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Auch in Vorarlberg ist Armut weiblich

08.11.2024 • 14:59 Uhr
Caritas
Informierten: Alexandra Achatz, Caritasdirektor Walter Schmolly, Denise Zech und Claudio Tedeschi (von links). Caritas

Caritas-Schwerpunkt Inlandshilfe im November. “Die Menschen, die bei der Caritas Hilfe suchen, müssen im Normalfall mit erheblichen Entbehrungen leben”, so Caritasdirektor Walter Schmolly.

Menschen mit geringen Ressourcen leiden weiterhin unter den Nachwirkungen der Corona- und Teuerungskrise. Eine aktuelle Erhebung der Statistik Austria zeigt, dass die Krisenbelastung für viele in Österreich zwar abgenommen hat, doch einige Gruppen kämpfen weiterhin mit erheblichen finanziellen Engpässen. Die Caritas Vorarlberg richtet im November ihr Augenmerk mit dem Schwerpunkt Inlandshilfe auf die soziale Situation dieser Menschen und die dringend nötigen Hilfsangebote. „Viele der Menschen, die bei uns Hilfe suchen, können ihre Wohnung oft nicht vollständig heizen oder haben am Monatsende kaum noch etwas im Kühlschrank“, erklärt Caritasdirektor Walter Schmolly. Die Nachfrage bei den Caritas-Beratungsstellen ist in den ersten drei Quartalen 2024 um 17 Prozent gestiegen, was bedeutet, dass 5.996 Menschen Unterstützung suchten – eine deutliche Zunahme gegenüber dem Vorjahr.

Immer mehr Kinder betroffen

Besonders besorgniserregend ist der Anstieg von Kindern in armutsbetroffenen Familien. Die Zahl der Kinder, die indirekt betroffen sind, stieg um 25 Prozent auf 2.279. „Vier von zehn Personen, die über die Beratungsstelle Existenz&Wohnen unterstützt werden, sind Kinder“, sagt Schmolly. Viele alleinerziehende Haushalte – vorwiegend Frauen – benötigen vermehrt Unterstützung, da sie den Alltag allein kaum bewältigen können. „Knapp 35 Prozent dieser Familien sind alleinerziehend. Zum weit überwiegenden Teil Frauen, österreichweit sind es 83 Prozent“, fügt er hinzu.

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Kinder im Lerncafé. Caritas

Belastungen für Alleinerziehende

Lerncafé-Koordinatorin Denise Zech beobachtet, wie belastend der Alltag für viele Alleinerziehende ist. „Sie jonglieren Job, Familie und Haushalt und berichten oft von Überlastung, Stress und Geldsorgen.“ Auch verheiratete Frauen in schlecht bezahlten Teilzeitjobs kämpfen mit finanziellen Engpässen und den Herausforderungen, eine Kleinkindbetreuung zu organisieren. Zech erzählt von einem zwölfjährigen Mädchen aus dem Lerncafé, das auf seine Schwester aufpassen muss und viele Aufgaben übernimmt, weil sie die besten Deutschkenntnisse in der Familie hat. Das sei eine enorme Belastung für das Mädchen.

In den 16 Lerncafés der Caritas unterstützen Freiwillige etwa 500 Kinder und Jugendliche bei Hausaufgaben und Prüfungen. „Neben der schulischen Förderung legen wir auch Wert auf Herzensbildung und den Teamgeist“, sagt Zech.

Zentrale maßnahmen

Caritasdirektor Walter Schmolly stellte an der Pressekonferenz vier wesentliche Ansätze vor, um sozialer Benachteiligung und Armut unter Frauen entgegenzuwirken.
Stärkung und Weiterentwicklung des Sozialstaats. Anstatt den Sozialstaat zu schwächen, sollte er gezielt bedarfsorientiert ausgebaut werden. Schmolly mahnt, dass der Druck auf das Budget nicht auf Kosten sozialer Leistungen gehen darf.
Schließung der Gender-Care-Lücke. Frauen in Vorarlberg verdienen im Schnitt etwa ein Viertel weniger als Männer. Ein wesentlicher Grund ist, dass sie doppelt so viel unbezahlte Sorgearbeit leisten wie Männer. Es gilt, diesen „Gender-Care-Gap“ zu schließen, um die finanzielle Benachteiligung von Frauen zu verringern.
Anhebung der Ausgleichszulage. Die derzeitige Ausgleichszulage liegt monatlich 151 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1572 Euro. Eine Erhöhung würde vor allem Mindestpensionistinnen und Bezieherinnen von Sozialleistungen, die an die Ausgleichszulage gekoppelt sind, entlasten.
Förderung von Chancengerechtigkeit. Kinder starten unter sehr unterschiedlichen Bedingungen ins Leben. Es ist daher die humanitäre Pflicht einer Gesellschaft, allen Menschen möglichst gleiche Chancen zu ermöglichen und zu fördern.

Notschlafstelle

Ein weiteres Beispiel für prekäre Frauenarmut gibt Alexandra Achatz von der Caritas-Notschlafstelle im Feldkircher Kolpinghaus: „Kürzlich kam spätabends eine 28-jährige Frau, die einige Nächte im Freien verbracht hatte, völlig erschöpft an unsere Tür. Nach einem Gespräch konnte sie bei uns übernachten und sich erholen.“ Die junge Frau war in eine schwierige Lage geraten, als sie aus ihrer Wohngemeinschaft ausziehen musste und keine leistbare Wohnung fand, was letztlich auch zu ihrem Jobverlust führte. Das Team der Notschlafstelle half dabei, eine kostengünstige Wohnung zu finden, zwischenzeitlich hat die Frau auch wieder einen Job gefunden.

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Armut ist auch in Vorarlberg sehr oft weiblich. Caritas

Insgesamt fanden 195 Menschen im vergangenen Jahr vorübergehend Unterkunft in der Notschlafstelle, 1536 Nächtigungen wurden registriert. Der Frauenanteil ist dabei mit 27 nach wie vor vergleichsweise gering. Achatz betont, dass viele wohnungslose Frauen große Anstrengungen unternehmen, um nicht als obdachlos wahrgenommen zu werden: „Sie bleiben oft bei Freunden oder Bekannten und ertragen manchmal Gewalt, um nicht auf der Straße zu landen.“ Diese Frauen bleiben häufig unsichtbar, da sie keine offiziellen Anlaufstellen aufsuchen.

Die Caritas betont, dass die Überwindung von Armut und sozialer Benachteiligung nur im Zusammenspiel von Politik, Zivilgesellschaft und sozialen Einrichtungen möglich ist.

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Die Beratungsstellen der Caritas helfen. Caritas

Sanierungen laufen

Zum 100-jährigen Jubiläum hat sich die Caritas Vorarlberg heuer zum Ziel gesetzt, die Notschlafstelle im Kolpinghaus Feldkirch umfassend zu sanieren und speziell auch für Frauen viele Verbesserungen umzusetzen. „Wenn es um das Wohnen geht, ist das unterste Auffangnetz die Notschlafstelle. Wir möchten für obdachlose Menschen menschenwürdige Räumlichkeiten und einen sicheren Ort bieten“, ruft Schmolly abschließend zu einem solidarischen Miteinander aller Menschen in Vorarlberg auf. „Wir sind in vielen Bereichen auf die Unterstützung von Spendern angewiesen. Jede Spende macht für armutsbetroffene Menschen einen großen Unterschied!“