Vorarlberg

Vom Ungarnaufstand und Alpinmärschen

15.09.2024 • 18:00 Uhr
Vom Ungarnaufstand und Alpinmärschen
Seine Abzeichen und weitere Erinnerungsstücke bewahrt Rudolf Holzer in einem Album mit Ledereinband auf. Stiplovsek

Rudolf Holzer, Oberst im Ruhestand, erzählt aus 35 Jahren beim Heer. Über Katastropheneinsätze und wie ein Glas Wein die militärische Beziehung zwischen Österreich und der Schweiz rettete.

Man könnte Rudolf Holzer stundenlang zuhören, wenn er von früheren Zeiten erzählt. Langweilig wird es nie. “1956, zwei oder drei Wochen, nachdem ich als Soldat ins Bundesheer eingerückt bin, war der Ungarnaufstand”, beginnt er eine seiner Anekdoten. “Mit meinen Kameraden war ich bei Wind und Wetter an der ungarischen Grenze im Einsatz. Die Sowjetunion hat der Aufstand in Ungarn niedergeschlagen und die Freiheitskämpfer sind geflohen. An der Grenze haben wir sie entwaffnet und interniert. Hätten wir sie nicht entwaffnet, hätten die Sowjets völkerrechtlich nachstoßen dürfen und der Krieg wäre in unserem Land gewesen.” Es ist nur einer von zahlreichen Einsätzen, die der Heeresbergführer und Oberst in Ruhestand in seiner militärischen Laufbahn mitgemacht hat. Für die NEUE am Sonntag lässt der heute 89-Jährige einige seiner Erlebnisse nochmals Revue passieren.

Erster Berührungspunkt mit dem Militär zur NS-Zeit

1934 kam Rudolf Holzer in Dornbirn zur Welt und wuchs in Schwarzach auf. Seine erste Erinnerung an das Militär kam früh: “Zur NS-Zeit mussten wir Schülerbuben gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Stellungen graben, im Raum Schwarzach. Ich bekam mit, wie die Franzosen uns befreit haben, sah zum ersten Mal Militärfahrzeuge und das alles.” Damals habe es den jungen Rudolf nicht weiter interessiert, erzählt er. Zumal ein Umzug anstand: Sein Vater, der in der Gendarmerie tätig war, wurde als Postenkommandant ins Kleinwalsertal versetzt. Der spätere Heeresbergführer begann hier seine künftige Leidenschaft: das Bergsteigen.

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Im Kleinwalsertal lernte Holzer das Bergsteigen zu lieben. Stiplovsek

Nach seiner Matura in Oberstdorf begann wollte Holzer in die Fußstapfen seines Vaters treten und begann in Innsbruck die Ausbildung an der Polizeischule, nebenbei fing er ein Jus-Studium an. “Dann kam das Ende der Besatzung und der Staatsvertrag 1955. Da kam ein Erlass, dass Maturanten von der Exekutive direkt in die Militärakademie aufgenommen werden”, zeigt Holzer seinen Werdegang ins Militär auf.

Eine beachtliche Laufbahn

1957 wurde Holzer nach Vorarlberg einberufen, dann arbeitete er sich Schritt für Schritt nach oben: “Erst war ich Zugskommandant, also Leutnant von etwa 30 bis 40 Mann. Mehre Züge sind eine Kompanie, nach ein paar Jahren war ich Kompaniekommandant. Und nach weiteren sechs bis acht Jahren – so genau weiß ich es gar nicht mehr – war ich Bataillonskommandant.” Von 1979 bis 1984 war der Oberst erster Kommandant des Landwehrstammregimentes 91, danach Infanterieoffizier und Alpinreferent beim Korpskommando II in Salzburg. Es ist eine militärische Laufbahn, die sich sehen lassen kann.

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Im Haus der Holzers finden sich einige Erinnerungsstücke an die Vergangenheit des Oberst im Ruhestand. Stiplovsek

Bekannt ist Holzer aber vor allem als Heeresbergführer. So leitete er zahlreiche Katastropheneinsätze, etwa 1972 beim damals österreichweit größten Waldbrand am Hohen Fraßen bei Nüziders. Ein besonders heikler Einsatz war auch der Lawinenabgang 1974 in der Silvretta Nova, als auf einer Skipiste zwölf Menschen von einer Lawine verschüttet wurden. “Damals gab es noch keine Piepser. Der Lawinenkegel war so tief, wir mussten Gruben graben und von dort wieder und wieder sondieren. Drei Tage hat es gedauert, bis alle Toten geborgen waren”, erinnert sich Holzer. Viel nachgedacht habe man damals nicht, “man hat halt geschaut, dass man noch wen findet. Immer durchhalten, immer weitermachen”, das war die Devise.

Dunkle Stunden an der Klara

Den wohl schwierigsten Moment seiner Laufbahn erlebte der Oberst, als er mit einer Kompanie die “Klara” in Ebnit erklimmen wollte. “Ich bin mit einem Trupp voraus, um den Berg zu versichern. Als die Soldaten gekommen sind, war alles fertig. Eine der Sicherungen war an einem Steinblock befestigt, den jeder Kletterer damals genutzt hat. Eine Woche zuvor war ich selbst noch daran gesichert. Den kletternden Soldaten habe ich sogar noch gesagt, sie seien hier sicherer als auf der Kaiserstraße in Bregenz.”

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Der Absturz zweier Kameraden in Ebnit sei “vom Mentalen her das schlimmste Erlebnis” in seinem Leben gewesen. Stiplovsek

Doch dann nahm das Unheil seinen Lauf: “Auf einmal sehe ich, wie ein Körper stürzt. Ich dachte mir, jetzt kommt der Ruck und der Sichernde hält ihn. Wenn das Seil immer stramm ist, kann ja nichts passieren.” Doch die beiden Soldaten hielten das Seil offenbar locker, sodass der Zweite, der den zu Sturz gekommenen Kollegen sichern hätte sollen, auch nach unten gerissen wurde. “Dieser doppelte Ruck hat den Felsen, um den die Sicherung gelegt war, herausgerissen. Vor meinen Augen ist der Zweite abgestürzt.” Eine nachdenkliche Miene macht sich auf dem Gesicht des so erfahrenen Bergsteigers breit. “Vom Mentalen her war das das schlimmste Erlebnis in meinem Leben”, erzählt er, auch Jahrzehnte danach noch sichtlich berührt. Beide Soldaten überlebten das Unglück nicht.

Durch ganz Vorarlberg marschiert

Deutlich schöner waren für Rudolf Holzer die rund zehn Alpinmärsche vom Bodensee bis zum Piz Buin, die er in seiner Zeit als Kompaniekommandant organisierte. Bei einem dieser mehrtägigen Märsche konnte er einer weiteren Leidenschaft neben dem Bergsteigen nachgehen: das Filmen. Mit einer händischen Videokamera zeichnete er den Marsch 1974 auf, lang bevor es Hightech-Schnittprogramme auf Computern für jedermann gab. “Manche Geräusche mussten wir zu Hause nachstellen”, berichtet er schmunzelnd. So habe etwa seine Frau Traudl am heimischen Wasserhahn Tonaufzeichnungen gemacht, die auf dem Film dann über das Bild eines rauschenden Bachs geschnitten wurden.

Vom Ungarnaufstand und Alpinmärschen
Stets an seiner Seite: Gattin Traudl. Stiplovsek

Über die Alpinmärsche selbst könnte man einen eigenen Artikel verfassen. Eine Anekdote soll hier erwähnt werden: “Auf der Strecke zwischen Tilisunahütte und Gargellen führt der Weg ein paar hundert Meter über Schweizer Gebiet. Ich war aber mit der komplett bewaffneten Kompanie unterwegs, also eigentlich eine Grenzverletzung. Auf einem Joch oben sah ich eine Schülergruppe mit einem Lehrer und weil ich wusste, dass in der Schweiz die meisten Lehrer Milizoffiziere sind, haben wir gewartet, bis die verschwunden sind”, erklärt der Offizier.

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Rudolf Holzer zeigt dem NEUE-Redakteur (zu dem übrigens kein Verwandtschaftsverhältnis besteht) alte Erinnerungsstücke. Stiplovsek

Als es „Kompanie Marsch!“ hieß, erblickte Holzer die Gruppe, wie sie auf Schweizer Seite eine Pause machte. „Sie haben nichts gesagt, also sind wir weitermarschiert.“ Wenige Wochen später erhielt er einen Anruf vom Bataillonskommandanten: „Der Kommandant der Grenzregion sei zu ihm gekommen und habe sich beschwert. Der wollte zeigen, dass die Schweizer aufmerksam sind, wenn eine Kompanie ohne Anmeldung durch ihr Staatsgebiet marschiert.“ Die Sache war aber schnell geklärt: „Bei einem Glas Wein hat der Bataillonskommandant dem Schweizer erklärt, der Hauptmann Holzer habe sicher nicht die Grenze verletzten wollen. Damit war der Fall erledigt.“

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Vom Balkon aus kann Rudolf Holzer auf den Bodensee und die Kaserne Bregenz blicken. Stiplovsek

Seit 1991 ist Rudolf Holzer nun im Ruhestand und lebt mit Traudl in Bregenz. Im November wird er 90 Jahre alt. Mit den Anekdoten aus seinem Leben könnte man noch zahllose weitere Seiten füllen.