“Es ist klar, dass sie dann nach Lindau zum Kiffen fahren”

In Deutschland soll es zu einer Liberalisierung bei Cannabis kommen. Heimische Experten beurteilen das Vorhaben unterschiedlich.
Es wird davon ausgegangen, dass zwischen 30 und 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung zumindest einmal in ihrem Leben Cannabis geraucht haben“, sagt Philipp Kloimstein, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Primar am Krankenhaus Maria Ebene, dem Kompetenzzentrum für Suchterkrankungen im Land. Die Diskussion, wie damit umgegangen werden soll, läuft allerdings seit Jahren – sehr kontrovers und oft auch emotional.
In Deutschland hat die Regierungskoalition aus SPD, Grünnen und FDP nun ihre Pläne für einen Gesetzesentwurf zur Cannabis-Liberalisierung präsentiert (Eckpunkte siehe Factbox). Seither wird heftig darüber diskutiert – eine Debatte, die auch hierzulande beobachtet wird.

Zustimmung
Der Hohenemser Sozialarbeiter und Stadtpolitiker Bernhard Amann setzt sich seit Jahren als Obmann des Vereins „Legalize It!“ für die Legalisierung von Cannabis ein. Positiv am deutschen Vorstoß bewertet er, dass der private Anbau möglich sein wird und „somit der Staat nicht überall seine Finger drin hat“. Schwierig würden halt die Kontrollen, meint er.
Auch die geplanten „Social Clubs“ sieht der Sozialarbeiter als gute Lösung – mit dem Argument, dass man sich da „gegenseitig kontrollieren“ könne. Dort seien Menschen vor Ort, die kompetent sind, ist er überzeugt. Kritik übt Amann indes daran, dass zumindest vorerst kein großflächiger öffentlicher Verkauf geplant ist, sodass es wieder einen Schwarzmarkt geben werde. „Es fehlen Fachgeschäfte, in denen Cannabis frei erworben werden kann.“
Die Legalize-It!-Initiative hatte die Freigabe – im Gegensatz zum deutschen Entwurf – schon ab 16 Jahren gefordert, analog zum Wahlalter. Eine Forderung, der Primar Kloimstein nichts abgewinnen kann – im Gegenteil. „Ich hätte kein Problem damit gehabt, wenn die Abgabe erst mit 21 Jahren erfolgen würde“, sagt der Arzt zur deutschen Altersgrenze. „Dass Cannabis ab 18 Jahren kein Problem sein soll, sehe ich kritisch“ – auch in Hinblick auf die Gehirnentwicklung in dieser Altersgruppe. Das, was jetzt in Deutschland vorliege, sei ein „Kompromiss der Kompromisse“, stellt Kloimstein fest. Zugleich sehe man an den Diskussionen, welchen gesellschaftlichen Zündstoff die Thematik besitze.
Jugendschutz
Kloimstein kritisiert vor allem, dass die deutschen Pläne keine wirklichen Jugendschutzbestimmungen enthielten. Er geht davon aus, dass man von den ursprünglichen, weiter gefassten Plänen deshalb zurückgerudert sei, weil man die Gefahren erkannt habe, die in einer Liberalisierung stecken. Wichtig sei aber, dass man sich der Diskussion stelle, sagt der Suchtexperte, und die Konsumenten entkriminalisiere.
In Österreich sei es derzeit nicht einmal möglich, sich auf einen Cannabis-Grenzwert für den Straßenverkehr zu einigen, stellt Kloimstein fest. Und angesichts der heftigen Diskussionen in Deutschland würden sich hiesige Politiker davor hüten, die Thematik anzufassen, ist er überzeugt. „Nachdem rundum überall liberalisiert wird, will ich schauen, wie Österreich damit umgeht“, sagt Amann in Hinblick auf mögliche diesbezügliche Entwicklungen hierzulande. „Die kommen da schon auch unter Druck“, glaubt er.
Forschung
Positiv am deutschen Vorhaben sieht Kloimstein, dass es in einem weiteren Schritt Modellregionen geben soll, in denen der Verkauf über lizenzierte Fachgeschäfte wissenschaftlich untersucht werden soll. „Es ist gut, dass auch geforscht wird und damit Fakten geschaffen werden.“ Für ihn wäre bei der Thematik in einem ersten Schritt auf jeden Fall eine Entkriminalisierung der Konsumenten wichtig. In Hinblick auf deren Zahlen wäre aktuell ja fast „jeder zweite Österreicher ein Verbrecher“. Er würde zudem die Einführung eines Grenzwerts im Straßenverkehr begrüßen. „Wichtig ist aber auch, dass man über Cannabis nicht nur rechtlich redet, sondern auch Hilfsangebote schafft“, betont der Primar.

„Die Jüngsten, die zu uns wegen Cannabis kommen, sind 12, 13 Jahre alt.“
Bernhard Amann, Sozialarbeiter und Stadtrat
Jugendschutz ist auch für Bernhard Amann, der nach wie vor in der Drogenberatungsstelle Ex & Hopp in Dornbirn tätig ist, ein Thema. „Die Jüngsten, die zu uns wegen Cannabis kommen, sind 12, 13 Jahre alt“, erzählt er. Da müsse man dann schauen, was man machen könne. Einige in dieser Altersgruppe würden Cannabis auch als Selbstmedikation gegen Angststörungen und Panikattacken verwenden, so die Erfahrungen des Sozialarbeiters, und deren Zahl sei nach der Coronapandemie gestiegen. „Wir haben auch vermehrt Anfragen von besorgten Eltern“, erzählt Amann.
Er ist sich sicher, dass die deutsche Liberalisierung auch zu einem „Drogen-Tourismus“ aus Vorarlberg führen wird: „Die Leute fahren ja jetzt schon nach Amsterdam und es ist schon klar, dass sie dann nach Lindau zum Kiffen fahren, das noch viel näher ist.“
Liberalisierung
Die deutschen Pläne
Kauf und Besitz von maximal 25 Gramm Cannabis ab einem Alter von 18 Jahren sollen grundsätzlich straffrei sein.
Der Eigenanbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen pro Volljährigem soll erlaubt werden.
Anbau und Abgabe soll in speziellen Vereinen bzw. Klubs („Cannabis Social Clubs“) für Mitglieder ermöglicht werden.