Vorarlberg

ME/CFS: “Der Sozialstaat wirkt hier nicht”

13.05.2025 • 08:00 Uhr
ME/CFS: "Der Sozialstaat wirkt hier nicht"
Viele der Betroffenen können nur mehr liegen, alles andere ist zu anstrengend. Hartinger/Canva

Anlässlich des Internationalen Tages für die Erkrankung ME/CFS fand in Bregenz eine Protestaktion der besonderen Art statt.

Am 12. Mai findet jährlich der „International ME/CFS Awareness Day“ statt. Der Tag soll auf die Erkrankung ME/CFS aufmerksam und Betroffene sowie Angehörige sichtbar machen. Die Protestaktionen rund um den 12. Mai haben mittlerweile internationalen Anklang gefunden.
Auch vor dem Landhaus in Bregenz fand gestern eine „LiegendDemo“ statt. Bei dieser Protestaktion legen die Teilnehmenden sich symbolisch auf den Boden, um auf die Erschöpfungszustände der Betroffenen aufmerksam zu machen. „Vielen Betroffenen ist es gar nicht möglich, länger zu stehen“, erzählt Organisatorin Beate Schuchter. „Aus diesem Grund liegen die Protestierenden heute, damit sie keine Energieressourcen verbrauchen.“

ME/CFS: "Der Sozialstaat wirkt hier nicht"
Organisatorin Beate Schuchter. Hartinger

Frust und Hoffnung

Der Platz vor dem Landhaus füllt sich zunehmend mit Menschen, an die hundert Anmeldungen seien es gewesen, erzählt eine Organisatorin. Es sind Betroffene, aber auch viele Angehörige und Interessierte, die sich für das Thema einsetzen wollen. „Für mich geht es vor allem um die Bekanntmachung dieser Erkrankung“, sagt Gisela Ölz. „Gerade bei den Ärzten sollte das Thema endlich mehr Anklang finden. Man wird so verletzt, wenn man immer nur gesagt bekommt: Du bist halt alt, finde dich damit ab.“ Die Protestteilnehmerin berichtet von Schlafstörungen, aufgrund der Erkrankung. „Ich kann sagen, ich habe jahrelang keine Erholung gefunden. Auch jetzt weiß ich, dass ich morgen den ganzen Tag im Bett liege, weil ich so fertig sein werde.“

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Gisela Ölz ist selbst von der Erkrankung betroffen. Hartinger

Auch Reinhard Nachbaur beobachtet gespannt, wie sich immer mehr Menschen auf den Boden vor dem Landhaus legen. Er selbst ist mit seiner Tochter auf dem Protest, stellvertretend für seine Frau. „Sie ist selbst von ME/CFS betroffen, aber heute leider zu schwach, um hier sein zu können. Meine Kinder und ich sind heute da, um aufzuzeigen, was alles schiefläuft im System.“ An die Veranstaltung an sich hat Nachbaur klare Forderungen. „Ich hätte mir erwartet, dass mehr Politiker kommen.“

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Reinhard Nachbaur ist mit seiner kleinen Tochter zum Protest gekommen. Hartinger

Von den Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik sind unter anderem Grünen-Abgeordnete Eva Hammerer und Christine Bösch-Vetter vor Ort. Auch der ehemalige Gesundheitsminister Johannes Rauch nimmt an der Veranstaltung teil. Von den Sozialdemokraten äußert sich Landtagsabgeordnete und Gesundheitssprecherin Manuela Auer per Aussendung. „Im Großteil der Bundesländer fehlt es an notwendigen Anlaufstellen. Auch in Vorarlberg sträubt man sich, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden“, kritisierte Auer.

Keine Reden

Reden werden keine gehalten, aus Rücksichtnahme auf die Erkrankten, wie Schuchter erklärt. „Wir wollen, dass der Lärmpegel im Rahmen bleibt und die Erkrankten keiner zusätzlichen Belastung ausgesetzt sind.“ Es soll lediglich einen offenen Austausch der Teilnehmenden geben. Auch Melanie Netzer hat sich zwischenzeitlich auf den Vorplatz des Landhauses gelegt. Ihre beiden Töchter Matilda und Mona stehen ihr zur Seite, denn auch Netzer ist selbst von der Krankheit betroffen. „Ich bin heute hier, um auf dieses Thema stärker aufmerksam zu machen, damit wir in Vorarlberg eine bessere Versorgung bekommen und sie nicht immer psychologisiert wird. Also, dass man uns ernst nimmt. Ich bin selbst seit 16 Monaten betroffen. Zum Glück sind zwei meiner drei Töchter schon älter und somit sehr selbstständig. Außerdem haben wir Nachbarn und Freunde, die uns unterstützen“, sagt sie.

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Melanie Netzer ist ebenfalls mit ihrer Tochter beim Protest. Hartinger

Roman Prassler ist einer der Menschen, die Betroffene unterstützen wollen. „Meine Freundin uns ich sind aus Solidarität hier, weil es zu Viele gibt, die in den letzten Jahren unterversorgt waren und sind. Es wäre wichtig, dass politisch Verantwortung übernommen wird. Dass die Menschen mit ihrer Erkrankung ernst genommen werden und in jedem Bundesland eine adäquate Versorgung sichergestellt wird. Diese Erkrankung ist nicht selten und es kann jeden treffen. Ich bin vor allem besorgt, weil der Sozialstaat hier nicht wirkt“, sagt er.

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Ungefähr 100 Protestierende fanden sich vor dem Landhaus in Bregenz ein.Hartinger

Als symbolischer Akt beißen Vertretende der Politik in eine Zitrone. „Der Biss in die Zitrone soll die Reizüberflutung zeigen, mit der viele Betroffene 24 Stunden am Tag zu kämpfen haben“, erklärt Schucher. Die Reizüberflutung wird auch vor Ort deutlich: Einige Betroffene tragen lärmreduzierende Kopfhörer.

ME/CFS Protest
Der Biss in die Zitrone war für Vertreterinnen und Vertreter der Politik kein angenehmes Vergnügen. Grundner
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Hartinger