem ist die Frequenz im Handel insgesamt spürbar zurückgegangen.

NEUE am Sonntag: Ihr Unternehmen sitzt in Mäder, unweit der Schweizer Grenze. Wie beurteilen Sie das Preisgefüge zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz?
Temel: Es ist tatsächlich komplex. In der Schweiz sind gewisse Produkte mittlerweile günstiger als bei uns. Durch die Währungsentwicklung und die niedrigere Inflation dort hat sich der Grenztourismus verändert. Deutschland ist wiederum ein ganz anderer Markt: viel stärker discount- und aktionsgetrieben. Das Preisniveau ist dort oft niedriger, weil der Wettbewerb intensiver ist. Das erklärt auch die oft für die Bevölkerung schwer nachvollziehbaren, unterschiedlichen Preise für dieselben Produkte.
NEUE am Sonntag: Finanzminister Marterbauer erwägt Preiseingriffe bei Lebensmitteln. Sollte die Politik gezielt den Markt regulieren?
Temel: Ich sehe das kritisch. Eingriffe verzerren den Markt. Unternehmen reagieren dann mit kleineren Verpackungen oder ändern Produktzusammensetzungen, um Deckelungen zu umgehen. Das hilft niemandem. Wichtiger ist, die Ursachen zu verstehen: Produktionskosten, Löhne, Steuern, Logistik. Es braucht ein faires Gleichgewicht, keine künstliche Regulierung. Am Ende zahlt sonst immer jemand den Preis – sei es der Mitarbeiter, der Hersteller oder der Konsument.
NEUE am Sonntag: 2013 erstmals über 100 Millionen Euro Umsatz, heute fast doppelt so viel. Was sind die Erfolgsfaktoren?
Temel: Es gibt nicht das eine Erfolgsgeheimnis, sondern viele Bausteine. Wir setzen konsequent auf Eigenmarken. Das war vor 30 Jahren ein mutiger Schritt, heute ist es unser Markenzeichen. Dazu kommt unser Vertriebsnetz mit über 10.000 Kundinnen und Kunden in 111 Ländern. Wir haben effiziente Logistik, flexible Einkaufsstrukturen und entwickeln unsere Produkte strategisch weiter. Unsere Logistiklösung ist einzigartig: Wir können über 1000 Produkte täglich individuell für Kundinnen und Kunden zusammenstellen, ab einem Karton pro Artikel.

NEUE am Sonntag: Wie stark hat sich die Logistik durch Digitalisierung und KI verändert?
Temel: Die Logistik der Abwicklung von großen Warenlieferungen, die wir dann für den Kunden je nach individuellen Produktwünschen auf sein Sortiment aufschlüsseln, zählt zu unseren großen Stärken. Abschließend kommissionieren wir manuell, also jede Palette von Hand. Aber wir optimieren ständig. Laufwege, Datenerfassung, Ausbuchung, alles wird effizienter. Künstliche Intelligenz wird künftig eine große Rolle spielen, um Prozesse zu steuern.
NEUE am Sonntag: Gunz lebt Mitarbeiterbeteiligung und soziale Initiativen. Welche Philosophie steckt dahinter?
Temel: Für uns ist wichtig, dass die Mitarbeitenden gerne zur Arbeit kommen und sich mit dem Unternehmen identifizieren. Wir investieren auch viel in das Arbeitsumfeld und soziale Projekte, wie etwa das Schulheim Mäder oder unsere Fairtrade-Initiativen. In der Republik Côte d‘Ivoire haben wir etwa Schulen und einen Trinkwasserbrunnen errichtet. Das gibt unserer Arbeit Sinn.

NEUE am Sonntag: Sport bekleidet im Hause Gunz auch abseits des SCR Altach eine große Rolle – Kooperationen mit Bayern München, Borussia Dortmund, PSG und nun sogar die NFL. Wie spielt man hier mit?
Temel: Die Idee entstand mit Bayern München. Wir wollten unsere Eigenmarken durch Lizenzen mit bekannten Vereinen ergänzen. Also sind wir damals einfach zur Säbener Straße gefahren und haben angeklopft. Und unsere Hartnäckigkeit sowie unsere Netzwerk in ganz Europa hat letztlich den Ausschlag gegeben. Heute arbeiten wir mit mehreren Clubs zusammen. Und wir dürfen stolz verkünden, dass wir die NFL in Europa vertreten dürfen.. Der Kontakt entstand aus unserer bisherigen Expertise mit Sportlizenzprodukten. Ab 2026 bringen wir die ersten NFL-Produkte in den Handel – rechtzeitig zum Super Bowl. Die Liga hat sich längst in Europa etabliert. Und wir sind stolz, mit unseren Produkten hier ebenfalls mitzumischen.
NEUE am Sonntag: Wieso blickt Ihr Unternehmen positiv in die Zukunft?
Temel: Wir konzentrieren uns auf das, was wir beeinflussen können. Weltpolitische Ereignisse oder etwa eine Zollpolitik, die sich beinahe wöchentlich verändert, liegen nicht in unserer Hand. Wir investieren in Produktentwicklung, Logistik und Digitalisierung. Wir wollen noch schneller und effizienter werden, besonders in der Lieferung. Das Ziel bleibt, stabile Arbeitsplätze zu sichern und nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Wir feiern im kommenden Jahr unser 40-jähriges Bestehen. Also ein hervorragendes Alter, um sich den Herausforderungen zu stellen, die unsere Branche mit sich bringt. Mit unserem Können, unserem Know-how und dem Bewusstsein, Entwicklungen am Markt frühestmöglich zu erkennen und die passenden Antworten in Form unserer Produkte zu liefern.
(NEUE am Sonntag)