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„Suchtgefahr kann immer auflauern“

08.04.2024 • 11:00 Uhr
Interview mit Martin Schwall und Story über das Suchtbehandlungszentrum DieFaehre
Seit 20 Jahren arbeitet Martin Schwall als Sozialpädagoge bei der Faehre.
Roland paulitsch

Die Faehre ist eine Fach- und Dienstleistungsorganisation rund um das Thema Sucht, Drogen und Abhängigkeit in Dornbirn. Sozialpädagoge Martin Schwall gibt Einblick in die Arbeit und spricht über Gefahren und Prävention.

Gegründet wurde Die Faehre 1993 von Konrad Steurer und schon zwei Jahre später vom Bundesministerium für Gesundheit als öffentlich anerkannte Einrichtung für die Durchführung gesundheitsbezogener Maßnahmen nach dem Suchtmittelgesetz bestätigt. Die Wurzeln liegen in den frühen 80er-Jahren, den Anfängen des Vereins Dialog, eine der ersten ambulanten Drogenhilfeeinrichtungen in Österreich. Als integrierter Teil des Netzes der Vorarlberger Drogenhilfe wird Die Faehre grundsätzlich aus Mitteln des Vorarlberger Sozialfonds finanziert.

Interview mit Martin Schwall und Story über das Suchtbehandlungszentrum DieFaehre
Silvester Inkert ist zusammen mit Isabella Abler Geschäftsführender Gesellschafter bei der Faehre. Roland paulitsch

Das Wirken der Faehre ist mit dem psychosozialen, medizinischen und präventiven Bereich auf drei Säulen aufgebaut und umfasst ein vielfältiges Angebot. Begleitet werden Menschen, die an substanzgebundenen Suchtformen wie Alkohol, illegalen Drogen, Nikotin, Medikamentenabhängigkeit sowie nicht substanzgebundenen Suchtformen wie zum Beispiel Spielsucht, Kaufsucht, Pornografiesucht erkrankt sind. Auch Angehörige, Bezugspersonen und Menschen, die aus beruflichen Gründen mit dem Thema Sucht konfrontiert sind, werden unterstützt.

Von Belgien nach Österreich

Seit Mai 2023 ist Die Faehre in Rhombergs Fabrik im Haus K untergebracht. Die NEUE besuchte den kompetenten Partner in Suchtgiftfragen in den neuen Räumlichkeiten in der Färbergasse und unterhielt sich mit Martin Schwall. Der gebürtige Belgier lebt seit 1995 in Österreich, zuerst in Wien, ab 1999 in Vorarlberg. Schwall ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt in Dalaas. Nach seinem Engagement bei der Sozialeinrichtung „do it yourself“ in Bludenz ist er nun schon seit 20 Jahren als Sozialpädagoge sowie Kunst- und Symboltherapeut kompetenter Ansprechpartner bei der Faehre.

Interview mit Martin Schwall und Story über das Suchtbehandlungszentrum DieFaehre
Martin Schwall im Interview. Roland Paulitsch

„Ich habe in Belgien Sozialpädagogik studiert und startete mein Berufsleben im Behindertenbereich. In Österreich zuerst in Wien und danach bei der Lebenshilfe Vorarlberg. Nach einem Bandscheibenvorfall habe ich mich dann, auch aus körperlichen Gründen, entschieden, in den Suchtbereich zu wechseln“, berichtet der 56-Jährige und steigt gleich ins Suchthema ein. „Wer sich für eine ambulante Suchttherapie entscheidet, muss sich eine persönliche Veränderung wünschen sowie einen Weg der Genesung beschreiten und so ein genussvolles Leben, frei von Sucht und Abhängigkeit, erreichen wollen. Wir orientieren uns dabei an der Freiwilligkeit und Eigenverantwortung unserer Klienten, die altersmäßig ein großes Spektrum abdecken. Das reicht von 12 bis 80 Jahre.“

Viele Ursachen

Wo liegen die Ursachen für eine Sucht? „Die Sucht hat viele Ursachen und Gesichter und ist kein Phänomen, das nur einzelne trifft. Die Suchtgefahr kann immer auflauern. Zum Beispiel, wenn man schwierige Lebensphasen oder gerade eine Krise hat. Sucht hat meiner Meinung nach auch immer etwas mit Gefühlen zu tun. Entweder um ein unangenehmes Gefühl erträglicher zu machen oder um ein angenehmes Gefühl zu erzeugen“, führt Martin Schwall aus.

Interview mit Martin Schwall und Story über das Suchtbehandlungszentrum DieFaehre
Die neuen Räumlichkeiten der Faehre. Paulitsch

Prävention wichtig

Viele Jahre lang haben sich Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenproblems im Wesentlichen auf Aktivitäten des Aufspürens und Verfolgens von Händlern und Suchtgiften beschränkt. Die ganz großen Erfolge stellten sich damit aber nicht ein. Heute wendet man sich deshalb zunehmend der Nachfrage zu, also den Süchtigen selbst sowie den Ursachen dafür, warum jemand süchtig wird.

Für den 56-Jährigen ist die Aufklärung auch ein ganz wichtiger Faktor: „Es gibt verschiedene Arten von Prävention. Die Primärprävention, die sich an Gruppen richtet, die bisher noch nicht vom Drogenproblem betroffen sind, sollte schon im Kindergarten und an den Schulen anfangen. Die Sekundärprävention ist für Menschen, die bereits Erfahrungen im Drogengebrauch haben. Hier gehen wir auch an Orte, wo Drogen konsumiert werden, um zu informieren. Dieses Angebot wird sehr gut in Anspruch genommen. In diesem Kontext gibt es bei uns auch neu als Pilotprojekt das Drug Checking. Man kann anonym und kostenlos Drogen testen lassen, um zu wissen, was sie eigentlich konsumieren. Wenn man die Drogen auf dem Schwarzmarkt kauft, weiß man einfach nicht, was alles drin ist. Das ist ein großes Risiko“.

Kokain weit verbreitet

Apropos Risiko: Derzeit sorgt eine weitere gefährliche Droge für viele Schlagzeilen. Das Schmerzmittel Fentanyl, das bis zu 100 Mal stärker wirkt als Heroin und diesem als Streckmittel beigemischt wird. „Das zerstört den Körper viel mehr als Heroin“, weiß Schwall. „Weil man nicht weiß, wie viel Fentanyl beigemischt wurde, ist es natürlich sehr gefährlich.“ Es sei aber bei der Faehre noch eher ein Randthema. Ganz im Gegensatz zu Kokain. „In den 20 Jahren, die ich nun dabei bin, hat sich der Stellenwert von Kokain deutlich nach oben verschoben. Früher war es eine Droge für den großen Geldbeutel. Heute ist Kokain viel günstiger zu haben. Zudem wird der Markt damit überschwemmt, und das mit einem wesentlich höheren Reinheitsgehalt.“

Interview mit Martin Schwall und Story über das Suchtbehandlungszentrum DieFaehre
Martin Schwall in seinem Büro. Paulitsch

Thema Cannabis

Ein Thema ist derzeit auch das mit 1. April in Kraft getretene Gesetz zur Cannabis-Teilliberalisierung in Deutschland. „Diesbezüglich wollen wir uns nicht positionieren. Es hat Vor- und Nachteile. Den Schwarzmarkt kann man nie ganz ausschalten, aber mit der Legalisierung wird zumindest eine kontrollierte Abgabe gewährleistet.“

Austria Germany Cannabis
Am 1. April ist in Deutschland ein Gesetz zur Cannabis-Teilliberalisierung in Kraft getreten. ap/martin meissner

Heroin macht schnell abhängig

Bezüglich des Gefährlichkeitsgrades sei es schwierig, eine Einteilung der Drogen zu machen. „Heroin macht zum Beispiel schnell abhängig, mit Entzugserscheinungen. Beim Kokain glauben viele Konsumenten lange, dass sie alles im Griff haben, nicht abhängig sind – ein Trugschluss. Ich glaube, entscheidend ist, wie hart man konsumiert. Sprich täglich und mit welcher Dosis“, so Schwall. „Wichtig ist, dass man gut informiert ist. Da kommt die Prävention wieder ins Spiel.“

Alkohol- und Spielsucht

In der Faehre dreht sich aber bei Weitem nicht alles um illegale Drogen. „Die Alkoholsucht, die oft auch das ganze Umfeld betrifft, ist bei uns ein großes Thema. Genauso die Spielsucht. Diese Klienten kommen aber leider eher spät zu uns, wenn in Sachen Schulden oder Beziehungskrisen schon viel passiert ist. Hier gibt es nach wie vor auch eine große Dunkelziffer.“

„Suchtgefahr kann immer auflauern“
Alkohol ist bei der Faehre ein großes Thema. hartinger

Generell habe sich in der Gesellschaft bezüglich Suchtkrankheiten einiges getan. „Früher sprach man schnell von einem Kriminellen und nicht von einem Kranken. Das hat sich geändert. Sucht ist kein Tabuthema mehr, man redet darüber.“

Batterien aufladen

Wichtig in seinem Beruf sei auch abzuschalten, die ganzen Probleme nicht mit nach Hause zu nehmen. „Man muss die Batterien immer wieder aufladen. Dabei ist die Natur für mich wichtig, ich gehe gerne wandern und im Winter stehe ich oft auf den Ski. Auch beim Reisen kann ich meine Akkus gut aufladen“, sagt Sozialpädagoge Martin Schwall. „Nur wenn es dir selber gut geht, kann man anderen Menschen helfen.“