Vorarlberg

“Die Teuerung macht auch vor der Arbeiterkammer nicht Halt”

06.01.2024 • 16:00 Uhr
In der Bibliothek der Arbeiterkammer posiert Bernhard Heinzle für die NEUE. <span class="copyright">Hartinger</span>
In der Bibliothek der Arbeiterkammer posiert Bernhard Heinzle für die NEUE. Hartinger

Bernhard Heinzle, Präsident der Arbeiterkammer Vorarlberg, erklärt, wie er mehr Leute bei den AK-Wahlen mobilisieren will und warum er die Pflichtmitgliedschaft bei der Kammer für unverzichtbar hält.

Dieses Jahr wird ein wichtiges für die Arbeiterkammer, denn es stehen vom 26. Jänner bis zum 8. Februar die AK-Wahlen an. Welche Ziele peilen Sie bei der Wahl an?

Bernhard Heinzle: Das erste Ziel ist, dass die Wahlbeteiligung gleich hoch ist oder noch höher wird. Das zweite Ziel ist, dass unsere Fraktion (FCG, Anm. d. Red.) die Zahl der Mandate hält oder noch mehr dazugewinnt. Das ergibt eine gewisse Herausforderung, denn es gibt sechs Gegenlisten.

Welche Inhalte möchten Sie umsetzen, wenn Sie wieder zum AK-Präsidenten gewählt werden?

Heinzle: Das werden Themen sein, die uns jetzt schon beschäftigen: von der Situation bei der Kinderbetreuung bis hin zu Wohnen, Kreditzinsen und Pflege. Auch mit künstlicher Intelligenz und Digitalisierung werden wir uns in Vorarlberg mehr beschäftigen müssen. Ich stelle mir die Frage, was das für unsere Arbeitnehmer bedeutet, wo der Wandel in den Berufen liegt und wie wir sie bei diesem Thema begleiten können, sodass niemand auf der Strecke bleibt.

Für die AK ist 2024 ein Wahljahr. <span class="copyright">Hartinger</span>
Für die AK ist 2024 ein Wahljahr. Hartinger

Bei der letzten AK-Wahl 2019 lag die Wahlbeteiligung bei gerade einmal 36,59 Prozent. Wie erklären Sie sich die geringe Wahlbeteiligung bei AK-Wahlen?

Heinzle: Das liegt erstens an der Komplexität des AK-Wahlgesetzes. Es wird nicht an einem Sonntag gewählt, es gibt verschiedene Arten zu wählen, und nur die Arbeitnehmer sind wahlberechtigt. Das Hauptproblem ist, dass die Leute zwar sagen, die Arbeiterkammer sei super – wir haben beste Umfragewerte –, aber nicht einsehen, warum sie wählen sollen. Da liegt für uns eine gewisse Herausforderung, die Wähler zu mobilisieren. Dahingehend sind wir aber schon besser geworden, und wir werden noch mehr in die Mobilisierung investieren. Wir möchten vermitteln: Durch ihre Stimme stärken die Wähler die Arbeiterkammer.

Was muss getan werden, um mehr Menschen bei den AK-Wahlen 2024 zur Wahlurne zu bewegen?

Heinzle: Ich kann Interviews geben und sagen: „Bitte nehmt an der Wahl teil!“ Natürlich wird auch der Wahlkampf zur Bekanntmachung beitragen.

Die Rückstellung für die AK-Wahl 2024 ist in Vorarlberg höher als in Kärnten und in Salzburg. Warum braucht die AK Vorarlberg mehr Geld für die Wahl 2024 als diese beiden größeren Bundesländer?

Heinzle: Wir haben diese Rückstellungen zur Sicherheit so hoch angesetzt. Unser Ziel ist, mit diesen Rückstellungen sparsam umzugehen. Aber im Gegensatz zu Gemeinderats-, Landtags- und Nationalratswahlen organisieren wir die ganze AK-Wahl selbst. Wir haben keine Gemeinde oder Bezirkshauptmannschaft im Hintergrund, die das für uns übernimmt. Auch die Preise für Briefpapier und Porto sind extrem gestiegen.

Bernhard Heinzle im Gespräch mit der NEUE am Sonntag. <span class="copyright">Hartinger</span>
Bernhard Heinzle im Gespräch mit der NEUE am Sonntag. Hartinger

Auch die Parteienförderung an die einzelnen AK-Fraktionen ist höher als in Salzburg, Tirol und Kärnten, die größer sind als Vorarlberg, und gar dreimal so hoch wie im Burgenland. Warum brauchen die Kammerfraktionen so viel Parteienförderung?

Heinzle: Darüber haben wir in Vorarlberg lange diskutiert. Ich finde, Demokratie sollte uns etwas wert sein. Die Fraktionen sparen vier Jahre lang, um dann einen Wahlkampf zu machen. Sie sollen im Rahmen ihrer Stärke mobilisieren können. Seit dem Jahr 2020 haben wir im Gegensatz zu den klassischen Parteien die Fraktionsmittel nicht mehr erhöht.

Die Metaller haben nach langen Verhandlungen einen Kollektivvertrag. Sie haben sich stets hinter die Arbeitnehmer gestellt und ihre Forderung von über elf Prozent unterstützt. Sind Sie mit der jetzigen Einigung zufrieden?

Heinzle: Wir stellen fest, dass die jetzigen Abschlüsse die Inflation abdecken oder etwas darüber sind. Das war unser Ziel, die Erhaltung der Kaufkraft. Deshalb gratuliere ich den Betriebsräten zum Abschluss der Lohnerhöhungen. Auch der Kollektivvertrag für den Sozial- und Pflegebereich in Vorarlberg, der in meiner Wahrnehmung sehr schwierig war, ist mit einer Erhöhung auf 9,2 Prozent abgeschlossen, was eine großartige Leistung ist.

Die Metaller haben während den Verhandlungen mehrmals gestreikt. Gefährden die Streiks auf Dauer den sozialen Frieden in Österreich?

Heinzle: Unser Ziel ist, mit einer gut funktionierenden Sozialpartnerschaft am runden Tisch Lösungen zu finden. Das ist eine Kultur, die wir wieder erlernen müssen. Wenn die Arbeit­nehmer ihr Ziel nicht erreichen, gibt es eben Betriebsversammlungen und Streiks, auch in Vorarlberg. Angenehm ist das weder für sie noch für die Arbeitgeber.

Auch auf kritische Fragen hat der AK-Präsident eine Antwort parat. <span class="copyright">Hartinger</span>
Auch auf kritische Fragen hat der AK-Präsident eine Antwort parat. Hartinger

Die Lohnsteigerung spült der AK deutlich mehr Geld in die Kassen. Schätzungen zufolge steigen die Jahreseinkommen der AK österreichweit für 2024 um 100 Millionen Euro auf rund 700 Millionen Euro an. Die AK-Umlage beläuft sich auf 0,5 Prozent des Bruttoeinkommens. Ist das angesichts der hohen Inflation noch zumutbar?

Heinzle: Die durchschnittliche jährliche AK-Umlage für einen Vorarlberger lag 2022 bei 110 Euro. Die Prozesse des Konsumentenschutzes und der Arbeits- und Steuerrechtsabteilung sind wahnsinnig kostenintensiv. Jedes Jahr legen wir einen Geschäftsbericht vor, was wir mit diesem Geld machen. Wir stehen für 100 Prozent Transparenz, vom Gehalt des Präsidenten bis zu den Serviceleistungen. Die Teuerung macht auch vor der AK nicht Halt.

Warum ist Ihnen die Pflichtmitgliedschaft bei der Arbeiterkammer so wichtig?

Heinzle: Weil das System der Arbeiterkammer sonst nicht funktioniert. Wir haben einen genauen gesetzlichen Auftrag, was wir als Arbeiterkammer zu tun haben und wie wir mit unserem Geld umzugehen haben. Ob das auf freiwilliger Basis funktionieren würde, da bin ich nicht überzeugt.

Würden sich anhand der guten Umfrage- und Beliebtheitswerte der AK nicht genügend Menschen für eine freiwillige Mitgliedschaft finden?

Heinzle: Die Kammerumlage ist mit 0,5 Prozent sehr gering. Der Nutzen, den wir zum Beispiel bei der Strompreissenkung bringen, ist größer als die Umlage selbst. Solange wir beweisen können, was wir mit der Umlage machen, ist sie gerechtfertigt. Können wir das eines Tages nicht mehr beweisen, werden wir Probleme bekommen, denn dann wird der Rückhalt für die Arbeiterkammer nicht mehr so groß sein.

Es geht um die Zahlen: Bernhard Heinzle schlägt im Geschäftsbericht der AK nach. <span class="copyright">Hartinger</span>
Es geht um die Zahlen: Bernhard Heinzle schlägt im Geschäftsbericht der AK nach. Hartinger

Sie haben sich vor kurzem für eine Reform des Pensionssystems eingesetzt. Besonders die Forderung nach einem flexiblen Pensionseintritt zwischen 60 und 70 fällt dabei auf. Wie kann man verhindern, dass früher Pensionierte dem Steuerzahler zur Last fallen, aber auch nicht verarmen?

Heinzle: Unser vorgeschlagenes System sieht vor, dass das Regelpensionsalter bei 65 Jahren bleibt. Wer früher geht, hat Abschläge. Es kann allerdings nicht sein, dass man aufgrund der Abschläge wiederum eine Förderung vom Staat bekommen muss, um überleben zu können. Wir haben den flexiblen Pensionsantritt an bestimmte Spielregeln geknüpft, zum Beispiel, dass man nach 45 Jahren ohne Abschläge in Pension gehen kann. Gleichzeitig soll es sich lohnen, länger zu arbeiten. Wir sollten nicht über eine Erhöhung des Pensionsalters diskutieren. Jeder sollte den Pensionsantritt nach seinen Bedürfnissen gestalten können, ganz nach der persönlichen Lebenssituation.

Drängt die Teuerung die Menschen dazu, länger zu arbeiten?

Heinzle: Wenn die Politik und Wirtschaft fordern, dass Arbeitnehmer in der Pension steuerfrei arbeiten dürfen, fragen wir uns, warum sie nicht grundsätzlich länger arbeiten. Dadurch erhöht sich ja auch die Pension.

Bernhard Heinzle ist ein vielbeschäftigter Mann. Da kann es durchaus vorkommen, dass man Anrufer auf einen späteren Rückruf vertrösten muss. <span class="copyright">Hartinger</span>
Bernhard Heinzle ist ein vielbeschäftigter Mann. Da kann es durchaus vorkommen, dass man Anrufer auf einen späteren Rückruf vertrösten muss. Hartinger

Der Konsumentenschutz feierte im Dezember sein 65-jähriges Bestehen. Immer häufiger wird er wegen Betrügereien im Internet zu Rate gezogen. Wünschen Sie sich im Hinblick auf Internetkriminalität mehr Unterstützung von der Politik?

Heinzle: Es ist unglaublich, wie schnell und professionell die Betrüger arbeiten. Die Polizei und auch der Konsumentenschutz haben schon viele Ressourcen investiert. Wir müssen schärfere Rahmenbedingungen nicht nur in Österreich, sondern auch auf europäischer Ebene finden, um gegen die Betrüger vorzugehen.

Anfang Dezember zeigten Sie sich erfreut über die Gründung des Vorarlberger Bodenfonds sowie über die Erhöhung der Wohnbauförderung und Wohnbauhilfe im nächsten Jahr. Reichen diese Schritte, um jungen Menschen dauerhaft leistbaren Wohnraum in Vorarlberg zu ermöglichen?

Heinzle: Diese Schritte sind etwa 30 Prozent der Lösung, es fehlen jedoch noch 70 Prozent. Die Modelle dazu sind noch nicht da. Der gemeinnützige Wohnbau hängt immer noch hintennach, und der Bodenfonds wird zwar installiert, ist aber noch nicht gegründet. Es ist zu viel Ankündigungspolitik und zu wenig umgesetzt. Wenn wir jungen Menschen nicht die Chance auf Wohneigentum geben, werden wir sie nicht in Vorarlberg halten können. Sie werden in andere Bundesländer und andere Staaten gehen, weil sie dort die Chance dazu haben. Es ist ein Grundbedürfnis, eigenen Wohnraum zu haben, und wir merken, wie der Druck wächst. Die Politik ist mir da etwas zu langsam.

Gleichzeitig haben Sie die Bauindustrie kritisiert. Zitat: „Die Baubranche kalkuliert nicht kostenminimierend, sondern gewinnmaximierend.“ Ist solche Kritik angesichts der schwierigen Wirtschaftslage und des Fachkräftemangels in der Baubranche angebracht?

Heinzle: Wir als AK Vorarlberg fordern eine Kostentransparenzdatenbank, die die Frage klärt, warum ein Kubikmeter Beton in Vorarlberg das Vierfache kostet wie in Salzburg. Wenn mir das jemand erklären kann, ist alles in Ordnung. Auch Heizungen kosten in Vorarlberg das Vielfache wie in anderen Bundesländern. Wie kann das sein? Eine Kostentransparenzdatenbank im gemeinnützigen Wohnbau würde Vergleiche schaffen. Daher auch mein Vorwurf.