Warum eine 6,2 Millionen Dollar teure Banane das Cover der NEUEN ziert

Auf der Jagd nach Maurizio Cattelans Banane:
Die NEUE beteiligt sich gemeinsam mit dem Bregenzer Künstlerkollektiv „The Normal Group“ an einer digitalen Schnitzel-, oder besser, Bananenjagd.
Für internationales Aufsehen sorgte unlängst die Versteigerung des Kunstwerks „The Comedian“. Sage und schreibe 6,2 Millionen Dollar bezahlte der chinesische Krypto-Unternehmer Justin Sun für die Banane, die mit einem Klebeband an die Wand befestigt wird, inklusive eines Echtheitszertifikats samt Montageanleitung.
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Cattelans provokantes Wechselspiel zwischen den Rollen von Künstler und Werk, Kunst und ihrem Wert und nicht zuletzt der Ebene, die Kunst im digitalen Kryptozeitalter eingenommen hat, brachte auch die beiden Bregenzer Künstler Domingo Mattle und Ronald Rigo alias „The Normal Group“ auf den Plan. Und schließlich in Kontakt mit einem Instagram-Profil und einer Website, welche die Grenzen zwischen real und fake verschwimmen lassen. Und schließlich zur Entscheidung, sich an diesem diskursiven Spiel zu beteiligen und auch die NEUE zu kontaktieren.
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Digitale Bananenjagd
„Wir verfolgen Cattelans Kunst schon seit Jahren, auch was sein digitales Schaffen betrifft. Und so stießen wir auf einen Fake-Account, der die Handschrift des echten Künstlers tragen könnte“, informiert Mattle, der selbst zur jungen Garde einer aufstrebenden Generation von Kunstschaffenden in Bregenz zählt.

Kunst als NFT?
Nach der ersten Kontaktaufnahme folgte ein zwar spärlicher, aber ergiebiger Austausch – als ob der Künstler mit diesem Verwirrspiel rund um seine Person und sein Werk der „Bananen-Saga“ eine neue, digitale Ebene verleihen wollte. Die als „Non-Fungible Token“ erwerbbare Banane in der Form eines virtuellen, via Blockchain verschlüsselten Kunstschatzes, findet zurück in die reale Welt – als Cover der heutigen Ausgabe.

„Durch die Interaktion mit dem realen oder auch nicht realen Künstler entstand die Idee, die Banane auf den Titel zu bringen. Das heutige Ergebnis entstammt der Feder des italienischen Kontakts und wurde uns dann übermittelt“, führt Ronald Rigo weiter aus. Damit aber nicht genug, die beiden Mitglieder der „Normal Group“ ließen und lassen es sich selbstverständlich nicht nehmen, sich selbst künstlerisch mit dem von Cattelan angeregten Diskurs auseinanderzusetzen. Und lieferten eine bildgewaltige und süffisante Antwort an den Italiener: Mittels schwarzem und gelbem Gafferband klebten sie sich an die Wand ihres Bregenzer Ateliers, weitere Aktionen sollen folgen.

„Cattelan For Everyone“
Ob und wie der echte oder unechte italienische Superstar der modernen Kunstszene auf die Vorarlberger Rezeption seiner Banane reagieren wird, bleibt abzuwarten. Dass sich das Kunstwerk damit vom Autor emanzipiert hat, dürfte aber in seinem Sinne sein. Und die NEUE liefert ihren treuen Leserinnen und Lesern einen echten (oder unechten) Cattelan ins Haus.

Fake und News? Wir müssen reden – ein Kommentar
Sehr verehrte Leserschaft! Sie werden sich vielleicht wundern, wieso heute eine Banane die Titelseite der NEUEN ziert. Berechtigt, denn als unabhängige Tageszeitung verpflichten wir uns der seriösen Berichterstattung. Angesichts der geopolitischen und nationalen Entwicklungen wollen wir aber auch zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Wir müssen reden.
Andy Warhol hatte die Frucht 1967 als Cover für die Debüt-LP von The Velvet Underground & Nico auserkoren, 2019 sorgte ein zensiertes Werk der polnischen Künstlerin Natalia LL für internationale Proteste – die Banane bleibt ein Symbol des Widerstands und hinterfragt immer wieder aufs Neue die Rolle der Kunst. Die von Maurizio Cattelan erzielten 6,2 Millionen Dollar für sein Werk „The Comedian“, einer Banane, die mit Gaffer-Tape an die Museumswand geklebt wurde, befeuern die Diskussion weiter.
Der italienische Künstler spielt gekonnt mit der Rolle von Kunst, Werk und Autorenschaft und wirft den Diskurs mit voller Wucht ins Publikum zurück.
In Zeiten, in denen Machthaber offenbar keine moralischen Grenzen mehr kennen, in denen mit dem Argument der „freien“ Meinungsäußerung Grenzen überschritten werden, die bis dato in Stein gemeißelt waren, in denen der Hitlergruß salonfähig wird, Landansprüche gestellt und Grundwerte ausgehebelt werden, in denen Wissenschaft, Forschung und Moral von lautstarken rechtspopulistischen Parolen übertönt und plötzlich jedweder Legitimation beraubt werden, besteht dringend Redebedarf.
Wo beginnt Kunst, wer definiert das Kunstwerk oder noch besser den Wert eines solchen? Wer entscheidet über Wahrheit oder Lüge, über Recht und Unrecht oder über die Eckpfeiler unserer moralischen und gesellschaftlichen Richtlinien? Wo fängt künstlerische Freiheit an, wo beginnt Zensur?
Wir haben offenbar verlernt, die richtigen Fragen zu stellen. Zu einfach sind die unkomplizierten Antworten, die jene liefern, denen man aktuell in Scharen zu Füßen liegt. Gegebenheiten, die bar jedes gesunden Menschenverstands – außerhalb von Moral und Anstand – liegen, werden akzeptiert, ohne mit der Wimper zu zucken.
Wer definiert die neuen Grenzen, seien diese in Grönland oder Gaza? Wer setzt die neuen Maßstäbe, in denen sich der gesellschaftliche Diskurs bewegen darf, ohne die freie Meinungsäußerung zu beschränken, gleichzeitig aber Faschismus, Ausgrenzung und Hass Einhalt zu gebieten?
Was ist fake, was ist real? Künstliche Intelligenz als multifunktionales Werkzeug oder als willkommener Helfer auf dem vermeintlich einfachen Weg des geringsten Widerstands? Authentische Kreativität oder Kunst aus der digitalen Retortenbüchse – ein Ready-made strandet in den Untiefen des World Wide Web und findet trotzdem seinen Weg in die News – oder doch Fake-News? Entscheiden Sie selbst. Fakt ist aber, dass wir wieder miteinander sprechen und uns austauschen müssen. Auch über eine Banane von Maurizio Cattelan – oder seinem Fake-Alter-Ego – auf der Titelseite einer klassischen Tageszeitung. Wir müssen reden.
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Maurizio Cattelan 2008 im Bregenzer Kunsthaus
2008 gastierte der in Padua geborene Künstler im Bregenzer Kunsthaus und sorgte auch in der Landeshauptstadt für Gesprächsstoff.
Insbesondere ein Plakatsujet, auf dem ein nach unten gerichteter Daumen über den brennenden Häuserzeilen von Bregenz abgebildet ist, sorgte für Aufsehen. Auch wegen der an NS-Propaganda erinnernden Optik, wie der damalige Kurator Rudolf Sagmeister auf NEUE-Anfrage bestätigt.

Der Tod nahm bei der damaligen Installation in der Bregenzer Institution für den kontrovers diskutierten Künstler eine zentrale Rolle ein. Im zweiten Stock des Kunsthauses hatte Cattalan neun nebeneinander liegende Leichensäcke, die aus Carrara-Marmor gehauen waren, postiert. Eine an einem Türrahmen hängende Frauenfigur vervollständigte seine damalige Auseinandersetzung mit christlich-katholischen Motiven rund um Kreuzigung und Tod.
(NEUE Vorarlberger Tageszeitung)