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“Niemand zurücklassen muss uns etwas wert sein”

HEUTE • 13:54 Uhr
"Niemand zurücklassen muss uns etwas wert sein"
Caritasdirektor Walter Schmolly ortet dringenden Gesprächsbedarf.Hartinger

Sozialeinrichtungen befürchten für 2026 Kürzungen von 15 Millionen Euro – es herrscht Unsicherheit. Caritasdirektor und AGV-Obmann Walter Schmolly erklärt, welche Folgen drohen und warum aus seiner Sicht dringender Gesprächsbedarf besteht.

Sie sind auch Obmann des Arbeitgebervereins für private Sozial- und Gesundheitsorganisationen (AGV). An der außerordentlichen Versammlung waren an die 90 Einrichtungen vertreten. Im Zentrum standen dabei Gespräche mit Landesrätin Martina Rüscher, Landesrat Daniel Allgäuer und Gemeindeverbandspräsident Walter Gohm. Wie verliefen die Gespräche?
Walter Schmolly: Den Einrichtungen geht es vor allem darum, die Auswirkungen der angekündigten Kürzungen möglichst sachlich darzustellen. Diese Kürzungen haben Auswirkungen auf Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, auf die Mitarbeiter und ihre Arbeitsbedingungen und auch auf die Möglichkeiten der Einrichtungen, Freiwilligenengagement zu unterstützen. Die bisherigen Gespräche haben zwei Ergebnisse gebracht: Zum einen sind die Tarife seitens des Sozialfonds ein wenig nachgebessert worden, zum andern hat Landesrätin Martina Rüscher die Einrichtungen, bei denen Klienten oder Patientinnen von den Kürzungen betroffen sind, zu Einzelgesprächen eingeladen.

"Niemand zurücklassen muss uns etwas wert sein"
Walter Schmolly im Gespräch mit der NEUE. Hartinger

Befürchtet werden seitens der Sozialeinrichtungen für 2026 Kürzungen von 15 Millionen Euro. Inwieweit ist diese Zahl aktuell?
Schmolly: Die Hochrechnung des Sozialfonds geht für 2025 davon aus, dass Land und Gemeinden einen Beitrag von 386 Millionen Euro leisten. Um das bestehende Angebotsniveau zu halten, müssten 2026 inklusive der Teuerungsabgeltung 396 Millionen von Land und Gemeinden in den Sozialfonds investiert werden. Laut Landesbudget 2026 sind es aber nur 381. Es fehlen im Sozialfonds im kommenden Jahr also 15 Millionen Euro.

Es geht auch um neue Tarife. Können Sie das näher erläutern?
Schmolly: Tarif heißt hier: Es gibt für jede vom Sozialfonds beauftragte Dienstleistung eine Vereinbarung zwischen dem Sozialfonds und der beauftragten Einrichtung, wie viel der Sozialfonds für das Erbringen einer Einheit dieser Dienstleistung bezahlt, also zum Beispiel für eine Stunde Suchttherapie. Da gab es bisher mehr als 300 Einzelvereinbarungen. Künftig will der Sozialfonds nur noch mit vier Tarifen arbeiten. Alle Tarife, die bisher über diesen neuen Tarifen gelegen sind, werden gekürzt.

"Niemand zurücklassen muss uns etwas wert sein"

Was haben die finanziellen Kürzungen für Auswirkungen auf die Sozialen Einrichtungen?
Schmolly: Wenn es so bleibt, wie es angekündigt worden ist, gibt es einige Dienstleistungen, die mit den neuen Tarifen nicht kostendeckend angeboten werden können. Folglich müssten einige Angebote gekürzt oder eingestellt werden.

Gibt es noch Gespräche?
Schmolly: Neben den vereinbarten Einzelgesprächen mit Einrichtungen, ob und in welchem Umfang einzelne Angebote fortgeführt und finanziert werden, braucht es vor allem auch Gespräche in Bezug auf die laufenden Kollektivvertragsverhandlungen. Von Seiten des Sozialfonds ist angekündigt, dass die Teuerung 2026 nicht zur Gänze abgegolten werden wird. Zusätzlich zu den Tarifkürzungen geht sich das für die Einrichtungen definitiv nicht mehr aus. Damit ein Kollektivvertragsabschluss möglich ist, müssen sich Land und Gemeinden in diesem Punkt bewegen. Diesbezügliche Gespräche sind im Gange. Die nächste Verhandlungsrunde mit der Gewerkschaft ist am 8. Jänner 2026.

"Niemand zurücklassen muss uns etwas wert sein"

Vor Weihnachten präsentierten das Land und die Gemeinden die Sozialfondsstrategie 2030. Ihre Meinung dazu?
Schmolly: Positiv zu bewerten ist, dass der Sozialfonds sich künftig stärker an Wirkungen ausrichten will. Was gänzlich fehlt, ist ein Finanzrahmen des Sozialfonds für die nächsten Jahre. Für die strategische Planungssicherheit wäre das etwas vom Wichtigsten. Die angeführten Strukturveränderungen, beispielsweise Care-Regionen und Sozialraumbüros, sind im Wesentlichen noch Überschriften, die sehr viele Fragen aufwerfen. Ob und wie weit diese Ideen realitätstauglich sind und für die Betroffenen zu einer Verbesserung führen, muss sich erst noch zeigen. Schade, dass hier im Vorfeld kaum gemeinsam an Klärungen gearbeitet worden ist.

Zur Person

Name: Walter Schmolly
Geboren: 6. Februar 1964
Caritas-Direktor seit: 2015
Ausbildung: Studien der Mathematik und der Theologie
Vorherige Berufe: Universitätsassistent (1994–1998), Leiter des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg (1999–2005), Leiter des Pastoralamtes (2005–2015)
Hobbys: Bewegung, Lesen

In welchem Ausmaß betreffen die angekündigten Kürzungen die Caritas?
Schmolly: In der Caritas betreffen die angekündigten Kürzungen, die ambulanten Dienstleistungen für Menschen mit Beeinträchtigungen, die Suchtberatung und -therapie, die Sozialberatung und die Notschlafstelle. Aber wie gesagt: Wir sind zu diesen Angeboten noch im Gespräch mit dem Land.

"Niemand zurücklassen muss uns etwas wert sein"
Landesrätin Martina Rüscher. Stiplovsek

Wie geht die Caritas mit den Kürzungen um?
Schmolly: Wir werden darum kämpfen, dass es möglichst zu keinen Kürzungen kommt, die unmittelbar Menschen betreffen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Darüber hinaus müssen wir dann natürlich möglichst rasch die Ausgaben an die Einnahmen anpassen. Bleibt es bei den Kürzungen im angekündigten Ausmaß, wird das eine sehr schwierige Aufgabe, weil wir bisher schon sehr sparsam wirtschaften. Wir werden auf alle Fälle einmal mehr die Sachkosten anschauen, Optimierungsmöglichkeiten in den Arbeitsprozessen suchen und möglicherweise werden wir auch die eine oder andere Stelle nicht mehr nachbesetzen können.

Ein Rückschlag für die Arbeit der Caritas?
Schmolly: Letztlich geht es nicht um die Caritas. Es geht um die Menschen in unserem Land und es geht um eine gute gesellschaftliche Entwicklung. Wissen muss man: Über die Lebensspanne hinweg ist faktisch jede Familie in Vorarlberg auf Dienstleistungen angewiesen, die aus dem Sozialfonds finanziert werden. Da braucht es seitens der Politik wirklich Augenmaß.

Strategie Sozialfonds 2030
Vor Weihnachten wurde die Strategie Sozialfonds 2030 präsentiert. vlk

Was sind die Hauptaufgaben für 2026, gibt es Schwerpunkte?
Schmolly: Es ist anzunehmen, dass sich viele soziale Problemlagen durch die großen gesellschaftlichen Veränderungen verschärfen werden. Der erste Fokus der Caritas ist die Bekämpfung der Armut. Die Zahl der Menschen, die in manifester Armut, also mit schwerwiegenden Entbehrungen leben müssen, hat sich in Österreich von 2021 auf 2024 mehr als verdoppelt. Hier muss gegengesteuert werden. Der zweite Fokus ist die Chancengerechtigkeit. Das betrifft vor allem unser Engagement für Kinder, angefangen im Familienhaus St. Michael und bei der Familienhilfe über die Lerncafés bis hin zur youngCaritas. Und drittens wollen wir unser Möglichstes beitragen, dass Menschen sich in ihren Nachbarschaften und Gemeinden gut und gerne füreinander engagieren, weil Herausforderungen wie etwa die wachsende Einsamkeit nur so angegangen werden können. Da geht es insbesondere auch um die Unterstützung von Freiwilligen.

Noch ein Rückblick: In welchen Bereichen hatte die Caritas 2025 am meisten zu tun?
Schmolly: Da haben sich zum einen die Aufgaben für das kommende Jahr bereits angebahnt und uns gefordert. Zum anderen waren in nahezu jedem unserer Arbeitsfelder Weiterentwicklungen erforderlich: von einer Fachstelle für Essstörungen bis hin zum Neudenken der Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigung.

Ein großes Thema war und ist sicher auch weiterhin die Existenzsicherung.
Schmolly: Das ist richtig. Die Krisen der letzten Jahre treffen Familien und Haushalte mit kleinen Budgets härter und anhaltender. Da gibt es eine Gruppe von drei bis vier Prozent der Bevölkerung, die immer mehr den Anschluss verliert. Das ist gesellschaftlich eine kritische Entwicklung.

"Niemand zurücklassen muss uns etwas wert sein"
Caritasdirektor Walter Schmolly. Hartinger

Sind auch Kinder betroffen?
Schmolly: Zu den am meisten in Österreich von Armut betroffenen Menschen zählen alleinerziehende Frauen und Mehrkindfamilien, und damit natürlich Kinder. Kinder sind in Österreich sogar überdurchschnittlich von Armut betroffen, nämlich mit fünf Prozent, also knapp 1,5 Prozentpunkte über der Betroffenheit der Gesamtbevölkerung. Wir sehen das auch an unseren Caritas-Beratungsstellen: In den ersten drei Quartalen dieses Jahres waren 38 Prozent der Personen, die unterstützt worden sind, Kinder. Diese hohe Armutsbetroffenheit von Kindern wiegt insofern besonders schwer, als Kinderarmut letztlich Chancenarmut bedeutet und die Lebensläufe der Betroffenen bis ans Lebensende mitprägt.

Wie steht es um die Freiwilligenarbeit bei der Caritas?
Schmolly: Sie gehört seit jeher zu unserem Kernauftrag und das in allen Bereichen. Rund 1000 Freiwillige arbeiten in der Caritas derzeit mit. Unsere Gesellschaft funktioniert, weil Menschen füreinander da sind.

Abschließend: Was wünschen Sie sich für das neue Jahr?
Schmolly: Wir müssen offen darüber sprechen, was es uns wert ist, niemanden zurückzulassen. Von der Politik wünsche ich mir, dass sie den Sozialbereich als das sieht, was er ist. Nämlich eine zentrale Lebensader einer funktionierenden Gesellschaft, und dass Veränderungen transparent und gemeinsam gestaltet werden. Und für uns alle wünsche ich: Mut zu Vertrauen, Hoffnung und Kooperation.