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Olaf Scholz und die Ukraine

20.04.2022 • 15:24 Uhr
<span class="copyright">APA/AFP/POOL/LISI NIESNER</span>
APA/AFP/POOL/LISI NIESNER

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt sich nicht. Besonders sichtbar wird das bei der Ukraine-Politik.

Für einen kurzen Moment ging Kanzler Olaf Scholz in die Offensive. Das war’s dann aber auch. „Schönen Dank für Ihre Frage, die mir eine Gelegenheit gibt, nach der ich schon seit einiger Zeit suche“, sagte Scholz forsch auf der Pressekonferenz nach Beratungen der G7 über weitere Militärhilfen für die Ukraine. Er erzeugte aber doch Verwunderung. Der deutsche Regierungschef sucht nach Möglichkeiten, seine Politik zu erklären?! Das erstaunt. Verdeutlicht aber in mancherlei Hinsicht das Problem von Scholz‘ Ukraine-Politik. Von der angekündigten Zeitenwende ist wenig zu spüren.

Da ist zum einen die Kommunikation. Scholz ließ die Debatte über die Lieferung von schwerem militärischem Material lange laufen. Auch aus Rücksicht auf die eigene Partei. Der linke Flügel der SPD lehnt Waffenlieferungen ab und bringt nicht nur Scholz in ein Dilemma, sondern auch seine Koalition. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, SPD-Außenpolitiker Michael Roth und der Grüne Anton Hofreiter sprachen sich nach einer Kiew-Reise für die Lieferung schweren Kriegsmaterials an die Ukraine aus. Hofreiter, frustriert über seine Nichtberücksichtigung im Kabinett, machte sogar direkt Scholz für das Versagen verantwortlich („Das Problem liegt im Kanzleramt“). „Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich“, bellte Scholz barsch zurück. Ton und Übellaunigkeit erinnerten manchen an Scholz‘ Zeit als SPD-Generalsekretär zu Beginn des Jahrhunderts, als er ähnlich abgehoben Kritik an den Arbeitsmarktreformen von Gerhard Schröder abperlen ließ.

Kritik am Führungsstil

So ist aus der Debatte über die Ukraine-Politik eine Diskussion über Scholz‘ Führungsstil geworden. Und damit auch über die Ampel. SPD, FDP und Grüne feierten ihr Bündnis als Fortschrittskoalition. Nicht nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner wollte man streben, sondern nach dem größten gemeinsamen Vielfachen. Die Arithmetik ging nicht ganz auf.

FDP-Chef Christian Lindner lehnt Steuererhöhungen kategorisch ab, der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck streicht kurzerhand die Förderung für Hybridwagen und die gesamte Koalition scheitert mit der Idee einer Impfpflicht. Das vielschichtige Vorgehen erinnert mehr an Türkis-Grün in Wien. Nur hat Österreichs Kabinett die Ressorthoheit strategisch geschickt als Kern des Regierungshandeln verankert. In Deutschland verfestigt sich hingegen der Eindruck: Jeder nach seinen Fähigkeiten.

Das zeigt sich auch in der Ukraine-Politik. Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock treten forscher auf als der Kanzler. Der wird öffentlich als Zauderer wahrgenommen. Jüngstes Beispiel: Als Scholz noch versucht, die deutsche Hilfe im Ringtausch zu erklären. Tschechien liefert der Ukraine vertrautes Gerät sowjetischer Bauart, das von Deutschland durch neues Material ersetzt wird, preschen die Niederlande mit eigenen Lieferungen vor und schwächen auch Scholz‘ Argument, für Training an neuen Waffen sei keine Zeit. Scholz wirkt gefangen. Durch die eigene Partei. Und durch die deutsche Geschichte. Der Imperativ des „Nie wieder“ kann doppelt gedeutet werden. Als unbedingten Pazifismus. Oder als Vorgehen gegen diktatorische Aggressoren.

Scholz erklärt sich nicht. Er ist auch darin seiner Vorgängerin nicht unähnlich. Nur entwickelten sich deren Krisen in einer zeitlichen Abfolge. Scholz steht vor parallelen Aktionen. Schon könnte die nötige Verfassungsänderung für die 100 Milliarden Euro Sondervermögen der Bundeswehr im Bundestag scheitern. Nach dem Scheitern der Impfpflicht der nächste Schlag für Kanzler und Koalition. Zeitenende statt Zeitenwende. Der Ampel fehlt eine erkennbare Strategie. Nicht nur in der Ukraine-Politik.