„Gleichberechtigung bleibt eine Baustelle“

klaus hartinger
Gabi Sprickler-Falschlunger war viele Jahre als Allgemeinmedizinerin und SPÖ-Politikerin aktiv. Im Interview spricht sie über ihren Ruhestand, ihr großes Engament für die Gleichstellung der Frauen und vieles mehr.
Wie fühlt sich die Pension an?
Gabi Sprickler-Falschlunger: Der Anfang war sehr schwierig. Ich bin mit 67 in Pension gegangen, sieben Jahre nach meiner regulären Möglichkeit. Der Abschied fiel mir schwer, und ich empfand den Ruhestand nicht als großes Glück. Obwohl ich weiterhin in kleinerem Rahmen politisch aktiv bin, war es ein harter Einschnitt, meine langjährigen Patienten nicht mehr zu betreuen.
Demnach vermissen Sie die Arbeit in der Praxis noch?
Sprickler-Falschlunger: Ja, sehr. Im ersten Jahr habe ich es sogar vermieden, an der Praxis vorbeizufahren. Viele meiner früheren Patienten aus der Umgebung treffe ich immer wieder, was mich dann an den Abschied erinnert. Die Pension bedeutete für mich zunächst einen großen Verlust und viel freie Zeit. Mittlerweile habe ich mich jedoch langsam mit dem Ruhestand angefreundet.

Wie gestaltete sich die Nachfolge in Ihrer Praxis?
Sprickler-Falschlunger: Es gab keine direkte Nachfolge. Tobias Gmeiner, der damals in Karenz war, hat meine Kassenstelle und Patienten dann übernommen. Er ist ein ausgezeichneter Arzt und wird gut angenommen.
Sie haben sich oft über den Mangel an Allgemeinmedizinern geäußert. Welche Fehler wurden in der Vergangenheit gemacht?
Sprickler-Falschlunger: Die Rahmenbedingungen haben sich stark verändert. Der Beruf ist weiblicher geworden, und die Erwartungen an die Arbeitssituation sind andere. Früher waren viele Ärzte, meist Männer, Einzelkämpfer, unterstützt von ihren Ehefrauen. Heute wollen junge Mediziner in Teams arbeiten, mit geregelten Arbeitszeiten und fairem Einkommen. Primärversorgungszentren sind daher ein Modell der Zukunft, da sie eine kontinuierliche Betreuung ermöglichen. Die Tatsache, dass viele junge Ärzte nicht mehr alleine arbeiten möchten, wurde lange ignoriert.

Sie engagieren sich seit Ihrer Studienzeit für Frauenrechte und wurden im Vorjahr mit dem erstmals vergebenen Vorarlberger Frauenpreis ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?
Sprickler-Falschlunger: Sie hat mich stolz, aber auch nachdenklich gemacht. Noch immer tragen Frauen die Hauptlast in der Kinderbetreuung. In Ländern wie Island oder Schweden gibt es gerechtere Regelungen, etwa bei der Aufteilung der Karenzzeit. In Österreich fehlt der politische Mut, solche Reformen anzugehen.

Das Preisgeld haben Sie dem Verein femail gespendet, der ein Pilotprojekt für kostenlose Verhütung und Beratung durchführt. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
Srickler-Falschlunger: Viele Frauen können sich Langzeitverhütung nicht leisten. Das habe ich in meiner Praxis oft erlebt. Das Pilotprojekt zur kostenlosen Verhütung in Vorarlberg ist ein großer Erfolg, insbesondere für Frauen mit geringem Einkommen. Die Herausforderung wird nun sein, eine dauerhafte Finanzierung sicherzustellen.
Sie haben sich auch dafür eingesetzt, dass Frauen in Vorarlberg einen sicheren Schwangerschaftsabbruch in einem öffentlichen Krankenhaus vornehmen lassen können. Nun ist dies im LKH Bregenz möglich.
Sprickler-Falschlunger: Das war längst überfällig. Die bisherigen Argumente der konservativen Politik, etwa der angebliche Mangel an Ärzten, waren vorgeschoben. Ich finde es wichtig, dass betroffene Frauen nun eine anonyme und geschützte Möglichkeit haben. Gleichzeitig muss Verhütung leistbarer werden, damit ungewollte Schwangerschaften gar nicht erst entstehen.
Zur Person
Gabi Sprickler-Falschlunger studierte Humanmedizin an der Universität Graz, absolvierte danach die Turnusausbildung zur Ärztin für Allgemeinmedizin und betrieb von 1989 bis Ende September 2022 freiberuflich eine Praxis für Allgemeinmedizin in Dornbirn. Ihre politische Karriere begann die 68-Jährige, die seit 1999 Parteimitglied der SPÖ ist, im Jahr 2000 als Stadtvertreterin und Stadträtin in ihrer Heimatstadt Dornbirn. Es folgten Stationen als Landtagsabgeordnete, Mitglied von Landtagsausschüssen sowie zweimal Landesparteivorsitzende der SPÖ Vorarlberg. 2023 wurde sie zu deren Ehrenvorsitzenden ernannt. Sprickler-Falschlunger ist seit 2021 mit Grünen-Politiker Johannes Rauch verheiratet und hat ein Kind. Im vergangenen Jahr erhielt sie für ihr langjähriges Engagement zur Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft den erstmals verliehenen Vorarlberger Frauenpreis.
Sie sind mit Ihrer eigenen Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen und haben von Ihrem Schwangerschaftsabbruch während der Studienzeit berichtet. Wie waren die Reaktionen?
Sprickler-Falschlunger: Durchwegs positiv, vor allem von Frauen, die selbst einen Abbruch hatten, aber nie darüber sprechen konnten.
Gab es auch Gegenwind?
Sprickler-Falschlunger: Natürlich. Ich verstehe, wenn jemand sagt, dass ein Schwangerschaftsabbruch für ihn nicht infrage kommt. Aber es ist eine sehr persönliche Entscheidung, und niemand hat das Recht, einer Frau diese Möglichkeit zu verwehren.
Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für Gleichstellung von Frauen. Hat sich im Laufe der Zeit etwas verändert?
Sprickler-Falschlunger: In den 1980er-Jahren hatte ich die Hoffnung, dass sich grundlegende Veränderungen schneller durchsetzen. Zwar engagieren sich Männer heute mehr in der Kinderbetreuung, doch die Hauptverantwortung bleibt bei den Frauen. Auch Karenzzeiten werden nach wie vor selten von Männern in Anspruch genommen. Der sogenannte Papa-Monat ist da keine echte Lösung. Die Gleichberechtigung bleibt eine Baustelle.

Ihre politische Laufbahn begann Ende der 1990er-Jahre. Wie kam es dazu?
Sprickler-Falschlunger: Ich war immer politisch interessiert, aber lange kein Parteimitglied. 1999 nahm ich an einer Diskussionsveranstaltung zur Abtreibungspille teil. Danach sprach mich der Dornbirner SPÖ-Stadtrat Gebhard Greber an, ob ich als Stadträtin kandidieren möchte. So begann meine politische Laufbahn.
Danach folgte eine steile Karriere: Landtagsabgeordnete, zweimal Landesvorsitzende der SPÖ Vorarlberg und später Ehrenvorsitzende. Was hat Sie dabei besonders geprägt?
Sprickler-Falschlunger: Die politische Arbeit hat mich kompromissbereiter gemacht. Besonders prägend waren die Querelen innerhalb der Landespartei. Aus Loyalität gegenüber denjenigen, die sich voll für die Partei einsetzten, habe ich in einer schwierigen Phase nochmals den Vorsitz übernommen. Das war keine leichte Entscheidung, da ich mich eigentlich bereits aus der Spitzenpolitik zurückgezogen hatte.
Wie sehen Sie die aktuelle Situation der SPÖ Vorarlberg?
Sprickler-Falschlunger: Mit Mario Leiter haben wir einen kompetenten Politiker und sozialen Menschen an der Spitze, der sich vor allem im Wohnbau und in Sicherheitsfragen bestens auskennt. Zudem hat die Landespartei starke Frauen in ihren Reihen.

Die SPÖ konnte bei den Bundes- und Landtagswahlen 2024 keine großen Erfolge feiern. Gründe?
Sprickler-Falschlunger: Es gibt viele Faktoren: wirtschaftliche Unsicherheit, Inflation und die generelle Unzufriedenheit der Menschen. Viele haben das Gefühl, dass Politik ihre Probleme nicht löst. Gleichzeitig profitieren populistische Parteien von einfachen Lösungen. Beim Landtagswahlergebnis spielte sicher auch das Duell Wallner gegen Bitschi eine Rolle.
Was bereitet Ihnen derzeit die größten Sorgen?
Sprickler-Falschlunger: Die Gefahr einer rechtsgerichteten Bundesregierung und deren Auswirkungen auf das Gesundheits- und Sozialsystem. Zudem beobachte ich mit Sorge den zunehmenden Frust und die Aggressivität in der Gesellschaft.
Was steht in nächster Zeit an?
Sprickler-Falschlunger: Ich bleibe im ifs-Präsidium aktiv und werde mich auch in den Wahlkämpfen für die Gemeindewahlen in Dornbirn und Bregenz engagieren. Das Thema Verhütung bleibt mir weiterhin ein Anliegen.