Likes, Lyrics und Lebenskrisen

Sophia Juen alias Nika lebt und arbeitet in Berlin. In ihrer Musik verarbeitet sie persönliche Erfahrungen – und kämpft gleichzeitig mit den Anforderungen des Musikbusiness. Als unabhängige Künstlerin jongliert sie zwischen Bühne, Social Media und Selbstzweifeln – und bleibt dabei einer Sache treu: ihrer eigenen Stimme.
Von Sophia Juen
neue-redaktion@neue.at
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Manchmal fragen mich Menschen “Wie kommt man eigentlich auf die Idee, Rapperin zu werden?” Sind es die Partys und fancy Events, die Backstages voller berühmter Gesichter oder lange Sommernächte mit den besten Freunden nach einem erfolgreichen Gig? Tatsächlich frage ich mich das, vor allem in den stressigen Release-Phasen eines neuen Songs, auch immer mal wieder. Nicht weil ich nicht überzeugt bin von meinen Songs, sondern weil das Dasein als Rapperin oder Sängerin mittlerweile sehr viel mehr ist als nur “Musik machen”. Als Independent-Musikerin ohne großes Budget bist du Social Media Managerin, Content Creator, Artist Managerin, Pressefrau und Bookerin in einem. Eine Challenge, die heute viele Künstler an ihre Grenzen bringt – sowohl mental als auch finanziell.

Talent allein reicht nicht – Frau braucht Mut, Durchhaltevermögen und Vertrauen in sich selbst.
Nika
Hinzu kommt ein stetiges Hinterfragen eigener Werte. Wie viel zeige ich auf Social Media und vor allem was, wie viel ist Inszenierung und wie viel von meiner Persönlichkeit gebe ich im Netz preis? Im April habe ich den ersten Song meiner Debüt-EP releast und so sehr ich den Song auch mag, so schwer fiel es mir, Social-Media-Content dazu zu teilen. “Kaputt” ist einer meiner sensibelsten Songs bisher und ich wünschte, er könnte für sich selbst stehen. Stattdessen muss ich mir überlegen, wie ich am besten Videos dazu produziere, die viral gehen könnten. Denn genau darin liegt oft das Dilemma: Die Musik ist das Persönlichste, was ich teilen kann – aber in der Öffentlichkeit zählt, wie catchy der Clip ist, nicht wie tief der Song geht. Es fühlt sich manchmal an, als müsste ich mich selbst inszenieren, damit meine Kunst überhaupt gesehen wird.
Dabei war Musik für mich nie bloß Fassade oder Performance. Mein ganzes Leben lang hat Musik eine sehr, sehr wichtige Rolle gespielt – und dennoch hat es relativ lange gedauert, bis ich mich getraut habe, meine Songs zu veröffentlichen. Musik hilft mir, mit herausfordernden Situationen klarzukommen. Und Musik begleitet mich in meinen schönsten Erlebnissen. Früher habe ich mit selbst zusammengestellten Mixtapes gezeigt, wenn ich jemanden mochte. Heute knüpfe ich Beziehungen, wenn ich mit anderen Musik mache.
Ausgerechnet die Pandemie gab mir Zeit und Raum, um das mit der Musikkarriere auszuprobieren. Bereits im Herbst 2019 begann ich, erste Song-Snippets auf Instagram zu teilen (yup, das war noch vor der TikTok-Zeit). So kam auch der Song “Keep Going” zustande, der heute immerhin um die 47.000 Aufrufe hat. Zu diesem Zeitpunkt startete ich mein Studium an der Universität in Berlin im Fach Publizistik und Kommunikationswissenschaften, doch bei all der Theorie fehlte mir die kreative Arbeit. Ich fühlte mich immer noch ein bisschen lost und brauchte einfach den Adrenalinkick, den mir das Performen auf der Bühne geben konnte.
Einblicke in das Business
Durch mein Umfeld – oder besser gesagt meinen Freund – hatte ich bereits Einblicke darin, wie das Leben als Independent-Musiker so läuft: Writing- & Produktions-Sessions, Musikvideo-Drehs, Gigs und Content produzieren. Aber ich lernte schnell: Talent allein reicht nicht. Frau braucht Mut, Durchhaltevermögen und vor allem das Vertrauen in sich selbst, denn verschiedene Meinungen gibt es viele. Ich glaube aber auch, dass genau dieses „sich selbst immer wieder neu erfinden müssen“ eine Stärke ist, die viele junge Künstler*innen heute ganz selbstverständlich mitbringen.

Und auch wenn das Dasein als Musikerin manchmal eher wie ein Ein-Frau-Unternehmen mit Dauerstress wirkt, gibt es diese Momente, in denen ich alles andere vergesse. Wenn ich auf der Bühne stehe und sehe, wie Menschen meine Texte fühlen und mitsingen. Wenn mir jemand nach einem Konzert schreibt, dass ein Song genau das gesagt hat, was sie selbst nie aussprechen konnten. Dann weiß ich wieder, warum ich das alles mache.
Vielleicht wird man also nicht Rapperin, weil man es sich ganz rational überlegt hat. Vielleicht wird man es, weil man irgendwann merkt, dass man gar nicht anders kann. Weil man Geschichten zu erzählen hat. Weil man Dinge gefühlt hat, die rausmüssen. Und weil man weiß: Wenn es auch nur eine Person da draußen gibt, die sich weniger allein fühlt, wenn sie deine Musik hört – dann hat es sich schon gelohnt.