Die Fährfrau im Fluss der Kreativität

Warum sich Bettina Steindl als Geschäftsführerin der CampusVäre erneut für die Stelle bewirbt und wie die „heiligen Sägenhallen“ ein Innovationszentrum mit internationaler Strahlkraft werden sollen, erzählt die Transformationsmanagerin im Interview mit der NEUE am Sonntag.
Neue am Sonntag: Die Geschäftsführung der CampusVäre wird neu ausgeschrieben. Warum kommt es dazu und wie haben Sie persönlich darauf reagiert?
Bettina Steindl: Die CampusVäre ist ein Projekt, das sich seit 2019 Meter für Meter entwickeln durfte. Die Stelle der Geschäftsführung war in dieser Form nie definiert. Ich durfte sie über die letzten Jahre einnehmen. Es war immer vereinbart, dass die Stelle ausgeschrieben wird, sobald sie eine Konstante darstellt. Das war mit mir abgesprochen, und ich finde es nur richtig und fair. Wir haben die Stelle gemeinsam definiert, und ich bin erfreut, mich wieder bewerben zu dürfen. Natürlich hat die Ausschreibung im Umfeld – im Netzwerk, in der Community, bei politischen Stakeholdern oder Partnerinnen – für Aufregung gesorgt, weil nicht alle direkt informiert waren. Vorstand, Rathaus und Landhaus wussten Bescheid. Aber das ist verständlich, und es hat viele Rückmeldungen gegeben. Wichtig ist mir, dass in der Ausschreibung klar wird, was die CampusVäre ist. Und wohin die Reise gehen soll.

Neue am Sonntag: Wie würden Sie jemandem, der die CampusVäre nicht kennt, das Projekt erklären?
Steindl: Ich sage meist: Stell dir mal gar nichts vor. Und Kindern erkläre ich: Das Gebäude ist so groß wie dreieinhalb Fußballfelder, früher eine Weberei und Spinnerei. Jetzt dürfen wir darin etwas bauen, das es in Vorarlberg so noch nicht gibt, das aber gebraucht wird. Es gibt über 3000 Studierende und 80 Betriebe am Standort. Aber es fehlt eine Werkstatt, ein Ort, an dem etwas entstehen kann. Wir sind dieser Ort.
Neue am Sonntag: Welche Qualitäten muss man als „Fährfrau“ des Projekts mitbringen. Und wie sehen die konkreten Pläne für die nächsten Jahre aus?
Steindl: Ausgangspunkt war eine Studie aus dem Jahr 2019, mit der Kernaussage: Vorarlberg braucht einen Ort, an dem Kreativwirtschaft und Innovationen Raum haben. Aus der Idee, für 300.000 Euro Container aufzustellen, haben wir mit dem Wissen, das Handwerk und Architektur kombiniert die CampusVäre entwickelt und zirkulär gebaut. In Zukunft wird die Geschäftsführung für den Standort verantwortlich sein, die Hallen vermarkten, Büros und Ateliers vermieten, Räume gestalten und kuratieren. Es geht nicht nur um Vermietung, sondern auch um inhaltliche Impulse – Kongresse, Events, ein kreativer Ort der Begegnung. Community-Management ist wichtig. Und wir wollen die CampusVäre als Blaupause für ganz Österreich sehen.

Neue am Sonntag: Der Gebäudekern ist in die Jahre gekommen. Wie schwierig ist es, das Objekt zu nutzen, gerade wenn es um bau- und sicherheitstechnische Vorgaben geht?
Steindl: Die Universität Liechtenstein hat dem Objekt eine hervorragende Bausubstanz attestiert. Eine der Aussagen aus ihrer Studie war, dass dieser Keller 300 Jahre ohne einen Tropfen Wasser trocken bleiben würde. Die Stadt Dornbirn investiert rund 4,7 Millionen Euro in das Objekt, gerade in die Büroräumlichkeiten. Durch das Mietmodell amortisiert sich diese Investition bereits in 40 Jahren. Und über 100 Menschen finden einen Platz, an dem sie arbeiten können. Damit entstehen auch Kommunalsteuern. Andere Hallen werden außerdem für Ateliers, Lager oder Paddletennis genutzt.
Neue am Sonntag: Handelt es sich hier dann um ein Coworking-Modell?
Steindl: Nein. Coworking gibt es in Dornbirn schon, beispielsweise bei Robert Mäser und der Gelben Fabrik. Wir bieten abgeschlossene Büros in drei Größen. Johannes Kaufmann hat sie im bewährten Holzboxen-System entwickelt. Wichtig war uns die Auswahl der Mieterinnen und Mieter. Es sollen sich Gewerke vernetzen, die normalerweise nicht zusammenarbeiten. Dafür haben wir mit einer Kreativagentur und der Stadt Dornbirn vor zwei Jahren einen Fragenkatalog entwickelt. Über 70 Unternehmen haben sich gemeldet, jetzt gibt es doppelt so viele Anfragen wie Platz.

Neue am Sonntag: Kritiker sehen in der CampusVäre eine Art „Prestigeobjekt“ an einem sehr begehrten Standort, mitten im Zentrum. Wie reagieren Sie auf solche Aussagen?
Steindl: Es ist kein Prestigeobjekt. Ein klassischer Industriebetrieb ist hier wegen Genehmigungen und Lärmschutz nicht möglich. Die Halle soll für Bildung, Innovation und Kreativwirtschaft genutzt werden. Das passt zur Entwicklung des Campus V mit der Fachhochschule und den umliegenden Betrieben.
Neue am Sonntag: Wie schwierig ist es, wenn konkurrierende Betriebe hier gemeinsam Räume nutzen?
Steindl: Wir sind eine Einstiegsoption, kein Konkurrent. Unternehmen können hier wachsen. Später ziehen sie vielleicht woandershin. Kooperation ist wichtiger als Konkurrenz. Wirtschaftswissenschaft zeigt, dass Kollaboration erfolgreicher ist.

Neue am Sonntag: Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Wie gehen Sie mit dem Thema um, das gerade in der Kreativwirtschaft viele Sorgen, auch um Arbeitsplätze, auslöst?
Steindl: KI beschäftigt uns sehr. Aber entscheidend bleibt der schöpferische Geist. Ideen entstehen durch Begegnung. Das betont auch der Vitra-Trendscout Raphael Gielgen, mit dem ich mich kürzlich ausgetauscht habe. KI kann vieles, aber nicht den menschlichen Austausch ersetzen. Deshalb braucht es Orte wie die CampusVäre, wo Menschen miteinander arbeiten.
Neue am Sonntag: Traditionelle, seit Jahrhunderten gewachsene, Industriebetriebe bestimmen den heimischen Markt. Gleichzeitig wird diesen Firmen teilweise mangelnde Innovations- oder Risikobereitschaft unterstellt. Wie beurteilen Sie diese Situation?
Steindl: Ich sage: Wir haben keine Zeit mehr, um innovativ zu werden. Innovation heißt, die Küche zu verlassen, nicht nur über den Tellerrand zu schauen. Im Ruhrgebiet habe ich gelernt, wie Strukturwandel durch Kultur gelingt. Hier brauchen wir mehr Offenheit, weniger Sparten-Denken.
Neue am Sonntag: So wie in der CampusVäre, einem interdisziplinären Ort der Begegnung – eine Art Ersatz für den von vielen geforderten Universitätsstandort?
Steindl: Wir sind ein Lernort. Wir arbeiten eng mit Studierenden zusammen. Eine Universität sind wir nicht. Aber wir schaffen Raum für interdisziplinäre Begegnungen. Das ist für Innovation entscheidend.

Neue am Sonntag: Aus Fehlern lernt man bekanntlich. Wieso gibt es hierzulande kaum eine legitime Fehlerkultur?
Steindl: In Österreich gibt es keine Kultur des Scheiterns. Wir versuchen Formate zu schaffen, in denen man ausprobieren darf. Auch Sponsorings könnten helfen: Unternehmen übernehmen Mieten für Start-ups, um Starthilfe zu geben.
Neue am Sonntag: Die CampusVäre finanziert sich durch die öffentliche Hand. Wie politisch unabhängig ist sie?
Steindl: Ich habe von Anfang an gesagt: Wenn die Politik das Projekt direkt besetzt, wird es nicht funktionieren. Die Kreativwirtschaft braucht Unabhängigkeit. Wir verstehen uns als Vermittler und Übersetzer. Unsere Aufgabe ist es, transparent zu erklären, was wir tun.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
Neue am Sonntag: Wie reagieren Sie auf die Aussage, die Neuausschreibung der Geschäftsführung sei reine Formsache und Sie hätten die Stelle bereits so gut wie sicher?
Steindl: Ich habe meinen Weg erarbeitet. Nichts war selbstverständlich. Ich bewerbe mich wie alle anderen und will mich beweisen. Wir könnten auch in der Privatwirtschaft arbeiten, aber es ist wichtig, dass engagierte Menschen in der öffentlichen Hand wirken. Das ist meine Motivation.
Neue am Sonntag: Wie lautet das Resümee Ihrer bisherigen Tätigkeit?
Steindl: Ich möchte Dornbirn und das Land Vorarlberg ausdrücklich loben. Wir haben inzwischen rund 30 Führungen im Jahr – Architekturinstitute, Studiengänge, Kulturministerium, Kreativwirtschaft. Alle sagen: Jede Region bräuchte eine CampusVäre. Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind und dass Kooperation zwischen Politik, Institutionen und freier Arbeit funktionieren kann.

Zur Person
Mag. Bettina Steindl ist Geschäftsführerin und Kuratorin der CampusVäre. Zuvor leitete die 45-jährige Wahl-Wälderin das Designforum Wien und das Bewerbungsbüro zur Kulturhauptstadt Europas Dornbirn plus. Die gebürtige Tirolerin kuratierte internationale Ausstellungen, lehrt an Hochschulen und ist in Kulturbeiräten tätig.
(NEUE am Sonntag)