Vorarlberg

“Sehe es als meine Pflicht, aktiv gegen die Klimakrise anzukämpfen”

13.09.2024 • 06:00 Uhr
Beschreibung Bernhard Fritz von “Großeltern für Enkelkinder” beeinsprucht vor dem Landesverwaltungsgericht eine Strafe, die er für einen Klimaprotest vor dem Landhaus bekommen hat
Bernhard Fritz (im Vordergrund) konnte bei der Verhandlung vor dem LVwG auf die Unterstützung der anderen „Großeltern für Enkelkinder“ zählen. Hartinger

Bernhard Fritz und die „Großeltern für Enkelkinder“ setzen sich für Klimaschutzmaßnahmen ein. Mit einer Beschwerde gegen eine Strafe wollen sie am Landesverwaltungsgericht ein historisches Urteil erreichen.

“Während der (…) Landtag versammelt ist, darf im Umkreis von 300 Metern von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden.” Dieser siebte Paragraf des Versammlungsgesetzes wurde in den letzten Monaten in Vorarlberg oft zitiert – meist dann, wenn Klimaschutzbewegungen innerhalb der Bannmeile vor dem Landhaus in Bregenz protestierten. Bei zwei dieser Proteste – am 15. November und 13. Dezember 2023 – waren auch die “Großeltern für Enkelkinder” dabei. Ein Mitglied von ihnen, Bernhard Fritz, erhebt nun Einspruch gegen die daraus resultierende Verwaltungsstrafe.

Landhaus Landtag Klimademo Extinction Rebellion
Unter anderem beim Klimaprotest am 15. November war Bernhard Fritz dabei. vol.at/Mirjam Mayer

“Der Vorwurf gegen mich lautet, dass ich an der Versammlung innerhalb der Bannmeile teilgenommen und diese nach Aufforderung der Behörde nicht verlassen habe”, erklärt Bernhard Fritz und fügt hinzu: “Das ist auch richtig so.” Es geht dem 65-Jährigen nicht darum, die Verstöße abzustreiten oder eine geringere Summe als die verhängten 219,98 Euro zu bezahlen. Stattdessen will Fritz einen Freispruch auf der folgenden Argumentationsgrundlage erreichen: Die Gefahren der menschengemachten Klimaerwärmung sind so schwerwiegend, dass sie einen Notstand und damit ein geringeres Vergehen – in diesem Fall die Missachtung der Bannmeile – rechtfertigen.

Beschreibung Bernhard Fritz von “Großeltern für Enkelkinder” beeinsprucht vor dem Landesverwaltungsgericht eine Strafe, die er für einen Klimaprotest vor dem Landhaus bekommen hat
Bernhard Fritz bestreitet nicht, was ihm in der Anzeige vorgeworfen wird. Er will einen Freispruch wegen Notstand erkämpfen. Hartinger

Das Landesverwaltungsgericht ist in diesem Fall die zweite Instanz. Auf erstinstanzlicher Ebene – der Bezirkshauptmannschaft (BH) Bregenz – reichte Fritz bereits eine Rechtfertigung für die Verstöße ein, nachdem diese ihn schriftlich dazu aufgefordert hatte. Die Behörde lehnte die Beschwerde ab. “Drei Gründe standen in der Straferkenntnis, die einen Notstandsgrund verhinderten”, erklärt Fritz und führt weiter aus: “Zusammengefasst hieß es, die Klimaerwärmung müsse unmittelbar Individualrechtsgüter gefährden. Außerdem müssten die Proteste wirksam sein. Und ich sollte andere, schonendere Möglichkeiten nützen.”

"Sehe es als meine Pflicht, aktiv gegen die Klimakrise anzukämpfen"
In erster Instanz wies die BH Bregenz die Beschwerde von Fritz ab. Hartinger

Auf genau diese drei Punkte ging der Feldkircher dann auch vor dem LVwG am Mittwoch ein. Zuvor hatte Fritz eine Beschwerde über die erstinstanzliche Entscheidung bei der BH eingebracht, die das Verfahren an das LVwG weitergab. Nach akribischer Vorarbeit, bei der er auch auf die Unterstützung von Wissenschaftler Reinhard Steurer und der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien zählen konnte, setzte er in der Beschwerdeverhandlung zu einer rund 20-minütigen Rede an. Darin führte er nochmals seine Begründung aus.

Beschreibung Bernhard Fritz von “Großeltern für Enkelkinder” beeinsprucht vor dem Landesverwaltungsgericht eine Strafe, die er für einen Klimaprotest vor dem Landhaus bekommen hat
Das Zuseherinteresse am LVwG war groß.hartinger

“Die Gefahren der menschengemachten Klimaerwärmung für Leben, Freiheit, Gesundheit und Vermögen sind schwer und unmittelbar. Darüber gibt es einen breiten wissenschaftlichen Konsens”, zitiert Fritz im Gespräch mit der NEUE aus seinen Unterlagen. Er verweist unter anderem auf die Daten von Eurostat, wonach es im Jahr 2023 EU-weit 47.000 Hitzetote gab. Daraus schlussfolgert er die Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention – genauer Artikel zwei (Leben), fünf (Freiheit und Sicherheit) und acht (Familie) – sowie eine Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention. “Die Nichterfüllung diverser Klimaziele sehe ich als unterlassene Hilfeleistung gegenüber nachfolgenden Generationen”, verdeutlicht er seine Argumentation.

„Die Nichterfüllung diverser Klimaziele sehe ich als unterlassene Hilfeleistung gegenüber nachfolgenden Generationen.“

Bernhard Fritz

Auch zur Wirkung der Klimaproteste hat sich Fritz umfassend informiert. Er verweist auf mehrere Studien – insgesamt zehn hat er für die Verhandlung herangezogen – die den Effekt von Klimaprotesten unterstreichen. “Klimaproteste beeinflussen auch auf lokaler Ebene die Häufigkeit der Reden von Abgeordneten zum Thema Umweltpolitik positiv”, nennt Fritz ein Beispiel. Außerdem zieht der den Vergleich zu anderen Protestbewegungen wie den Suffragetten in den USA und Großbritannien, wo der Protest zweifelsohne Wirkung zeigte.

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Fritz vergleicht die Klimademonstrationen mit dem Protest der Suffragettenbewegung. APA/AFP

Der letzte Punkt, alternative rechtskonforme Möglichkeiten, sei am schwersten zu argumentieren, erklärt Fritz. “Ich arbeite im persönlichen Bereich seit Jahrzehnten daran, die Klimaerwärmung einzubremsen. Meine Möglichkeiten sind erschöpft und ich handle unter Zeitdruck”, liest Fritz aus seinen Unterlagen vor und erklärt, er habe vor Gericht aufgeführt, wie er seine persönlichen Emissionen so weit als möglich eingedämmt hat und bei welchen Initiativen er sich engagiert und engagiert hat.

Beschreibung Bernhard Fritz von “Großeltern für Enkelkinder” beeinsprucht vor dem Landesverwaltungsgericht eine Strafe, die er für einen Klimaprotest vor dem Landhaus bekommen hat
Fritz konnte sich auf die Unterstützung seiner Mitstreitenden bei den “Großeltern für Enkelkinder” verlassen. Hartinger

“Das zu rettende Rechtsgut – Leben, Gesundheit, Freiheit und Vermögen – ist höherwertiger als das zu opfernde, in diesem Fall das Versammlungsrecht”, markiert er den grundlegenden Punkt seiner Argumentation, mit der er einen Freispruch erreichen will. Zum Protest erklärt er: “Die Versammlung war völlig friedlich und gewaltfrei. Sie war punktgenau das Mittel, Handlungsdruck an der richtigen Stelle aufzubauen.” Dann zitiert aus seinem Schlussplädoyer: “Ich sehe es als meine Pflicht, aktiv gegen die Klimakrise anzukämpfen. Wenn dies am besten möglich ist, in dem Verwaltungsbestimmungen übertreten werden, ist das im Lichte des Schutzes der Gesundheit jederzeit zulässig.”

Beschreibung Bernhard Fritz von “Großeltern für Enkelkinder” beeinsprucht vor dem Landesverwaltungsgericht eine Strafe, die er für einen Klimaprotest vor dem Landhaus bekommen hat
Als die Großeltern das LVwG verlassen, ist noch kein Urteil gefällt. Es wird in etwa zwei Wochen schriftlich ergehen. Hartinger

Nach dem Plädoyer von Bernhard Fritz fällt nun die zuständige Richterin des LVwG ein Urteil. Eine Entscheidung wird in den nächsten zwei Wochen erwartet. Die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs ist angesichts der Tatsache, dass es noch kein vergleichbares Urteil im deutschsprachigen Raum gibt, allerdings gering, zumal ein behördenseitiger Einspruch auf dritter Instanz wahrscheinlich wäre. Doch falls das LVwG tatsächlich auf Freispruch entscheiden sollte, wäre es ein bahnbrechendes Urteil für alle, die für Maßnahmen gegen den Klimawandel demonstrieren. Aufgeben ist für den Feldkircher jedenfalls keine Option: Es gehe ihm um die Generation seiner Kinder und Enkelkinder, erklärt er, und dass auch sie auf einem lebenswerten Planeten sein kann.