Der letzte Schultag nach 42 Jahren: “Ich werde mein Baby, die Schule, vermissen”

Nicht nur für die Schüler der Volksschule Bütze ist das Schuljahr vorbei: Direktor Bernd Dragosits tritt in den Ruhestand. Zum Abschied sprach er mit der NEUE über die schönen und die herausfordernden Seiten seines Berufs.
“Jetzt sind mir ein paar Tränen gekommen”, gesteht Bernd Dragosits, als die Drittklässler “seiner” Volksschule Bütze ihn mit einer umgetexteten Version der Pop-Ballade “Auf Uns” von Andreas Bourani überraschen. “Ein Hoch auf dich – unseren Direktor”, sangen die Kinder für ihn und auch die anderen Klassenstufen hatten eigene Lieder oder Tänze für die Schulschlussfeier am Freitag vorbereitet.

Es ist kein gewöhnlicher Zeugnistag in Wolfurt: Nach 42 Jahren im Lehrberuf geht Direktor Bernd Dragosits in Pension. “Meine Eltern sind 90 und 92 Jahre alt und da möchte ich noch einiges zurückgeben. Deshalb habe ich mich entschieden, mit 62 Jahren in den Ruhestand zu gehen”, erklärt er seine Beweggründe. “Am Standort konnte ich eine tolle Nachfolge organisieren. Meine Kollegin Gabriele Hemetsberger, von allen anerkannt und fachlich top, übernimmt das. Das war letztendlich der Kick, den ich noch gebraucht habe, um abschließen zu können. Ich weiß, dass die Schule in guten Händen ist.” Bevor er aber in den Ruhestand tritt, hat Bernd Dragosits mit der NEUE noch einmal zurückgeblickt – auf seine Anfänge, auf schwierige Momente, schöne Erinnerungen und was er am meisten vermissen wird.
Die Anfänge als Volksschullehrer
“Grundsätzlich wollte ich immer Lehrer werden – zuerst als Mann klassisch mit den Fächern Englisch und Sport an einem Gymnasium”, beginnt Dragosits. “Meine ältere Schwester ist aber Volksschullehrerin und ich habe mal ihr ihrer Schule geschnuppert. Ich habe immer schon gern mit kleineren Kindern gearbeitet und gespielt. Nach dem Besuch war klar: Ich werde Volksschullehrer.” Die Reaktionen darauf fielen aber nicht unbedingt positiv aus: “Alle haben mich für verrückt erklärt. Ein Mann war damals, 1983, ein Exot an der Volksschule. Ich habe es trotzdem gemacht und nie bereut.” Zehn Jahre unterrichtete Dragosits an verschiedenen Volksschulen, von Au über Fußach, Hard und schließlich Bregenz.
Alle haben mich für verrückt erklärt. Ein Mann war damals, 1983, ein Exot an der Volksschule.
Bernd Dragosits über seine Anfänge
Bald schon sollte der nächste Schritt erfolgen: “Ich hatte damals einen Direktor, mit dem es nicht funktioniert hat. Da war für mich der Punkt: Ich muss selbst Direktor werden.” Dragosits bewarb sich an der Volksschule in Doren und erhielt die Stelle als Schulleiter. “In einer kleinen Schule unterrichtest du und die Direktion läuft nebenher. Am Morgen war ich in der Klasse, am Nachmittag habe ich die Administration gemacht”, berichtet Dragosits. In den 13 Jahren im Bregenzerwald habe er vieles gelernt, durfte auch den Neubau der Schule aktiv mitgestalten.

Vier Jahre nach der Fertigstellung wollte er aber nochmals eine neue Herausforderung suchen. “Ein Freund ist auf mich zurückgekommen, der in Wolfurt Direktor war und aufgrund einer Erkrankung frühzeitig in Pension gehen musste. Dort habe ich mich vorgestellt und bekam nach einem Hearing die Stelle”, erzählt Dragosits, wie er vor nunmehr 18 Jahren an die Volksschule Bütze kam. Auch hier durfte er ein Team aufbauen und den Umbau des Schulgebäudes begleiten: “Ich habe mir jeden Punkt und Beistrich in den Plänen angeschaut. Die Schule ist wie mein Baby.”
Politisch aktiv
Auch als politischer Mandatar war der heute 62-Jährige in jungen Jahren aktiv. In Bregenz war er SPÖ-Stadtrat für Schule und Jugend, sozialisiert von seinem Vater, der selbst in der Stadtvertretung saß: “Die Werte der Sozialdemokratie waren mir immer wichtig: Solidarität für andere, Einsatz für Schwächere, Gerechtigkeit – das sind Themen, die mich mein ganzes Leben lang begleiten.” Schließlich habe Dragosits aber einsehen müssen, dass auch sein Tag nur 24 Stunden hat, weshalb er alle Ämter zugunsten seiner Lehrer- und Direktorenlaufbahn zurücklegte. Die Zeit habe ihm aber viel gebracht: “Ich kenne beide Seiten, die der Schule und die der Politik. Darum weiß ich, wie sich die finanzielle Situation darstellt.” Auch nach seiner Zeit in der Parteipoltik setzte sich Dragosits für bildungspolitische Anliegen ein – als Gewerkschafter und Personalvertreter. “Ich habe gesehen, dass meine Freunde in allen Parteien sind. Mir geht es um Inhalte, nicht um Parteipolitik.” So brachte sich Dragosits unter anderem 2013 bei der Umsetzung des Volksschulpaktes aktiv ein.

Sein sozialdemokratischer Hintergrund sorgte bei seinem Engagement in Doren für eine amüsante Anekdote – der “Rote” aus der Stadt, der in den “schwarzen Bregenzerwald” kommt, das habe für ein wenig Furcht gesorgt. “Ich habe zum damaligen Bürgermeister Anton Vögel gesagt, er müsse keine Angst haben. Ich hänge nicht die rote Fahne aus dem Fenster und wir singen die Internationale. Das Eine ist privat und das Andere beruflich.” Jegliche Ressentiments hätten sich aber schnell gelegt, berichtet Dragosits: “Sie haben gesehen, ich bin mit Herzblut dabei.”
Ich habe zum damaligen Bürgermeister Anton Vögel gesagt, er müsse keine Angst haben. Ich hänge nicht die rote Fahne aus dem Fenster und wir singen die Internationale.
Der “rote” Bernd Dragosits im “schwarzen” Doren
Herzblut sei ohnehin eines der wichtigsten Dinge im Lehrberuf: “Du brauchst gute Nerven und du musst die Kinder mögen. Auch an der Welt der Kinder musst du Interesse haben. Ich glaube, ich kenne alle Comic-Figuren, die in den letzten 30 Jahren in die Schule gekommen sind – von der Diddl-Maus über Pikachu bis zu Spiderman. Du brauchst auch einen langen Atem, manches musst du mit den Kindern zehnmal machen. Und natürlich brauchst du Humor.”

Die schönsten Momente im Lehrberuf seien für ihn jene gewesen, in denen er Kinder helfen konnte. “Mit einem unserer Schüler, dem das Lernen besonders schwerfällt, habe ich in der Eins-zu-Eins-Betreuung den Stoff für die Fahrradprüfung erarbeitet. Dann hat er die Prüfung tatsächlich geschafft. Zum Schulschluss hat er mir nun eine selbstgebastelte Schatulle geschenkt”, erzählt Dragosits lächelnd.

In seiner Schulleiterlaufbahn gab es aber auch heikle Momente: “Die bedrohlichsten Situationen sind die, wenn Eltern körperlich aggressiv werden. Das ist zweimal vorgekommen. Einmal wurde ich in der Schülerbetreuung zu Hilfe gerufen, wo ich einen Vater des Hauses verwiesen habe. Ein anderes Mal griff ein Vater eine Lehrerin in einem Elterngespräch psychisch und verbal extrem an. Ich musste das Gespräch abbrechen und ihn ebenfalls des Hauses verweisen.” In solchen Krisensituationen sei es wichtig, ruhig zu bleiben und klare, bestimmte Anweisungen zu geben, instruiert Dragosits.
Kinder halten jung
Was Dragosits in der Pension am meisten vermissen wird? “Die meisten Leute in meinem Alter unterschätzen, dass man durch die ständigen Begegnungen mit Kindern am Puls der Zeit bleibt. Das werde ich vermissen. Und natürlich mein Baby, meine Schule. Auch die vielen Kolleginnen werde ich vermissen, weil da über all die Jahre einige Freundschaften entstanden sind.”

Zum letzten Mal wird Bernd Dragosits das Direktorenbüro noch nicht verschließen. Über den Sommer wird er Gabriele Hemetsberger bei der Einführung ins neue Amt unterstützen. Den symbolischen Schlüssel übergab er ihr bei der Abschlussfeier trotzdem schon einmal.
