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„Man muss diesen Schülern Zeit geben“

05.04.2022 • 18:36 Uhr
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Reuters

Frage & Antwort. Hundert ukrainische Schüler werden in Vorarlberg unterrichtet.

1. Wie viele ukrainische Schülerinnen und Schüler sind bereits in Vorarlbergs Schulen?
Elisabeth Mettauer-Stubler:
Im Moment sind es 90 schulpflichtige Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren. Dazu kommen zehn Kinder, die über 14 sind und weiterführende Schulen wie ein Borg oder eine HAK besuchen. Diese Zahlen ändern sich rasch und nehmen von Woche zu Woche zu. Die Familien sind jetzt so weit, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken.

2. Wo im Land sind die Schulen, in denen ukrainische Kinder unterrichtet werden?
Mettauer-Stubler: Sie verteilen sich über das ganze Land und sind nicht nur in den Städten. Im Montafon haben wir zum Beispiel in Schruns, Vandans und Bartholomäberg ukrainische Schüler, es sind aber auch welche im Bregenzerwald oder in Götzis und Rankweil.

3. Wie ist das Procedere, bis ein ukrainisches Kind die Schule besuchen kann?
Mettauer-Stubler:
Es kommt darauf an, wie lange die Familien bleiben wollen. Manche waren nur auf der Durchreise, viele hofften, sie können bald wieder zurück. Bei den einen dauert es schneller, bis sie wissen, ob sie bleiben, bei den anderen dauert es länger. Wenn eine Familie sich entschieden hat, länger hierzubleiben, bekommt sie ein Aufenthaltsrecht für Vertriebene in Österreich, was mit einer Meldebestätigung einhergeht. Dann können vom Rechtlichen her die Kinder bei der Schule angemeldet werden oder im Fall einer weiterführenden Schule bei einem Schultyp, den der Schüler in der Ukraine besucht hat. Der Schulbesuch ist also mit einem längeren oder dauerhaften Aufenthalt verbunden.


4. Gilt für diese Kinder die Schulpflicht?
Mettauer-Stubler:
Wenn sie nicht nur vorübergehend hier sind und bis 14 Jahre alt sind, sind sie schulpflichtig. Sie haben auch das Recht, eine Pflichtschule zu besuchen. Jede Schule muss diese Kinder aufnehmen.

5. Müssen die Kinder gleich in die Schule?
Mettauer-Stubler:
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie sich zuerst an die neue Umgebung gewöhnen sollten. Sie haben viel mitgemacht und müssen nicht am ersten Tag, an dem sie könnten, in die Schule. Den Zeitpunkt können sie bzw. die Eltern oder Mütter, da viele Väter in der Ukraine sind, selbst entscheiden. Irgendwann möchten die Mütter den Kindern eine gewisse Struktur und Normalität bieten und dazu ist der Schulbesuch ein gutes Instrument. Die Kinder werden dadurch auch abgelenkt und sind mit Gleichaltrigen zusammen.

6. Wie wird entschieden, in welche Schule ein Kind kommt?
Mettauer-Stubler: Dort, wo die Familien sich niedergelassen haben, gehen sie grundsätzlich in die Sprengelschule. Je nach Ort und Alter gibt es immer eine Sprengelschule.

<strong>Elisabeth Mettauer-Stubler</strong><span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Elisabeth Mettauer-StublerKlaus Hartinger

7. Wie läuft der Unterricht für die Kinder ab, vor allem vom sprachlichen her gesehen?
Mettauer-Stubler:
Die meisten Kinder können überhaupt kein Deutsch, manche, wenn sie bereits Verwandte oder Bekannte in Vorarlberg haben, sprechen ein paar Worte. Das Ziel ist deshalb, dass sie möglichst schnell Deutsch lernen. In der Regel läuft es so ab, dass die Kinder integrativ je nach Alter einer Klasse zugeteilt werden. In Fächern wie Turnen oder Werken können sie rasch und einfach mitmachen. In einzelnen Stunden werden sie herausgenommen und erhalten eine Eins-zu-Eins-Förderung in Deutsch oder sie kommen in Gruppen, wo Deutsch gelernt wird. Vielleicht gibt es in der Schule auch schon einen Deutschförderkurs, bei dem sie mitmachen können. Wichtig ist, dass die Kinder ihren Platz in der Schule finden, der Rest ergibt sich. Und auch wenn ein schneller Spracherwerb das Ziel ist: Die Kinder sollen nicht überfordert werden. Man muss ihnen Zeit geben, sie sind nach der Flucht aus ihrer Heimat, in der Krieg herrscht, in einem neuen Land, in einer neuen Schule, wo sie niemanden verstehen und sie bekommen viele neue Eindrücke.

8. Es gibt auch Lehrerinnen und Lehrer in Vorarlberg, die Ukrainisch sprechen?
Mettauer-Stubler:
Ja. Wir haben erhoben, wo es Lehrerinnen und Lehrer mit ukrainischen Wurzeln oder Sprachkenntnissen gibt. Diese Lehrpersonen haben wir in der Deutschförderung eingesetzt. Das funktioniert sehr gut. Wir haben aber auch unter den Geflüchteten nach Menschen geschaut, die in der Ukraine unterrichtet oder sonst einen pädagogischen Hintergrund haben. Sie können im Assistenzbereich oder in der Betreuung angestellt werden.

9. Kommen Ukrainisch sprechende Lehrer von ihrer Stammschule, sagen wir beispielsweise Bregenz, auch nach Dornbirn, um dort ebenfalls ukrainische Kinder zu unterrichten?
Mettauer-Stubler:
Wir schauen, dass diese Lehrerinnen und Lehrer dort eingesetzt werden, wo sie schon unterrichten bzw. in der Umgebung, wie in einer benachbarten Schule. Diese Pädagogen sind flexibel, sie bieten sich an und wollen mithelfen. Von den allermeisten dieser Lehrer sind ukrainische Verwandte oder Bekannte nach Vorarlberg geflüchtet.

10. Bedeuten die Flüchtlingskinder eine Herausforderung für das Schulsystem?
Mettauer-Stubler
: Ja. Wobei es im Moment noch überschaubar ist, auch deshalb, weil die Kinder auf das ganze Land verteilt sind. Wir wissen jedoch nicht, wie es sich in den nächsten Wochen entwickeln wird. Es werden wohl immer mehr Kinder in die Schulen kommen. Wenn in einzelnen Standorten sehr viele ­ukrainische Schüler aufgenommen werden, wird man reagieren und dort Deutschförderklassen anbieten müssen. Eine solche Klasse wird errichtet, sobald acht Kinder über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfügen. Diese Klasse kann auch schultypübergreifend sein, beispielsweise mit Schülern aus der Volks- und Mittelschule.

11. Wie sind die Rückmeldungen aus den Schulen?
Mettauer-Stubler:
Sie sind gut. Dabei ist zu bedenken, dass die Schulen momentan sowieso schon gefordert sind durch die Corona-Maßnahmen und die coronabedingten Ausfälle. Die Bereitschaft der Schulen, dass die Kinder aufgenommen und gut begleitet werden, ist dennoch groß, genauso das Engagement.