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Der Zug der Senioren an die Macht

06.02.2022 • 14:56 Uhr
Kostelka und Korosec
Kostelka und Korosec Kleinsasser

Der Seniorenrat vertritt 2,3 Millionen Pensionisten – Tendenz steigend.

Manchmal geht es in der österreichischen Politik schnell, dass jemand seinen Willen bekommt – und ganz besonders schnell geht es, könnte man den Eindruck bekommen, wenn es um die Seniorinnen und Senioren geht.

So geschehen vergangene Woche angesichts der steigenden Inflation: Noch am Montag hatte sich Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) gegen eine neue Unterstützung ausgesprochen, bisherige Maßnahmen seien ausreichend. Wenige Tage später, am Freitag, trat die Regierung vor die Medien, um breite Einmalzahlungen zu verkünden – besonders für Mindestpensionisten.

Dieser Sinneswandel hat zwei Gesichter – jene von Ingrid Korosec (ÖVP) und Peter Kostelka (SPÖ). Zusammen stellen die beiden das Präsidium des Seniorenrats, als Dachverband der Seniorenorganisationen der Parteien, die gesetzliche Vertretung von rund 2,3 Millionen älteren Menschen in Österreich.

“Kein offenes Ohr für die Anliegen der älteren Generation”

Und wenn es um deren Anliegen geht, kennen die beiden wenig Gnade: „Kein offenes Ohr für die Anliegen der älteren Generation“ habe Mückstein, erklärte Korosec nach dem Termin mit dem Minister; es scheine, dass der coronageplagte Minister „nicht in der Lage sei, sich auf mehr als eine Sache gleichzeitig konzentrieren zu können“. „Zutiefst enttäuschend“ fand Kostelka das Gespräch.

Solche Äußerungen sind nichts, was eine Regierung, die weiß, was gut für sie ist, lange stehen lassen kann – die Vertretung Millionen Wahlberechtigter vor den Kopf zu stoßen, macht sich nicht gut. Dass es dann einen „Inflationsgipfel“ und breit gestreuten Teuerungsausgleich gab, schreiben sich Korosec und Kostelka auf die Fahnen. „Es kann schon sein, dass ich meinem Unmut da etwas Luft gemacht habe“, sagt Korosec über ein Treffen mit der ÖVP-Spitze nach dem Termin mit Mückstein: Sie habe Kanzler und Parteichef Nehammer und seinem Team verdeutlicht, dass das so nicht gehe.

Fehlende Wertschätzung

Denn trotz solcher Erfolge als Interessensvertreter fühlt sich der Seniorenrat – die Pensionistenorganisationen von ÖVP und SPÖ stellen den Großteil der rund 800.000 Menschen in seinen Mitgliedervereinen – nicht ausreichend wertgeschätzt in der Republik. „Als Wähler sind die Seniorinnen und Senioren alle paar Jahre willkommen, dazwischen übergeht man sie“, findet Kostelka im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Und das, so die beiden Präsidenten, werde weder der Zahl noch dem Selbstverständnis der heutigen Seniorinnen und Senioren gerecht. „Das Bild, das viele von Pensionisten zeichnen, ist ja völlig falsch“, sagt Korosec.

Bilder älterer Menschen, die auf der Parkbank sitzen und Tauben füttern ärgern sie: „Das war viel früher so, dass man nur ein paar Jahre in Pension war und dann abgetreten ist“ – heute sei das eine Lebensphase, in der man erstmals „völlig unabhängig“ sei, Hobbys anginge, reise, in der Seniorinnen und Senioren aber auch 600 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit im Jahr leisten. Damit komme auch ein neues Selbstbewusstsein, sind sich die Präsidenten einig: „Senioren haben heute die Zeit und den Willen, sich zu engagieren“, so Kostelka.

Das sei in den aktuellen Strukturen nicht abgebildet. Der Seniorenrat verlangt daher, als vollwertiger Sozialpartner anerkannt zu werden.
Derzeit ist die Seniorenvertretung den Sozialpartnern gesetzlich in manchen Belangen gleichgestellt – aber zum Beispiel nicht in Relation zur Zahl der Senioren in Sozialversicherungsgremien vertreten. Auch in der Gecko-Kommission sind die Pensionisten, anders als AK oder WKO, nicht repräsentiert.

„Wir wollen, dass nicht über uns, sondern mit uns gesprochen wird“

Das wollen die beiden Präsidenten – beide blicken auf lange Laufbahnen in ihren Parteien zurück, waren unter anderem Volksanwälte – ändern: Sie bereiten ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vor, das ihnen den Status als vollwertiger Sozialpartner sichern soll: „Wir wollen, dass nicht über uns, sondern mit uns gesprochen wird“, sagt Korosec.

Wenn man mit den Präsidenten spricht – ihr Vorsitz wechselt im Jahresrhythmus, derzeit führt Korosec –, ist viel von Harmonie die Rede, von „nicht spalten lassen“: „In der Sache sind wir uns oft einig“, sagt Kostelka, „den Weg zum Ziel sehen wir oft unterschiedlich“.
Aktuell etwa gibt es Dissens über den Teuerungsausgleich: Während Korosec die Einmalzahlungen derzeit für ausreichend hält, fordern Kostelka und die SPÖ eine vorgezogene Pensionserhöhung. Denn dass die aktuelle – von drei Prozent für kleine Pensionen, bis zu 1,8 Prozent für höhere, bemessen an der Teuerung im ersten Halbjahr 2021 – angesichts der aktuellen Inflation von 5,1 Prozent bei Weitem nicht ausreichend sei, um den Lebensstandard abzusichern, sei offensichtlich, kritisiert Kostelka. Der einmalige Ausgleich sei ein „Tropfen auf den heißen Stein“.

Kein Generationenkonflikt

Einig sind sich die Seniorenvertreter bei der längerfristigen Perspektive auf das Pensionssystem. Dahingehend, dass es trotz jährlicher Milliardenzuschüsse des Steuerzahlers in die Versicherung nicht nur „leistbar“ sei – das belege etwa die Alterssicherungskommission des Bundes, die in den nächsten Jahren einen Anstieg der Zuschüsse, langfristig aber einen leichten Rückgang, vorhersage.

Nein, beide wünschen sich auch eine neue Formel, nach der die jährliche Pensionssteigerung berechnet wird: Nicht nur die Inflation solle ein Faktor sein, sondern auch das Wohlstandswachstum des Landes. Außerdem erwägen sie, die Verhandlungen um die jährliche Erhöhung künftig hinter die Metallerlohnrunde zu verlegen, um deren „Schwung“ mitzunehmen. Zudem solle sauber getrennt werden, was bei den staatlichen Pensionszuschüssen wirklich in Pensionen fließe – und welcher Anteil eigentlich zur Armutsbekämpfung diene, indem er geringere Pensionen per „Ausgleichszulage“ aufstocke. Da kommt gleich die nächste Forderung: Diese Aufstockung sollte auf das Niveau der Armutsgefährdungsgrenze angehoben werden, schlägt Kostelka vor – rund zehn Prozent über der heutigen Mindestpension von 1030 Euro.

Ob diese Forderungen nicht den jüngeren Generationen gegenüber unfair seien? „Einen Generationenkonflikt sehe ich nicht“, sagt Korosec. Man fordere nicht weniger als einen „gerechten Anteil“ am Wohlstand in Österreich – und in der Coronakrise hätte Jugend wie Senioren „eine schwierige Zeit“ gehabt. Letztlich, sagt Korosec, würde fast alles, was an Leistungen an Senioren geht, direkt in die Wirtschaft fließen: „Wir sparen ja nicht mehr so viel.“