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Zwischen dem Vieh auf die Alpe Gibau

17.06.2023 • 18:39 Uhr
Seit 25 Jahren bringt Mario Saler das Vieh auf die Alpe Gibau. Zum Dank gibt's einen feuchten Kuss.  <span class="copyright">Schad </span>
Seit 25 Jahren bringt Mario Saler das Vieh auf die Alpe Gibau. Zum Dank gibt's einen feuchten Kuss. Schad

Auf der Alpe Gibau verbringen nun wieder 160 Rinder den Sommer. Wie sie hochkommen, und warum der Weg beschwerlich ist.

Es ist 4.30 Uhr, der Wecker klingelt und weckt mich aus dem Tiefschlaf. Zeit, die Wanderschuhe zu schnüren – der Alpauftrieb steht an. 154 Rinder, Kühe und Kälber werden auf ihre Sommer-Bleibe geschickt. Damit ein Teil der 17 Kilometer langen Strecke von Partenen über Kops, die Verbella-Alpe bis zur Alpe Gibau noch in der Morgenkühle gegangen werden kann, ist um 5 Uhr Treffpunkt an der Mautstelle Partenen.

Das Vieh kommt zum Großteil aus dem deutschen Allgäu und ist daher schon in den vergangenen Tagen hergebracht worden. Somit hatten die Tiere etwas Ruhe, bevor sie den beschwerlichen Weg antreten. Nicht nur 17 Kilometer sind eine Herausforderung, auch die 1200 Höhenmeter sind eine echte Challenge. „Ich bin richtig platt. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es so anstrengend ist“, meint Andrea. Sie kommt aus München und bleibt über den Sommer auf der Alp. „Ich wollte einfach mal eine Auszeit haben und was Neues kennenlernen“, erzählt sie nachher auf der Alpe Gibau. Über eine Plattform hat sie eine Anzeige geschaltet. Michael und Andrea Saler haben sich schließlich bei ihr gemeldet und freuen sich, dass sie bis zum 8. August die Zäune kontrolliert, umsteckt und das Vieh umsiedelt. „Ich habe keine Ahnung von Vieh. Aber mit dem Auftrieb ist sicher schon die erste Herausforderung geschafft“, schmunzelt sie.

Meter um Meter

Zurück auf den Weg hinauf. Damit der Auftrieb gelingen kann, braucht es mindestens zehn Helfer, die das Vieh nach oben führen und aufpassen. Wer glaubt, dass auch die Helfer nur gerade auf dem Weg gehen, hat sich aber getäuscht. Von Zeit zu Zeit laufen einzelne Tiere vom Weg ab, die Böschung hinauf oder biegen auf eine Wiese. Ob sich die Kuh in dem Moment denkt, „Mmh, saftiges frisches Gras, das muss ich probieren“, ist mir bis zuletzt nicht klar geworden.

Fest steht aber definitiv: Das Vieh muss auf seinen Abwegen eingefangen werden. Und zwar besser schnell. Denn Rinder sind Herdentiere. Sie gehen nicht gerne allein. Das fällt bei solchen Manövern genauso auf, wie wenn sich zwischen zwei Gruppen eine Lücke auftut und ein Tier dazwischen alleine geht. Die Reaktion ist entweder ein spontanes Losrennen oder ein Warten oder gar Umdrehen zur hinteren Gruppe. Wenn also ein Tier auf Entdeckungstour geht und nicht schnell genug eingefangen wird, besteht die Gefahr, dass andere hinterher laufen. Und dann sind es ganz schnell 20 bis 30 Tiere, die zurück auf den Weg getrieben werden müssen. Ein harter Job.

Alpe Gibau

Michael Saler und seine Frau Andrea betreiben die Alpe seit nun 25 Jahren. „Wir haben dieses Jahr quasi Silberhochzeit“, sagt Andrea lachend. Während sie vorwiegend im Tal bleibt und ihrem Mann lediglich einen Besuch abstattet, bleibt Michael den gesamten Sommer über auf der Alp. Er liebt die Arbeit mit den Tieren und könnte sich nichts Schöneres vorstellen. Salers haben auch eigene Tiere oben: Milchkühe, Rinder und auch drei Kälbchen. Auch sie sind oben auf der Alp und tollen in einem extra eingezäunten Bereich umher. Neben den rund 160 Rindern kommen noch knapp 600 Schafe hinauf.

Alle Tiere werden von Tag zu Tag auf neue Weiden gebracht, damit sie genug zu fressen haben. Die Auswahl der Plätze orientiert sich einerseits am Alpgebiet, andererseits an der Schneelage. Aktuell liegt auf knapp 2200 Metern Seehöhe noch Schnee. Und auch Ende August/Anfang September kommt der Schnee mitunter plötzlich. Michael Saler hat daher einen genauen Laufplan für die Tiere, sodass sie stets genug zu fressen haben. Der Schnee, der im Herbst mitunter überraschend kommt, ist auch der Grund, weshalb er die Tiere schon auf die Alp bringt. „Im Frühjahr kann man hochgehen, im Herbst muss man definitiv rechtezeitig runter“, sagt er.

Michael Saler erklärt außerdem, dass Alpwirtschaft längst auch eine Frage des Geldes geworden ist. „Wenn die deutschen Tiere 90 Tage auf der Alp verbringen, bekommen ihre Landwirte eine Förderung“, verrät er. Nicht zuletzt deshalb ist es wichtig, hinauf zu gehen, sobald es für die Tiere genug zu fressen gibt. Ein weiterer Grund ist die Weidesituation im Tal. Nach einigen Tagen auf der Vorsäß ist das Gras kurz gefressen. „Dann haben wir schlicht nicht genug zu fressen für die Tiere“. Oben könne man das aufgrund des großen Weidegebiets besser regeln.

Immer langsamer

Auf dem Weg zur Alp werden die Tiere von Meter zu Meter langsamer. Man merkt ganz deutlich, wie anstrengend die Höhenmeter und die Strecke sind. „Einige der Tiere waren über den Winter nur im Stall. Das merkt man dann an der Fitness“, sagt Saler. Die Schwierigkeit ist unter anderem, dass es einen Pass von 2200 Metern zu überschreiten gilt. Danach geht es noch einmal rund fünf Kilometer bergab, bis das Vieh die Alpe erreicht. Der Schnee oben fordert die Tiere. Zwar ist der Weg frei, und es besteht keine Gefahr für die Tiere. Trotzdem biegt die eine oder andere Kuh auf das Weiß ab. Das schwere Vorankommen bringt sie zwar schnell zurück auf sicheren Grund – Kraft kostet der Ausflug die Tiere trotzdem. „Wir müssen immer damit rechnen, dass ein Tier den Weg nicht schafft“, sagt Saler, der den Auftrieb aus dem Tal nach oben koordiniert. Er fährt daher mit einem Auto hinter der Gruppe her – und hat einen Hänger dabei, mit dem schwache Tiere notfalls nach oben gebracht werden können. Auch diesmal gab es einen Notfall. Ein kleines Kalb war schwach und wollte nicht weiter laufen. „Da müssen wir das Tier nicht hoch quälen. Ich lade es dann lieber ein und bringe es wohlbehalten nach oben“, so der Gaschurner.

Auf der Alp angekommen merkt man ganz deutlich: Es fällt Last von Salers Schultern ab. „Ich bin froh, dass alle Tiere oben sind“, gibt er zu. Auch die Helfer sind erschöpft und freuen sich über eine leckere Wurst und ein kühles Bier. Trotz aller Anstrengung sind sich alle einig: Es ist ein Tag, der einem unglaublich viel gibt.