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Unermüdlich: Ein Leben für die Bildung

11.01.2025 • 15:00 Uhr
Unermüdlich: Ein Leben für die Bildung
Eva Maria Waibel mit einigen ihrer Publikationen.Klaus Hartinger

Mit 71 Jahren blickt Eva Maria Waibel auf ein vielseitiges Leben als Lehrerin, Politikerin und Pädagogin zurück. Ruhestand? Fehlanzeige. Heute widmet sich die Dornbirnerin, die immer auf ihre Familie zählen kann, der Existenziellen Pädagogik.

Ihr Lebensweg ist bemerkenswert vielfältig. Was hat Sie ­dazu bewegt, immer wieder neue Herausforderungen anzunehmen?

Eva Maria Waibel: Mein Engagement begann bereits in jungen Jahren, als ich beim Jugendrotkreuz aktiv wurde. Dort stand das Helfen im Vordergrund – ein Leitgedanke, der mich bis heute begleitet. Ich habe schnell gemerkt, dass ich durch diese Aktivität etwas für andere bewirken kann, und das hat mich motiviert, neue Wege zu gehen. Es ging mir immer darum, gestalten zu können, sei es in der Bildung, in der Politik oder in anderen Bereichen.

Unermüdlich: Ein Leben für die Bildung

Sie haben als Lehrerin, Politikerin, Gastprofessorin an der Trinity University in Vancouver, Leiterin der Lehrerweiterbildung des Schweizer Kantons Luzern und Dozentin an Pädagogischen Hochschulen gearbeitet. Welche Tätigkeit hat Sie am meisten geprägt?

Waibel: Jede Rolle hatte ihren eigenen Einfluss auf mich. Als Lehrerin und durch meine späteren Tätigkeiten habe ich den Kontakt zur Unterrichtspraxis nie verloren. Dieser Bezug war und ist mir enorm wichtig. In der Politik wiederum habe ich gelernt, wie gesellschaftliche Prozesse funktionieren, wie Projekte umgesetzt werden und wie man auch in schwierigen Zeiten Lösungen findet. Die Arbeit in der Lehrerweiterbildung und an Hochschulen hat mir die Möglichkeit gegeben, zukünftigen Lehrkräften mitzugeben, was im Beruf wirklich zählt. Jede dieser Tätigkeiten hat mein Verständnis für Bildung, Menschen und ihre Bedürfnisse erweitert.

Wie haben Sie es geschafft, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren?

Waibel: Die Familie hatte für mich immer einen hohen Stellenwert. Ich glaube nicht, dass Beruf und Familie Gegensätze sind – sie können sich gegenseitig bereichern. Natürlich war es eine Herausforderung, beides zu vereinen. Aber ich hatte das große Glück, auf Unterstützung zählen zu können, sei es durch meine Familie oder durch Menschen außerhalb des Familienkreises. Diese Balance war mir wichtig, denn eine erfüllende berufliche Tätigkeit wirkt sich positiv auf die Familie aus und umgekehrt.

Unermüdlich: Ein Leben für die Bildung
Eva Maria Waibel im Gespräch mit der NEUE. Hartinger (2)

Aktuell beschäftigen Sie sich intensiv mit der Existenziellen Pädagogik. Was fasziniert Sie an diesem Ansatz?

Waibel: Es sind vor allem zwei Dinge: Erstens das Bild vom Menschen. In der Existenziellen Pädagogik geht es darum, das innere Wesen eines Menschen zu verstehen und ihn nicht durch Zahlen und Messen oder allein aufgrund seines Verhaltens festzuschreiben. Dieses Verständnis schafft eine tiefere Verbindung und stärkt das Vertrauen. Zweitens orientieren wir uns an den Grundbedürfnissen der Kinder, nicht an festgelegten Vorstellungen darüber, wie sie sein sollten. Diese Bedürfnisse – wie Selbstwert, Beziehungen, Sinnperspektiven – sind essenziell für ein gelingendes Leben.

Ihr persönlicher Zugang zu diesem Thema?

Waibel: Mein persönlicher Zugang zu diesem Thema entstand durch meine Tätigkeit in der Suchtprävention und Gesundheitsförderung: Wie können wir Kinder so stärken, dass sie nicht in Abhängigkeiten geraten? Die Existenzielle Pädagogik bietet hier umfassende und wissenschaftlich fundierte Ansätze, die sowohl für Kinder als auch für Pädagogen bereichernd sind.

Unermüdlich: Ein Leben für die Bildung
Waibel: “Ich war 25 Jahre beim Jugendrotkreuz aktiv. Besonders freut mich das Helfi-Programm, das ich initiiert habe.” Hartinger


Gab es Schlüsselmomente, die Ihre Sicht auf Bildung grundlegend verändert haben?

Waibel: Ja, zwei. Der erste war in der Politik: Dort habe ich erkannt, dass man Menschen mitnehmen muss, wenn man Veränderungen bewirken will. Konzepte am Reißbrett zu entwerfen, reicht nicht aus. Der zweite Moment war die intensive Auseinandersetzung mit der Existenzanalyse und später mit der Existenziellen Pädagogik. Diese Perspektive hat meinen Blick auf Menschen, auf mich selbst und auf die Welt grundlegend verändert.

Die Herausforderungen im Bildungswesen sind vielfältig. Wie haben sie sich im Laufe der Jahre verändert?

Waibel: Die Probleme sind größer und komplexer geworden. Migration, Klimakrise, Kriege, digitale Welten und auch die psychosoziale Gesundheit der Kinder sind Themen, die Schulen heute stärker fordern als früher. Corona hat diese Probleme noch verschärft. Leider versucht man oft, diese Herausforderungen mit Standards und formalen Vorgaben zu bewältigen. Dabei braucht es vor allem Menschen, die befähigt werden, Kinder und Jugendliche gut zu begleiten. Der Fokus sollte auf den Beziehungen und den individuellen Stärken liegen.

Stationen von Eva Maria Waibel

  • 1953 in Dornbirn geboren
  • Tätigkeit als Lehrerin
    (Volks- und Mittelschule, Polytechnische Schule) bis 1986
  • Geburt der Kinder (1980 und 1983)
  • Mitarbeiterin am Pädagogischen Institut bis 1995. Verantwortlich für die Themenbereiche Suchtprävention, Gesundheitsförderung, AIDS-Prävention, Sexualpädagogik und allgemein pädagogische Themen
  • 1995 bis 2000 Landesrätin und Amtsführende Präsidentin des Landeschulrats für Vorarlberg für die Ressorts Schule und Kindergarten, Wissenschaft und Weiterbildung, Familie, Frauen, Jugend sowie Entwicklungszusammenarbeit
  • Bis 2006 Leiterin der Lehrpersonenweiterbildung im Kanton Luzern
  • Bis 2011 Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zug (CH)
  • Bis 2018 Dozentin an der PH Tirol, an der PH Kärnten und der PH Vorarlberg
  • Heute: Leiterin des Instituts für Existenzielle Pädagogik, Wissenschaftliche Leiterin der Masterlehrgänge „Existenzielle Pädagogik und psychosoziale Beratung“ an der PH Linz und der PH Tirol, Gastdozentin an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen.

Was möchten (können) Sie der jüngeren Generation, insbesondere zukünftigen Pädagogen, mit auf den Weg geben?

Waibel: In der Bildung geht es um den Menschen. Das heißt, dass wir uns weniger auf technische Kennziffern konzentrieren sollten. Es geht darum, langfristig etwas zu schaffen, das den Menschen dient – sei es durch Vertrauen, Beziehung oder das Erkennen individueller Potenziale. Dabei ist der Dialog essenziell, denn nur gemeinsam mit dem Kind können wir herausfinden, was dieses für sein sinnerfülltes Leben braucht.

Ein kurzer Rückblick auf Ihre politische Karriere. Welche Projekte und Erfolge aus dieser Zeit, als Sie unter anderem von 1995 bis 2000 ÖVP-Landesrätin waren, sind Ihnen besonders in Erinnerung?

Waibel: Ich war für verschiedene Ressorts zuständig. Im Schulwesen haben wir jedes Jahr einen pädagogischen Schwerpunkt gesetzt. Mir war es wichtig, die Pädagogik stärker in den Fokus zu rücken, da ich das Gefühl hatte, dass in diesem Bereich zu wenig passiert. Weitere Erfolge waren der Wissenschaftspreis, der auf meine Initiative zurückgeht, die Unterstützung landesspezifischer Forschungsprojekte, die Gründung des Vivit, die Unterstützung für den Aufbau eines Spitals in Nepal. Im Frauenbereich war es nicht immer leicht, aber wir haben trotzdem wichtige Initiativen gesetzt, wie etwa die Gründung des Frauennetzwerks, der Amazone und die Einführung des Neujahrsempfangs für Frauen.

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Aus ihrer politischen Zeit: Eva Maria Waibel mit Wolfgang Schüssel. privat

Auch das Rote Kreuz spielte eine wichtige Rolle in Ihrem Leben.

Waibel: Ich war 25 Jahre beim Jugendrotkreuz aktiv. Besonders freut mich das Helfi-Programm, das ich initiiert habe. Es ist ein Erste-Hilfe-Programm für Schüler der ersten bis vierten Schulstufe, bei dem sie einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen und Tipps zur Unfallverhütung kennenlernen. Helfi wird bis heute genutzt. Diese Zeit hat mir auch gezeigt, wie viel man durch Engagement erreichen kann. Es war eine prägende Phase meines Lebens, in der ich nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Werte wie Hilfsbereitschaft und Verantwortung weitergeben konnte.

Unermüdlich: Ein Leben für die Bildung
Eva Maria Waibel mit Schülern. privat

Sie versprühen viel Engagement und Tatendrang. Wird der Ruhestand jemals ein Thema für Sie?

Waibel: Solange mir meine aktuellen Tätigkeiten mehr Freude bereiten als die Aktivitäten, denen die meisten Pensionisten nachgehen, werde ich weitermachen – vorausgesetzt, meine Gesundheit spielt mit. Das ist natürlich eine Geschichte, die ich nicht beeinflussen kann. Aber momentan habe ich keine Pläne, kürzerzutreten oder mich auf einen bestimmten Zeitpunkt für den Ruhestand festzulegen.