Was keimt und wächst, könnte uns allen gehören

In der EU wird aktuell ein Saatgutgesetz verhandelt. Eine der wichtigsten Fragen wird nicht berührt: Wem gehören die alten Sorten? Nicht den Saatgutkonzernen, sondern allen, meint Helmut Hohengartner vom Verein „Unverblümte Sortenfibel“.
Von Miriam Jaeneke
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Hinter dem Wohnhaus in einem ruhigen Teil von Rankweil steht das „Gartenhaus“, ein einstöckiges Haus aus Holz. Hier zieht der Unternehmensberater Helmut Hohengartner seine Pflänzchen vor. In dem sehr großen Garten drumherum stehen Frühbeete, hier wachsen überwinterte Kohlrabi und viele Salate. „Wachstum gibts eigentlich erst, wenn auch die Nächte mindestens fünf Grad plus haben, deswegen sind die Pflanzen noch so klein.“ Im Frühbeet liegt die Temperatur rund drei Grad über der Außentemperatur, das hat noch nicht für große Wachstumsschübe gereicht. Auch die Hühner bleiben lieber noch im Hühnerhaus nebenan.

Wissen weitergeben
Die Tropenpflanzen der Hohengartners überwintern derweil im Gartenhaus unter einer speziellen Wachstumslampe. Daneben stapeln sich Kisten mit der „unverblümten Sortenfibel“. Sinn der Sortenfibel ist es, möglichst viel Wissen übers Sortenvermehren zu teilen, ein entsprechendes Netzwerk aufzubauen und nachhaltig zu dokumentieren, welche alten und seltenen Sorten wer in Österreich anbaut und bewahrt. Beim dazugehörigen Verein „Unverblümte Sortenfibel“ kann sich jede und jeder mit einem entsprechenden Eintrag melden.

Ein noch kleiner Verein
Der Verein hat österreichweit 20 Mitglieder, fünf davon in Vorarlberg. „Wir sind also der Hotspot“, sagt der Hobbygärtner schmunzelnd. Hohengartner ist hauptberuflich Unternehmensberater und führt die Firma mit seiner Frau. Die viele Arbeit im Garten für den Verein verrichtet Hohengartner ehrenamtlich. Aus der Arche Noah, dem „Verein zur Erhaltung regionaler Kulturpflanzen“ ist der neue Verein „Unverblümte Sortenfibel“ entstanden. Für die Sortenfibel hat Hohengartner vieles mitorganisiert, mitgesammelt und verfasst. Der Stolz ist ihm anzumerken. Im Gegensatz zum Ursprungsverein sammelt der neue Verein die Saatgutinformationen aller Mitmachenden nicht nur digital, wo sie von heute auf morgen verändert oder gelöscht werden können. Die Sortenfibel, die in diesem Jahr zum dritten Mal erschienen ist, steht auch in der Nationalbibliothek und steht damit jedem interessierten Menschen nachhaltig zur Verfügung. Einzelne Geschichten von Sortenbewahrern finden sich in dem Buch, das mehr als ein Nachschlagewerk ist. Außerdem alphabetisch geordnete Pflanzenarten wie die Kartoffelsorte „Krasnoufimsk“ mit der Charakterisierung „hoch aufrecht wachsend, unsymmetrisch gelapptes Blatt, rote Schale, helles Fleisch. Aus Russland, aus der Region Krasnoufimsk am Fuße des Ural“ oder der Grünspargel „Jacqma Poupre“ mit dem Vermerk „Sehr schmackhaft, auch für schwerere Böden sehr gut geeignet“. Seit 1987 baut ein Gartenbegeisterter die Kartoffelsorte „Irmgard“ an, die es, wie er im Buch sagt, heute sonst nicht mehr gibt.
Europaweites Saatgutgesetzt wird verhandelt
Die grundsätzliche Frage, um die sich im Verein alles dreht, ist die, wem Gemüse- und Obstsorten gehören. Uns allen? Im Moment wird im EU-Parlament ein europaweites Saatgutgesetz verhandelt. Der grundlegende Artikel eins sollte, wenn es nach dem Verein geht, lauten: „Es ist aller Leute Recht, Saaten für den eigenen Bedarf und für die Erhaltung der Biodiversität zu pflanzen, zu ernten, zu lagern, zu tauschen, zu erwerben und zu verkaufen, in dem zur Erhaltung üblichen Ausmaß und unabhängig davon, ob dieses Saat- und Pflanzgut als Handelssorte gelistet, geschützt, patentiert oder frei ist.“

Hohengartner kennt sich in der Materie aus: „Das jetzige Saatgutgesetz fördert die Aneignung. Sortenschutzämter wachen über die Einhaltung. Für vielleicht 300 Euro im Jahr könnte eine Sorte angemeldet und in die EU-Sortenliste eingetragen werden. Wenn man weiß, wie viele verschiedene Sorten ich anbaue, kann man sich leicht ausrechnen, wie teuer das werden würde.“ Das Recht auf Saatgut als Menschenrecht zu behandeln und dies auch in die Tat umzusetzen, wäre eine ganz grundsätzliche Entscheidung, die sicherstellt, dass die alten Sorten, die wir von unseren Vorfahren als Erbe übernommen haben, dauerhaft Eigentum aller Menschen bleiben. Außerdem: Wenn eine Sorte in die Sortenliste eingetragen wird, muss sie uniform weitergezüchtet werden. Wenn eine Firma ein Patent auf eine Samensorte hat, wird sie sie mit bestimmten gewünschten Eigenschaften züchten. Andere, ebenfalls dagewesene Eigenschaften der Pflanze verschwinden. Die Folge: Weniger Vielfalt und einen kleineren Genpool. „Im Moment züchten alle Leute Pflanzen, die hitzeresistenter sind. Aber angenommen, der Golfstrom bricht aufgrund des Klimawandels zusammen, dann werden wir hier ein kühleres Klima bekommen. Was ist, wenn wir dann keine Pflanzen mehr haben, die damit umgehen können?“, fragt Hohengartner.