„Der Skitourismus hat ein Ablaufdatum“

Die grüne Nationalratsabgeordnete Barbara Neßler (33) ist beim heute startenden Versus Festival im Montafon zu Gast. Mit der NEUE sprach sie über Nachhaltigkeit im Tourismus.
Das Versus Festival findet in einem der am stärksten frequentierten Tourismusgebiete statt. Wie hat sich der österreichische Tourismus in den letzten Jahren Ihrer Meinung nach entwickelt?
Barbara Neßler: Der österreichische Tourismus hat in den letzten Jahren eine Berg- und Talfahrt zwischen Coronakrise und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Einbruch, gefolgt von der raschen Erholung bis hin zu neuen Tourismusrekorden erlebt. Wir sehen eine wachsende Diversifizierung der Angebote, einen verstärkten Fokus auf Qualität und Authentizität sowie ein zunehmendes Bewusstsein für die Bedeutung des nachhaltigen Tourismus. Allerdings stehen wir vor einer großen Herausforderung, und zwar der Klimakrise.
Versus Festival
4.–6. April, Silvretta Montafon
Ein ganzes Skigebiet ist Veranstaltungsort des Versus Festival. Diskussion, Inspiration und Denkanstöße zu verschiedensten Themen, die die Business-Welt bewegen, mit zahlreichen Speakern wie Christian Kern, Philipp Lehner, Richard David Precht oder Hannes Reichelt. www.versus-festival.com.
Wie kann man beim Konsumenten mehr Bewusstsein für nachhaltigen Tourismus schaffen?
Neßler: Wichtig ist immer, den Tourismus so zu gestalten, dass die Bevölkerung vor Ort profitiert, die Natur nicht darunter leidet und Wertschöpfung im Sinn von Qualität statt Quantität generiert wird. Wir müssen die Menschen dazu ermutigen, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen, zu erkennen und zu hinterfragen, was das eigene Handeln bewirkt. Wenn ich etwa Selfies mit angeketteten Wildtieren mache, schaut das vielleicht auf Social Media lässig aus, aber für die Tiere ist das mit immensem Leid verbunden.
Stichwort „Urlaub im eigenen Land“: Wie machen wir diesen in Österreich attraktiver, und zwar nicht nur im Winter?
Neßler: Schneetage in Österreich werden aufgrund der Klimakrise immer weniger, das spüren wir alle bereits jetzt und das prognostiziert auch die Wissenschaft. Während der reine Skitourismus in Österreich ein Ablaufdatum hat, kämpft man im Mittelmeerraum mit unerträglichen Hitzewellen, Waldbränden und Dürren. Auch aus wirtschaftlicher Perspektive ist es daher nur sinnvoll, bereits jetzt ganz stark auf Ganzjahrestourismus zu setzen. Vielerorts hat man das auch schon verstanden und es passiert schon einiges in die Richtung. Ein attraktiver Urlaub im eigenen Land erfordert eine breite Palette von Erlebnissen und Angeboten, die über die klassischen Winteraktivitäten hinausgehen. Dazu gehören Outdoor-Aktivitäten, Kulturveranstaltungen, kulinarische Erlebnisse und vieles mehr. Die Vielfalt und Schönheit unserer Natur bietet viele Möglichkeiten und ist das touristische Grundkapital, umso entscheidender ist es, dass sich der Tourismus der Natur anpasst und nicht umgekehrt, um eben dieses Grundkapital bestmöglich zu schützen.

Wo liegen bei uns in Österreich die größten Defizite in Sachen nachhaltiger Tourismus?
Neßler: Das oft noch vorherrschende „alte Denken“ und die Betonromantik sehe ich als das größte Defizit. Wir müssen für jede einzelne Maßnahme im Klimaschutz hart kämpfen, weil einige noch immer nicht verstanden haben, dass der Kampf gegen die Klimakrise essenziell ist für unsere Lebensgrundlage, aber auch für die wirtschaftliche Grundlage, gerade was den Tourismus betrifft. Bei der An- und Abreise gibt es den größten Handlungsbedarf. Jeder kennt die Bilder von Blechlawinen, die sich an den Wochenenden durch die Täler schlängeln. Die Leidtragenden sind die Einheimischen. Das muss geändert werden. Hier ausreichende und attraktive Angebote für eine öffentliche Anreise zu schaffen ist ein entscheidender Hebel, gerade für die sogenannten „last miles“. Nachhaltiger Tourismus hat auch eine soziale Dimension. Und da sind wir beim brennenden Thema Mitarbeitermangel.
Wie schafft man diese Defizite aus der Welt?
Neßler: Mit gezielten Maßnahmen und Visionen. In unserer Regierungszeit ist hier viel gelungen, was davor jahrzehntelang verschlafen wurde und wo ich immer nur gehört habe: „Das geht nicht“. Ein gutes Beispiel ist hier etwa das Klimaticket. Klar ist aber, dass wir uns nach der kommenden Nationalratswahl kein Zurücklehnen erlauben können, wir müssen unsere Anstrengungen weiter intensivieren und das Tempo weiter raufschrauben. Beim Mitarbeitermangel gibt es zwei wesentliche Punkte. Erstens: Wir haben Menschen, Asylwerber, hier, die arbeiten wollen, und wir lassen sie nicht. Das ist sowohl menschlich als auch ökonomisch sinnbefreit. Zweitens: Das größte Potenzial haben wir bei den Frauen. Viele Mamas können aber nicht arbeiten gehen, weil es einfach keine adäquate Kinderbetreuung gibt.

Was tut die Politik für nachhaltigen Tourismus – und wo tut sie zu wenig?
Neßler: Leider wurde jahrzehntelang zu wenig getan, und es ist nach wie vor ein Bohren harter Bretter. Gerade bei der Energiewende und dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist in den vergangenen Jahren wirklich viel weitergegangen. Was wir uns aber sicher nicht mehr leisten können, ist das „immer mehr, immer weiter“ im Tourismus, von dem nur wenige profitieren. Immer wieder wird versucht, riesige Bettenburgen in grüne Wiesen zu bauen, es gibt Berggipfel, die weggesprengt werden sollen, oder Gletscher, die abgetragen werden. Es braucht klare Regeln, die für alle gleich gelten. Es darf nicht sein, dass sich ein paar Orts- oder Liftkaiser mehr rausnehmen dürfen. Das gilt insbesondere für die Raumordnung, wo es oft so scheint, als ginge es darum, wer wen kennt, anstatt darum, faire Regeln zu schaffen.
Wie hält man seinen CO2-Fußabdruck beim Reisen niedrig?
Neßler: Mir als Politikerin geht es nicht darum, irgendjemandem Langstreckenflüge oder den Urlaub in der Karibik nicht zu gönnen. Das sollte nicht unser Ansatz sein. Wir dürfen die Klimakrise nicht auf das Individuum abwälzen, sondern es braucht strukturelle, politische Maßnahmen, um die Klimakrise zu bekämpfen. Wichtig ist, dass Menschen sich generell mehr für Politik interessieren, denn nur wenn auch Druck von der Bevölkerung kommt, können wir für Klimaschutz kämpfen.
Sie sind Speakerin beim Versus Festival. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Neßler: Ich freue mich immer, wenn ich raus aus dem Sitzungsalltag komme und unter den Leuten bin. Das Versus Festival bedeutet für mich drei Tage diskutieren und sich über Ideen und Visionen zum nachhaltigen Tourismus austauschen. Der Austausch mit Gleichgesinnten, aber auch das Aufzeigen unterschiedlicher Perspektiven ist eine tolle Abwechslung.
Auf welche Speaker und Themen sind Sie besonders gespannt?
Neßler: Bei einem so vielschichtigen und interessanten Angebot ist es schwierig, mich festzulegen. Aber gespannt bin ich auch auf das Konzert der Sportfreunde Stiller, deren Musik in meiner Teenie-Zeit nicht auf dem MP3-Player fehlen durfte.