Sternstunde der Menschheit

Bischof Benno Elbs über die Geburt Jesu als Sternstunde der Menschheit, die seiner Meinung nach trotz der der herausfordernden Zeiten auch nach über 2000 Jahren ihre Strahlkraft nicht verloren hat.
Eine sanfte Revolution
„Sternstunden der Menschheit“ – so lautet der Titel eines Buches von Stefan Zweig. Es ist eine Sammlung von kurzen Erzählungen über historisch bedeutende Ereignisse, die die Welt nachhaltig verändert haben: etwa der Aufstieg und Fall des Napoleon Bonaparte, die Reise zum Mittelpunkt des Südpols oder die Friedensverhandlungen nach dem 1. Weltkrieg.

Ein Ereignis, das in dieser Zusammenstellung Zweigs nicht erwähnt wird, möchte ich ergänzen: nämlich die Geburt Jesu. Für mich ist sie die Sternstunde der Menschheit schlechthin – und das nicht nur, weil die Bibel berichtet, dass ein Stern über der Krippe von Bethlehem die Dunkelheit der Nacht durchbricht und damit symbolisch steht für das helle Licht, das mit dem Kind in der Krippe in die Welt kommt. Eine Sternstunde der Menschheit ist die Geburt Jesu vor allem deshalb, weil sich in ihr eine stille Revolution vollzieht. Die Welt danach war nicht mehr dieselbe wie davor. Sowohl das Gottes- als auch das Menschenbild wurden auf den Kopf gestellt. Gott ist nicht mehr der unbekannte Andere, unzugänglich und fremd. Gott wird ein Kind und bindet, wie John Henry Newman schrieb, seine Allmacht an die Windeln der Ohnmacht.

,,Ich denke in diesen Tagen etwa an jene Menschen, die einsam sind und für die gerade die weihnachtliche Stille keine Sternstunde, sondern eine Zumutung ist -besonders auch heute am Heiligen Abend.”
Diözesanbischof Benno Elbs
Nicht nur Gott, auch der Mensch ist nach der Geburt Jesu ein anderer. Er wird zur Heimstätte Gottes und damit mit einer Würde beschenkt, die größer nicht sein kann. Weihnachten zeigt uns daher, dass wir vom Menschen groß denken müssen, da seine Welt auch die Welt Gottes geworden ist. Wie klein und banal wir hingegen vom Menschen denken, zeigt sich daran, dass wir umgangssprachlich bei Respektlosigkeit, Habgier, Neid oder Eitelkeit sagen: „Das ist menschlich“, oder: „Hier menschelt es“. Müsste es nicht umgekehrt sein? Müssten wir nicht, wenn wir von Fairness, Gerechtigkeit, Treue, Mitmenschlichkeit oder Solidarität sprechen, sagen: „Das ist wahrhaft menschlich?“
„Angebot der Liebe“
Dieser Weg zu einer erneuerten Menschheit beginnt mit einem Rollenwechsel: Der große Gott wird ein kleines Kind. In Jesus zeigt sich der ewige Gott in der endlichen, zerbrechlichen Gestalt eines Säuglings. Jahrhundertelang haben sich Menschen darüber Gedanken gemacht, warum Gott ausgerechnet als Kind auf Erden erscheint und nicht etwa als reicher König oder starker Weltenherrscher. Bernhard von Clairvaux hat im 12. Jahrhundert eine, wie ich finde, unübertroffen schöne Antwort darauf gefunden. Er hat Weihnachten das „Angebot der Liebe“ genannt. Damit wollte er sagen: Gott wird deshalb ein Kind, damit sich auch die Hartherzigen und die, die von Friede und Versöhnung nichts wissen wollen, wenigstens durch das Angebot der Liebe eines Kindes umstimmen lassen. Gott wurde also deshalb ein Kind, weil er wusste, dass nichts unser Herz so sehr anspricht und berührt wie ein kleines Kind. Gibt es – abgesehen von brutalen Terroristen – jemanden, der sich dem Angebot der Liebe eines Kindes ernsthaft entziehen kann? Durch die Geburt Jesu versucht Gott, in der Gestalt eines Kindes Liebe, Zuneigung und Zärtlichkeit in den Herzen der Menschen zu entfachen. Das ist im Grunde die höchste und äußerste Form der Einladung, die er aussprechen kann.

Wenn wir diesen Gedanken noch weiterführen, erkennen wir, dass das Geschehen der Krippe auch Auswirkungen hat auf unser Miteinander. Denn in dem Maße, in dem Gott lernt, mit den Augen eines Kindes die Welt zu betrachten, sind auch wir eingeladen, ja aufgerufen, aus der Perspektive eines Kindes auf unser Leben zu schauen. Was aber braucht ein Kind, damit es wachsen und Vertrauen in die Welt gewinnen kann? Ein Lächeln, die Liebe der Eltern, Herzenswärme, Geborgenheit, Geduld und vieles mehr. Wenn wir vor der Krippe stehen, wissen wir, was es braucht, um Mensch zu sein; und dasselbe ist auch nötig, um die Welt gerechter und menschlicher zu gestalten. Die Geburt Jesu lehrt uns, die Welt von einem Kind und seinen Bedürfnissen her zu denken. Denn nicht nur ein Kind, sondern auch viele Menschen an verschiedenen Orten verlangen nach Frieden, Lebensperspektiven, Freiheit und menschenwürdiger Behandlung. Auf ihre Stimmen zu hören, ist, finde ich, die beste Einstimmung auf Weihnachten.
,,Einen klaren Sternenhimmel betrachten zu können, erlebe ich immer als großes Geschenk.”
Diözesanbischof Benno Elbs
Nächte des Lebens
Es gehört darum auch zu den erfreulichen Erfahrungen, dass an keinem anderen Fest die Sensibilität für die Licht- und Schattenseiten, die unsere Existenz durchziehen, so hoch ist wie zu Weihnachten. Nie sind die Solidarität und die Bereitschaft zu helfen so stark spürbar wie jetzt. Die lichtvollen Momente der Hilfs- und Spendenbereitschaft, die ungebrochen groß ist, werfen zugleich auch ein Schlaglicht auf verborgene Armut und verstecktes Leid. Zu Weihnachten trifft die Erfahrung der Unerlöstheit und Unvollkommenheit des Lebens auf die Hoffnung nach Heil und Heilung. Die Aussage, dass Weihnachten erst dann wirklich wird, wenn die Idylle perfekt ist, ist falsch. Auch bei der Geburt Jesu war es Nacht – faktisch und im übertragenen Sinn. Er kam in einer Notunterkunft zur Welt und teilte das Schicksal der vielen, für die kein Platz ist. Die Geburt Jesu hat die Dunkelheit aus der Welt zwar nicht verbannt. Aber sie hat die Nächte des Lebens zu einer heiligen Nacht gemacht und zu einer Sternstunde für die ganze Menschheit, die selbst nach 2000 Jahren ihre Strahlkraft nicht verloren hat und auch heute offene Ohren und offene Herzen sucht.
Zur Person
Benno Elbs
Geboren am 16. Oktober 1960 in Bregenz. Aufgewachsen in Langen bei Bregenz. Theologiestudium mit Promotion an der Universität Innsbruck (Auslandsjahr in Paris). Diplom in Logotherapie und Existenzanalyse. 1986 Priesterweihe, von 1986 bis 1989 Kaplan in Bregenz-Mariahilf und Religionslehrer. Ab 1. September 1989 Spiritual des Bischöflichen Studieninternats Marianum, ein Jahr später Rektor. Ab 1994 Pastoralamtsleiter der Diözese Feldkirch, ab 2005 Generalvikar, ab 2011 Diözesanadministrator. Seit 2013 Bischof von Feldkirch. Im Spetember wurde Elbs als Interimsleiter für den vakanten Bischofssitz der Erzdözese Vaduz (FL) bestellt.