Ende der Goldgräberstimmung in der Photovoltaik-Branche

Die beinahe millionenschwere Insolvenz des PV-Anbieters NEIS GmbH in Lustenau zeigt die Geburtswehen einer von einem Nachfrage-Jo-Jo geprägten Branche. Die Marktteilnehmer sehen eine Kombination von Gründen als Ursache.
Günther Bitschnau/wpa/red
Der von der Breitenwirksamkeit her gesehenen vergleichsweise jungen Photovoltaik-Branche steht eine massive Marktbereinigung bevor. Zu diesem Schluss kommen jedenfalls Inhaus-Geschäftsführer Robert Küng (SST Energy, EQ-Systems) und Hansesun-Gründer Andreas Müller im Gespräch mit der Wirtschaftspresseagentur vor dem Hintergrund der am Mittwoch bekannt gewordenen und beinahe millionenschweren Insolvenz des Lustenauer PV-Anbieters NEIS GmbH.
Ihre Quintessenz: Die Zeit der Goldgräberstimmung und der Glücksritter sowie der Spekulation in der PV-Branche ist vorüber. Nach der im Sommer 2022 Tsunami-artig angeschwollenen und jetzt wieder sinkenden Nachfrage übernehmen die Regeln der Marktwirtschaft langfristig das Ruder. Das bedeute vor allem: Nur Firmen mit über viele Jahre hinweg aufgebautem Know-how sowie Kundenvertrauen und der notwendigen finanziellen Liquidität beziehungsweise Finanzkraft werden weiter bestehen.
Pleite der NEIS GmbH
Vorab zur NEIS GmbH des geschäftsführenden Alleineigentümers Alexander Netzer. Das 2020 gegründete Lustenauer Unternehmen hat den Konkursantrag selbst eingebracht. Es gibt Verbindlichkeiten von mehr als 940.000 Euro, ihnen stehen gut 300.000 Euro an Aktiva gegenüber. Sechs Mitarbeitende sind nach Angaben des Kreditschutzverbands 1870 Vorarlberg betroffen. Begründet wird die Insolvenz mit der sich stark verschlechterten Auftragslage. Aufgrund gestiegener Zinsen und gesunkener Strompreise würden viele Kunden im Gewerbe- und Industriebereich aktuell vor Großinvestitionen zurückschrecken.
Gleichzeitig hätten Marktteilnehmer hohe Lagerbestände und würden durch den starken Nachfragerückgang unter Druck der finanzierenden Banken geraten. So könne man nicht mehr kostendeckend verkaufen, zum Teil erfolge der Verkauf sogar unter Gestehungskosten. Da man keine zeitnahe Beruhigung des Marktes erwarte, sei eine Fortführung nicht geplant. Zum Masseverwalter wurde der Lustenauer Rechtsanwalt Ralph Vetter bestellt. Die Prüfungs- und Berichtstagsatzung findet am 12. Juli 2024 statt. Die Anmeldefrist endet am 28. Juni.
Preisgemetzel bei Online-Handelsanbietern
Das Donnergrollen in der PV-Branche kündigt sich seit dem Frühjahr 2023 auch für Privatkunden sichtbar in diversen Online-Verkaufsplattformen für PV-Anlagen und Zubehör ab. Während im zweiten Halbjahr 2022 nach dem Beginn des Ukraine-Krieges und der befürchteten Gas-Knappheit viele wichtige Bauteile wie Wechselrichter gar nicht verfügbar waren und PV-Module wöchentlich im Preis zulegten, hat im Laufe des Jahres 2023 der Abverkauf begonnen. Mittlerweile werden diverse Artikel auf diesen Plattformen um zu 50 Prozent reduzierten Schleuderpreisen oder noch mehr auf den Markt geworfen. So gibt es 400-Watt-Peak-Module bereits um 90 Euro. Diverse Handelsketten in Vorarlberg sitzen seit Monaten auf einem nicht geringer werdenden Bestand von PV-Modulen für Privatkunden, wie die wpa in Erfahrung brachte.
“Kapitalintensive Branche”
Robert Küng ist der Ansicht, dass eine Reihe von Faktoren zu dieser Entwicklung geführt habe. “Der Lagerbestand in der PV-Branche ist sehr kapitalintensiv, es braucht viel Eigenkapital.” Außenstehende würden es kaum glauben, aber die PV-Branche erziele keine hohen Renditen. Während der extremen Nachfragespitzen seien bei vielen Unternehmen die Lager zu hohen Einkaufspreisen gefüllt worden, auch aus Angst, man sei irgendwann nicht lieferfähig. Durch die gesunkenen Preise – nicht zuletzt aufgrund der massiven Importe aus China – müssten die Unternehmen jetzt ihre Lager abwerten oder die PV-Teile zu deutlich geringeren Preisen verkaufen.

Die Spirale führe zu immer stärker sinkenden Preisen und zu einem aggressiven Wettbewerb. Diese Situation treffe auf einen massiv rückläufigen Wohnbau und eine teils gesättigte Nachfrage bei vielen Gewerbekunden, die ihre Dächer schon mit PV-Modulen bestückt haben. Dazu komme ein niedriger Strompreis, der die Amortisationsdauer – ein wichtiges Argument für die Investitionsentscheidung – von PV-Anlagen verlängere. Und dann dürfe man die gegenwärtig schwache Wirtschaftsentwicklung und die hohen Zinsen nicht vergessen. “Der Markt ist komplett gekippt. Zuerst war er von nahezu unstillbarer Nachfrage getrieben, jetzt ist er Angebot-getrieben.”
Branche sei nicht reguliert
Hansesun-Gründer Andreas Müller, dessen Unternehmen heuer das zehnjährige Jubiläum feiert, wird noch deutlicher: “In den zwei fetten Jahren ab 2022 haben viele Firmen am Markt angefangen, ohne die notwendige Liquidität zu haben. Dieses Risiko hat man dann einfach mit hohen Anzahlungen auf die Kundschaft abgewälzt. Weil die Nachfrage extrem hoch und die Verfügbarkeit gering war, konnte man das tun.” Die Anzahl der PV-Installateure, die um einen nicht mehr wachsenden Kuchen kämpfen, habe sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. “Jeder mit einem ‘Bananenkrummklopfer-Gewerbeschein’ installiert PV-Anlagen. Unsere Branche ist leider überhaupt nicht reguliert.”

Jetzt sei genügend PV-Ware am Markt, die Preise sinken. Nun trenne sich bei den Anbietern die Spreu vom Weizen. “Das ist eine natürliche marktwirtschaftliche Bereinigung vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Rezession”, sagt Müller.
So viel Autarkie wie möglich
Hansesun beschäftigt 120 Mitarbeiter und kam im Vorjahr nach eigenen Angaben auf einen Umsatz von 70 Millionen Euro. Das Unternehmen ist insbesondere im Bodenseeraum und bis Tirol tätig. Man spüre zwar auch eine leicht rückläufige Nachfrage. Allerdings sei Hansesun nach wie vor voll beschäftigt. “Die Nachfrage geht von einem völlig überhitzten Level auf ein gesundes Maß zurück.” Viele Kunden hätten nach 2022 nicht vergessen, wie schnell sich die Verfügbarkeit und die Preise von Energie verändern können und würden deshalb auf so viel Autarkie wie möglich setzen.