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„Die Miliz muss üben können, denn sonst ist sie tot“

08.02.2024 • 23:00 Uhr
Brigadier Gunther Hessel ist seit 2020 Vorarlbergs Militärkommandant. <span class="copyright">hartinger</span>
Brigadier Gunther Hessel ist seit 2020 Vorarlbergs Militärkommandant. hartinger

Österreichs Verteidigungsfähigkeit wird nach Erscheinen des Risikobilds 2024 diskutiert. Militärkommandant Gunther Hessel zum Thema.

Herr Brigadier, kürzlich wurde das „Risikobild 2024 – Welt aus den Fugen“ präsentiert. Konsens: Österreich ist nicht wehrfähig. Was bedeutet das für uns?
Gunther Hessel: Das Risikobild ist auch eine Analyse der internationalen Entwicklungen. Mehrere Nationen bereiten sich auf einen Krieg vor. Auch Österreichs stellvertretender Generalstabschef, Generalmajor Hofbauer, spricht von Kriegsvorbereitungen. Dass dies viele so irritiert, zeigt nur, wie sicher man sich schon gefühlt hat – und dass das Bundesheer mehr oder weniger nur noch als Back-up für Feuerwehr und Polizei gesehen wurde. Aber unsere eigentliche Aufgabe ist die Landesverteidigung, und das heißt nun einmal, uns für den Ernstfall vorzubereiten. Weise Menschen haben schon gesagt, „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.“ Wer verteidigungsbereit ist, kann Frieden und Stabilität sichern.

Vor bestimmten Entwicklungen wird schon seit Jahren gewarnt.
Hessel: Und das bestätigt sich nun. Unser recht unipolares Weltbild mit den USA als Supermacht hat sich zu einer multipolaren Welt entwickelt. China hat massiv aufgeholt, Russland gibt sich, wie man derzeit sieht, nicht mehr als Regionalmacht zufrieden, auch Indien spielt zunehmend eine globale Rolle. Das ist ein Kampf um Einfluss und Macht.

Militärkommandant Gunther Hessel im Gespräch. <span class="copyright">Steurer</span>
Militärkommandant Gunther Hessel im Gespräch. Steurer

Ein Kampf, bei dem es auch um Ressourcen geht?
Hessel: Die Weltbevölkerung nimmt zu, der Wirtschaftsmotor braucht demnach immer mehr Ressourcen. Staaten wie Indien und China führen ihre Bevölkerung weiter in die Mittelschicht. Auch Afrika braucht immer mehr seiner Ressourcen selbst, dort wird bis etwa 2050 eine Bevölkerungsexplosion erwartet. Noch dazu kommt der Klimawandel: Klimazonen verschieben sich, in den nächsten Jahrzehnten werden einige Regionen unfruchtbar und unbewohnbar werden. Insofern ist es einleuchtend, dass die Welt labiler wird und die Menschen sich Sorgen machen. Die Gefahr regionaler Konflikte wächst, terroristische oder extremistische Tendenzen nehmen ebenfalls zu.

Kann man sich darauf überhaupt noch rechtzeitig vorbereiten? Solche Prozesse brauchen ja auch Zeit.
Hessel: Der Veröffentlichungszeitpunkt des Risikobilds war meiner Meinung nach genau richtig. Es ist eine wichtige strategische Grundlage für unsere nationale und internationale Politik. Vor einem Krieg, der, wie schon Generalmajor Vorhofer sagte, als politisches Mittel wieder salonfähig ist, muss die Diplomatie natürlich alles versuchen. Die aktuellen Entwicklungen sind nicht zuletzt eine Folge unzureichender Diplomatie. Doch wenn dies scheitert, braucht es Verteidigungsfähigkeit. Die Politik kann jetzt ihre Verantwortung wahrnehmen, auch, was die Ausgestaltung des Österreichischen Bundesheers betrifft – budgetär und personell. Wenn wir wehrfähig sein wollen, müssen wir das jetzt in Angriff nehmen.

Die Personalsituation haben Sie schon öfters kritisch angesprochen – Stichwort Grundwehrdienst und Miliz.
Hessel: Richtig. Die Frage ist, wie gehen wir weiter vor, um den Erfordernissen der Landesverteidigung gerecht zu werden? Es braucht zwei Pfeiler: Einerseits hochwertiges Gerät, andererseits genügend gut ausgebildete Soldaten, die es bedienen können. Die Verlängerung der Wehrpflicht ist hierbei essentiell. Eines der Probleme ist, dass wir schlicht zu wenige Grundwehrdiener haben. Das liegt nicht nur an den geburtenschwachen Jahrgängen, sondern auch daran, dass sich rund fünfzig Prozent für den Zivildienst statt den Grundwehrdienst entscheiden.

„Wenn wir wehrfähig sein wollen, müssen wir das jetzt in Angriff nehmen.“

Gunther Hessel

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Hessel: Ich kann nur Vermutungen anstellen. Grundsätzlich ist es wohl so, dass viele junge Menschen die persönlichen Einschränkungen und die Herausforderung nicht haben möchten. Den Zivildienst stellen sie sich da angenehmer vor, egal, wie spannend und interessant wir ausbilden. Vielleicht ist es auch das Gefühl, nicht genug wertgeschätzt zu werden. Ich habe aber das Gefühl, dass der Stellenwert des Bundesheers in der öffentlichen Wahrnehmung wieder wächst, dass man als Soldat wieder geschätzt wird. Natürlich müssen wir die jungen Soldaten fordern, da sie in einem Team sehr gut funktionieren müssen. Dazu gehört eben auch Verlässlichkeit, Disziplin, Ordnung und ein gewisser Drill. In der Krise müssen sie funktionieren, und dafür braucht es klare Strukturen und Regeln.

Und für jene, die sich für den Grundwehrdienst entscheiden, ist die Ausbildungszeit zu kurz?
Hessel: Ja. In sechs Monaten lernt man vielleicht die Grundlagen, aber es fehlt die Zeit zum Üben. Das wäre nicht nur für die Grundwehrdiener, sondern vor allem auch für unsere Kommandanten extrem wichtig. Wenn wir also den Grundwehrdienst verlängern, haben wir Vorteile. Es rücken mehr Grundwehrdiener ein und die Verbände können wieder üben. Da gäbe es verschiedene sinnvolle Modelle, etwa acht plus ein oder zwei Monate Übungspflicht. Die Wiedereinführung einer Übungspflicht ist essenziell.

Also verpflichtende Milizübun­gen?
Hessel: Ja, wenn wir diese nicht bekommen, laufen wir Gefahr, dass die Verteidigungsfähigkeit, die wir anstreben, scheitert. Die Miliz muss als Ganzes wieder üben können, sonst ist sie tot. Die Wirtschaft hört das nicht gern, weil sie glaubt, es ist nachteilig. Diese Angst kann ich aber nehmen. Die Schweiz etwa hat das Vier- bis Fünffache unserer Miliz und ist eine der wirtschaftsstärksten Nationen. Offiziere und Unteroffiziere der Miliz bringen Fähigkeiten und Verhaltensweisen mit in die Wirtschaft, die dieser dienen. Sie haben eine Führungsausbildung, sind Resilienzdenker und in ihrer persönlichen Haltung positiv eingestellt. Aber auch Rekruten und Chargen bringen Leistungsfähigkeit und Werte wie Disziplin, Struktur und Kameradschaft mit. Das nutzt auch der Wirtschaft.

Wie sieht es mit einer Wehrpflicht für Frauen aus?
Hessel: Wenn wir über eine Wiedereinführung der Übungspflicht und eine Verlängerung des Grundwehrdienstes reden, wäre es auch angebracht, eine Wehrpflicht für alle zu diskutieren, vielleicht auch eine Milizpflicht für alle. Auch eine Verlängerung des Zivildienstes soll man sich anschauen, es wird auch über zu wenige Zivildiener geklagt. Das ist aber nicht mein Bereich. Für mich ist wichtig, dass wir genug ausgebildete Soldaten haben, um das moderne Gerät, für das sich unsere Ministerin sehr einsetzt, bedienen und instandhalten können.

Die Personalsituation müsse dringend verbessert werden. <span class="copyright">Stiplovsek</span>
Die Personalsituation müsse dringend verbessert werden. Stiplovsek

Gibt es denn eine konkrete Bedrohungslage für Österreich?
Hessel: Das ist derzeit nicht abzuleiten. Wenn, dann eine sogenannte hybride Bedrohung aus dem Untergrund. Also von einem uns feindlich gesinnten Staat, in den Untergrund eingeschleuste Kräfte, die etwa Anschläge durchführen, um die Gesellschaft zu destabilisieren, die Versorgung einzuschränken oder die Politik zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. In einer Kriegslage sehe ich uns nicht, zumal die österreichische Politik die Neutralität nicht infrage stellt und auch nicht überschreitet.

Stichwort „Sky Shield“ – manche Stimmen, etwa aus der FPÖ, sehen die Neutralität durch eine Teilnahme infrage gestellt.
Hessel: Es ist sehr wichtig, dass wir unsere internationale Luftverteidigung in Europa gut koordinieren und abstimmen. Sogar die Schweizer, denen die Neutralität heilig ist, sind dabei. Gerade, weil Österreich nicht in einem Bündnis wie der Nato ist, müssen wir uns bemühen, verteidigungsfähig zu sein, das macht die Neutralität glaubwürdig. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht international abstimmen können. In einem Bund von Systemen zu sein, bedeutet keine Neutralitätsverletzung. Beispielsweise erlauben wir trotzdem keinem Nachbarstaat, Waffensysteme auf österreichischem Boden aufzustellen.

Was aber, wenn wir trotzdem in einen Konflikt geraten, beispielsweise durch eine solche hybride Bedrohung?
Hessel: Das Ziel ist, es nicht zu einem Konflikt kommen zu lassen – sollte das aber passieren, kann man davon ausgehen, dass die Neutralität obsolet ist und wir sofort Kooperationen eingehen, die Österreich bei der Verteidigung nutzen.

Letzte Frage: Was bedeutet das heurige „Superwahljahr“ für die Sicherheitspolitik?
Hessel: Die Wahl ist natürlich wichtig, weil wir eben sehr gefordert sind, vor allem im Personalbereich unsere Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen. Wenn wir die Verlängerung des Grundwehrdienstes und Wiedereinführung der Übungspflicht nicht spätes­tens mit der nächsten Regierung angehen, sieht es nicht gut aus.