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Zuwanderer und die “typisch österreichische Grundskepsis”

11.06.2023 • 17:04 Uhr
Während 2015 noch jede vierte asylberechtigte Person Alphabetisierungsbedarf hatte, sind es heute um die 70 Prozent
Während 2015 noch jede vierte asylberechtigte Person Alphabetisierungsbedarf hatte, sind es heute um die 70 Prozent. Das erschwert das von der Bevölkerung ohnehin als negativ erlebte Zusammenleben.(c) Bumann – stock.adobe.com (Uwe Bumann)

Sieben von zehn neuen Asylberechtigten können kaum oder nicht lesen und schreiben.

Der Bildungsstand jener Menschen, die in Österreich einen Asylstatus erhalten, sinkt. Das zeigen aktuelle Zahlen des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). Während 2015 noch jede vierte asylberechtigte Person Alphabetisierungsbedarf hatte, sind es heute um die 70 Prozent. Eine Hälfte kennt dabei die lateinische Schrift nicht, die andere kann auch in ihrer Muttersprache nicht lesen und schreiben. Als Grund für diese (auch in Deutschland verzeichnete) Steigerung nennt der ÖIF den Umstand, dass zu Krisen- oder Kriegsbeginn zuerst Menschen mit höherem Bildungsgrad und Einkommen flüchten. Später folgen jene, für die das nicht gilt.

77 Prozent der Teilnehmer von Alphabetisierungskursen sind Männer
77 Prozent der Teilnehmer von Alphabetisierungskursen sind MännerKleine Zeitung

In speziellen Alphabetisierungskursen lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die neuen Buchstaben kennen. Junge Geflüchtete, die eifrig mitarbeiten, sitzen hier neben 50-Jährigen, die noch nie eine Schule besucht haben. 2023 gingen bisher 76 Prozent der Kursplätze an Menschen aus Syrien, neun Prozent an jene aus Afghanistan und sieben an jene aus der Ukraine. 77 Prozent der Teilnehmer sind Männer.

Wer langfristig mit dem Schrifterwerb hadert, für den stellt vor allem die Arbeitsmarktintegration eine Herausforderung dar. Für Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) müsse diese schon während des Sprachkurses passieren, denn “die Sprache kann besser zusätzlich zum Deutschkurs am Arbeitsmarkt praktiziert werden”. Freilich warnen viele Experten davor, dass Betroffene langfristig in die “Falle Einstiegsjobs” tappen könnten, wenn sie nicht gezielt beim Schrift- und Spracherwerb gefördert werden.

Fokus auf Arbeit und Sprache

Dabei gelten für die heimische Bevölkerung – neben der Anerkennung österreichischer Gesetze und Alltagsregeln – vor allem Arbeitstätigkeit und gute Sprachkenntnisse als Voraussetzung für gelungene Integration. Das geht aus dem Integrationsbarometer hervor, das sich aus der regelmäßigen Befragung von 1000 österreichischen Staatsbürgern ergibt.

Meinungsforscher und Umfrage-Autor Peter Hajek erklärt, dass die Bewertung des Zusammenlebens mit Zugewanderten von einer “typisch österreichische Grundskepsis” geprägt sei. Große Unterschiede zeigen sich je nach Ort der Interaktion. Hajek: “Während 55 Prozent das Zusammenleben mit Zugewanderten am Arbeitsplatz und 49 Prozent jenes in Geschäfts- und Einkaufsvierteln als sehr oder eher gut beschreiben, fällt die Bewertung in der Schule, im Wohnviertel und im öffentlichen Raum deutlich kritischer aus.” Im letzte Bereich funktioniert das Zusammenleben laut 67 Prozent der Befragten “weniger” bis “gar nicht gut”.

Als größte Probleme für ein gelungenes Miteinander werden kulturelle und sprachliche Unterschiede (55 Prozent), die Einstellung gegenüber Frauen (55 Prozent) und die Integrationsbereitschaft (51 Prozent) gesehen. Bei Vorschlägen, die das Zusammenleben hingegen verbessern könnten, befürworten drei von vier Befragten staatlich geförderte Angebote für den Deutscherwerb.

Steiermark und Kärnten scheren aus

Bei einer Auswertung weicht die “Südregion” mit Steiermark und Kärnten jedoch vom Durchschnitt ab. Während österreichweit nur 36 Prozent der Forderung “sehr” zustimmen, dass Flüchtlinge mit positivem Asylbescheid erst nach fünf Jahren vollen Zugang zum Sozialsystem erhalten sollen, sind es dort 42 Prozent.

Laut Umfrage belegt der Bereich Integration auf der “Hitliste” der “Sorgenthemen” für Herr und Frau Österreicher aktuell Platz drei. Noch mehr zerbricht man sich dieser Tage über die hohe Steuerbelastung und Engpässe in Gesundheitsversorgung und Pflege den Kopf. Bei einer Umfragewelle im Dezember 2022 war das anders, steigende Asylzahlen hatten im Spätherbst die Debatte über Zuwanderung neu entfacht und diese zur dominierenden Sorge werden lassen.

“70 Prozent haben mehr oder weniger offene Haltung”

“Sobald Politik und Medien das Thema aufgreifen, verschlechtert sich die Einstellung dazu”, erklärt Hajek. Das Pendel kann jedoch auch in die andere Richtung ausschlagen. Am Beginn des Ukraine-Kriegs zeigte sich im Integrationsbarometer eine deutlich positivere Einstellung zu Neuankommenden. Hajeks Fazit: “Sehr positive wie sehr negative Einstellungen zu Neuankommenden verfestigen sich nicht, im Langzeitvergleich hat sich der Wert vor Jahren eingependelt.”

Grund zur Sorge sieht Hajek aber nicht. Es gebe einen 15-prozentigen Kern von “manifest ausländerfeindlichen” Menschen im Land, ein Drittel habe eine kritische Haltung gegenüber Zuwanderung. “Aber geschätzte 70 Prozent haben hier eine mehr oder weniger offene Haltung.”