Farben der Verzweiflung in der „Winterreise“

Ilker Arcayürek und Ammiel Bushakevitz berührten bei der Schubertiade mit großer Eindringlichkeit.
Von Katharina von Glasenapp
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Egal wie heiß oder drückend es draußen ist, die Interpretation von Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ gehört bei der Schubertiade einfach dazu. Ilker Arcayürek, der in Istanbul geborene und in Wien aufgewachsene Tenor, der in der Oper wie im Lied zuhause ist und auch bei der Schubertiade immer wieder aufhorchen lässt, war in dieser Woche bereits für Patrick Grahl mit dem anderen Zyklus „Die schöne Müllerin“ eingesprungen. Nun musizierte er am Freitagabend an der Seite von Ammiel Bushakevitz, der sich ebenfalls immer mehr als höchst einfühlsamer Liedpianist einbringt, den Reigen „schauerlicher Lieder“ mit großem Empfindungsreichtum und Empathie für die Leiden eines Verzweifelten.
Tastend ist der Einstieg mit dem sanften Pulsieren von Bushakevitz, doch bald verdichtet sich das Zusammenspiel zu intensivem Crescendo und einem fein im Pianissimo gesetzten Abschied „Will dich im Traum nicht stören“ – Trauer und Verzweiflung um die verlorene Liebe haben viele Farben! Manchmal wirkt dieses lyrische Ich, dieser Mensch, der da seine Emotionen offenlegt, wie ein Wahnsinniger, schwankend, fahrig, dann wieder erstarrt oder vorwärtsdrängend, die „heißen Tränen“ durchdringen die Schneefläche. Mit feinem Pianissimo zeichnen die Künstler die Rast unter dem Lindenbaum nach, verzückt und voll süßer Erinnerungen, bis die „kalten Winde“, vom Pianisten im Sturmgebraus gespiegelt, sie wieder auf den Weg schicken. Die Stationen und Beobachtungen auf dieser „Winterreise“ sind vielfältig, ebenso das Spektrum der Dynamik zwischen trotzigem Aufbäumen und stiller Resignation. Einen besonderen Charakter hat das „Irrlicht“, dessen Tonwiederholungen der Pianist wie eine expressionistische Graphik wirken lässt, den „Frühlingstraum“ gestalten die Künstler mit zärtlicher Wärme und hoffnungsfroher Energie.

So (mit Ausnahme von kleinen Mauscheleien) wortdeutlich und individuell, wie Arcayürek seinem Wanderer eine Persönlichkeit gibt und wie Bushakevitz den Klavierpart bald flächig, bald aufgewühlt, in einem sanften Walzer oder mit hingetupften Klängen gestaltet, wird man hineingezogen in diese berührende Interpretation. Immer stiller werden sie mit dem „Wegweiser“ und der Vorstellung von einem „Wirtshaus“ in Gestalt des schneebedeckten Friedhofs. Kurz flammt noch einmal trotziger Lebensmut auf, bevor die Künstler in den letzten beiden Liedern die Kunst der Pianogestaltung zelebrieren und durchleben. Herzlicher Beifall für ein sehr sympathisches und einander zugewandtes Duo!