Zu Tode gequält – ein historischer Kriminalfall

Im Sommer 1915 kommt auf einer von Bregenzerwäldern bewirtschafteten Alpe ein Kind um.
In der Nacht vom 29. August 1915 wird die Leiche des erst zehnjährigen Leopold Meusburger nach Großdorf gebracht. Der Bub, der auf der Alpe Oberhelmingen auf der bayerischen Seite des Lecknertals für den Wälder Bauern Ignaz Meusburger als sogenannter Pfister die Rinder gehütet hat, sei an der Gicht gestorben – so wird behauptet. Doch dem Egger Gemeindearzt Dr. Feuerstein kommen bei der Totenbeschau rasch Zweifel an dieser Darstellung. Der Körper des Kindes weist mehrere Verletzungsspuren auf. Der Mediziner untersagt die Beerdigung und verständigt das Bezirksgericht in Bezau.
Das Ergebnis der draufhin angeordneten Obduktion bestätigten das Misstrauen des Gemeindearztes: Das Kind ist massiv misshandelt worden. Wunden an den Zehen, am Gesäß und am Schädel zeugen vom Martyrium des kleinen Leopold. Die Wunden seien dem Kind „zum überwiegenden Teil in den letzten Tagen vor Eintritt des Todes“ zugefügt wurden, berichtete das „Vorarlberger Volksblatt“.
Offenkundige Täter
Als Täter kommen nur der zum Tatzeitpunkt 20-jährige ledige Sohn des Pächters, Alpsenn Johann Konrad Meusburger, sowie der 14-jährige Knecht Johann Ulrich Fetz infrage. Die beiden haben gemeinsam mit dem Hirtenbuben die Alpe bewirtschaftet. Nachdem ein erfahrener älterer Senn den Sennbetrieb talwärts verlässt, wird er von Fetz abgelöst. Als der Teenager auf die Alp kommt, wird der jüngere Bub zum Ziel von Angriffen der beiden älteren.
Das Kind habe wiederholt gelogen, wird sich Fetz später rechtfertigen. Schläge und Brandwunden. Ihm und Johann Konrad Meusburger wird das Verbrechen der „schweren körperlichen Beschädigung“ im Zusammenhang mit dem Tatbestand der „Tödtung bei einer Schlägerei oder bei einer gegen eine oder mehrere Personen unternommenen Mißhandlung“ vorgeworfen. Das entspricht in etwa der heutigen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang.
Wäre die Staatsanwaltschaft davon ausgegangen, dass Meusburger und Fetz den Tod des Hirtenbuben zumindest für möglich gehalten und sich damit abgefunden hätten, wäre auch eine Mordanklage infrage gekommen. Dass man heute noch zu einer ähnlichen juristischen Bewertung kömmen würde, darf bezweifelt werden.

Innsbrucker Nachrichten/anno
Das Kind wird im Sommer 1915 vom Senn und dem Knecht offenbar zu Tode gefoltert. Sie fügen ihm Brandwunden zu und schlagen ihn mit einem Strick. Wie eine Zeitung später berichtet, quälten sie ihn „oft durch eine Viertelstunde oder noch länger, ohrfeigten ihn, rissen ihn an den Haaren, prügelten ihn mit den Händen, oft auch mit Stöcken“.
Für sich genommen sei jedoch keine der Verletzungen lebensgefährlich gewesen, hieß es. Allerdings habe „ihre Gesamtheit infolge der Wirkung auf das Herz und Zentralnervensystem zum Tode des Knaben“ geführt. Leopold Meusburger dürfte also an einem Herz-Kreislauf-Schock gestorben sein. Die beiden späteren Angeklagten und auch die Eltern des 20-Jährigen Senns werden zunächst verhaftet. Der Jugendliche und der junge Erwachsene gestehen bei ihrer Einvernahme die Schläge ein, die Brandwunden schieben sie aber auf einen angeblichen Unfall. Der Bub sei ins Feuer gefallen, als er sich habe wärmen wollen. „Im Ort selbst aber war das Gerücht verbreitet, die Senner hätten den Buben in den Sennkessel gesteckt und diesen über das Feuer gestellt“, berichtet eine Zeitung.
„Der Tod des Leopold Meusburger ist eine Folge der fortdauernden Mißhandlungen desselben auf der Alpe Oberhelmingen und die Angeklagten die einzigen derselben, außer dem Getöteten“.
Innsbrucker Nachrichten vom 17. Dezember 1915
Fetz wird aufgrund seines Geständnisses, in dem er sich selbst massiv belastet, in Untersuchungshaft genommen. Der Fall ruft nationale Aufmerksamkeit hervor. Das Wiener „Neuigkeits-Welt-Blatt“ schreibt von einem unerhörten Fall „tierischer Bosheit“ und bezeichnet Meusburger und Fetz als „menschliche Bestien“.
Die Anklage vertritt der Erste Staatsanwalt und spätere Landesgerichtspräsident Emil von Stefenelli zu Hohenmauer und Prenterhof, als vorsitzender Richter fungiert der k. k. Landesgerichtsrat August Machesani. Den beiden Angeklagten werden Pflichtverteidiger gestellt. Beide werden schuldig gesprochen. Meusburger erhält zweieinhalb, Fetz eineinhalb Jahre schweren Kerker. Es sind verhältnismäßig milde Strafen, doch der schwere Kerker ist die damals schärfste Haftform. Außerdem müssen sie vierteljährlich einen Tag lang hungern.
Unstetes Leben und Unfall
Fetz pflegt nach seiner Entlassung einen unsteten Lebenswandel. Vermutlich wird er 1919 wegen Butter- und Käseschmuggels bestraft. 1926 verweist ihn die Bregenzer Stadtvertretung „wegen bescholtenen Lebenswandels“ des Stadtgebietes – eine Maßnahme, die nach dem damaligen Heimatrecht möglich ist. Fetz beruft dagegen erfolglos. Der zweite Täter, Johann Konrad Meusburger, schafft es 1929 noch einmal in die Zeitungen, als er sich in der Sandgrube zwischen Egg und Großdorf beim Holzverladen lebensgefährlich an der Wirbelsäule verletzt. Ob und wie er überlebt, ist aber nicht verbürgt.