„Frau Aydin, Sie tun diesem Hause gut“

Grünen-Landtagsabgeordnete Vahide Aydin blickt auf ihre Zeit im Landtag zurück und erklärt, warum sie nicht mehr zur Wahl antritt.
Als erste Migrantin überhaupt hat Vahide Aydin vor 15 Jahren bei den Grünen den Sprung in den Landtag geschafft. Vor eineinhalb Wochen hat sie in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gegen Ende der Spezialdebatte zum Rechnungsabschluss ihre letzte Rede im Landesparlament gehalten. Einmal noch wird sie am 30. Oktober zur Festsitzung Platz auf ihrem Stuhl im Plenum nehmen.
Geschehnisse weiter verfolgen
„Ein politischer Mensch werde ich aber immer bleiben“, sagt die 56-Jährige im Gespräch mit der NEUE am Sonntag in Dornbirn. Schon allein aufgrund ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiterin, die sie auch während ihrer Zeit als Abgeordnete weiter ausgeübt hat, verfolgt sie die Geschehnisse in der Politik. Schließlich haben diese teilweise auch Auswirkungen auf ihre Klientinnen und Klienten. „Und wenn ich ‚Heimweh‘ habe, werde ich auch eine Sitzung besuchen, um dieses abzustreifen“, kündigt die Dornbirnerin an und lacht.

Wehmut aufgrund des Abschieds vom Landtag hat sie bei ihrer letzten Rede nicht verspürt. Die Abgeordnete geht auch davon aus, dass es bei der Festsitzung noch nicht so sein wird: „Mein Gefühl ist, dass ich erst bei der konstituierenden Sitzung und Angelobung der neuen Abgeordneten emotional werde, wenn ich auf der Zuschauergalerie sitze und nicht mehr im Landtag bin.“ Der aktiven Politik bleibt sie aber in den kommenden Monaten noch als Stadtvertreterin in Dornbirn erhalten. Ob sie bei den Gemeindewahlen im kommenden Frühjahr noch einmal antreten wird, steht noch nicht fest.
Zur Person
Vahide Aydin wurde am 3. Oktober 1968 in Elbistan in der Türkei geboren. Im Alter von zehn Jahren ist sie nach Vorarlberg gekommen. Heute lebt die Diplom-Sozialarbeiterin in Dornbirn und ist dort auch in der Stadtpolitik aktiv. Sie ist verheiratet und Mutter zweier Kinder. Seit dem Jahr 2000 engagiert sie sich bei den Grünen. Am 14. Oktober 2009 wurde sie erstmals als Abgeordnete im Vorarlberger Landtag angelobt.
Die Entscheidung, bei der Landtagswahl nicht mehr zu kandidieren, hat sich Aydin nicht leicht gemacht, und das Für und Wider eines Antretens abgewogen. Schlussendlich hat sie sich gegen eine neuerliche Kandidatur entschieden. „Nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, ist es mir besser gegangen“, erinnert sie sich. Die 56-Jährige will keine „Sesselkleberin“ sein und wollte „nie als Politikerin in Pension gehen“. Zudem war es ihr ein Anliegen, selbst zu entscheiden, einen Schlussstrich zu ziehen. Wahlkämpfen wird sie für die Grünen natürlich trotzdem: „Ich hoffe, dass wir bei der Wahl möglichst wenig Stimmen verlieren, und mein Wunsch wäre, dass wir sogar dazugewinnen. Wichtig ist es, einen Rechtsruck im Land zu verhindern.“
Einiges weitergebracht
Über ihre Zeit im Landtag zieht die Grünen-Politikerin eine positive Bilanz. Sie hat sich dabei vor allem in den Bereichen der Integration und Inklusion engagiert und auch einiges weitergebracht. So wurden während ihrer Zeit im Landesparlament der Integrationsausschuss geschaffen und auch das Integrationsleitbild einstimmig beschlossen. Für Aydin wäre es auch sinnvoller, die Empfehlungen aus der Evaluation dieser „Integrationsbibel“ umzusetzen anstatt einen „Vorarlberg Kodex“ einzuführen, wie dies von der ÖVP geplant ist.

Positiv sieht die Dornbirnerin die Entwicklungen im Bereich der Inklusion. Mit „Lohn statt Taschengeld“, der persönlichen Assistenz sowie der Sexualassistenz für Menschen mit Behinderungen seien einige wichtige Initiativen gesetzt worden, die es noch umzusetzen und mit Leben zu füllen gelte.
Gebärdensprache
Schon seit Längerem umgesetzt ist eine Maßnahme, welche die Sozialarbeiterin 2014 ins Rollen gebracht hatte. In einem Pilotversuch wurde damals auf Anregung von Aydin erstmals die Aktuelle Stunde bei der Live-Übertragung im Internet in Gebärdensprache übersetzt. Mittlerweile ist aus dem Pilotversuch die Regel geworden. Allerdings hatte die Dornbirnerin ursprünglich eine andere Idee.
Sie wollte, dass auch die Debatten über die dringlichen Anfragen in Gebärdensprache übersetzt werden. „Als ich meinen Antrag formuliert habe, habe ich aber vergessen, dass zwischen aktueller Stunde und dringlichen Anfragen noch die Gesetzesänderungen diskutiert werden. Ich hätte beantragen sollen, dass der gesamte Vormittag in Gebärdensprache übertragen wird.“
Einstimmig beschlossen
Schlussendlich konnte sie aber mit einer einstimmig verabschiedeten Ausschussvorlage leben, mit welcher der Pilotversuch in der Aktuellen Stunde gestartet wurde. Immerhin wurde auf diese Weise der UN-Behindertenrechtskonvention entsprochen, indem gehörlosen Menschen die politische Teilhabe ermöglicht wurde.

Sowohl in der Integration als auch in der Inklusion war es der 56-Jährigen immer ein Anliegen, den Betroffenen auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen anstatt über sie zu sprechen. Die Errungenschaften im Bereich der Inklusion sind für Aydin dann auch das, worum es in der Politik geht: „Wir haben für Menschen einen Rahmen geschaffen, damit sie ihr Leben lebenswert gestalten können.“
Diesbezüglich habe auch die Zusammenarbeit mit den Bereichssprecherkolleginnen und -kollegen der anderen Fraktionen immer gut funktioniert. „Es wurde immer auf Augenhöhe miteinander kommuniziert.“ In der zu Ende gehenden Legislaturperiode hat sie vor allem mit ÖVP-Inklusionssprecherin Heidi Schuster-Burda eng zusammengearbeitet.
Zweisprachiges Bekenntnis
Aydins Start in die Landtagsarbeit war allerdings ein wenig holprig. Denn gleich zu Beginn sorgte sie anlässlich ihrer Angelobung für Aufregung – vor allem bei der FPÖ. Die gebürtige Türkin sagte damals nämlich nicht nur „Ich gelobe“, sondern wiederholte dieses Bekenntnis auch noch auf Türkisch. „Es wurde sogar überprüft, ob ich wirklich ‚Ich gelobe‘ gesagt habe und nichts anderes“, erinnert sich die 56-Jährige mit einem Schmunzeln.

Doch auch positive Erlebnisse hatte sie bei ihrem Einstieg ins Landesparlament: „Bei der Angelobung war eine Gruppe von Frauen, die ich nicht gekannt habe. Sie haben sich aber gefreut, dass sie nun von mir – als Migrantin und als Frau – im Landtag vertreten werden.“ Auch mit dem damaligen Landeshauptmann Herbert Sausgruber (ÖVP) verbindet Aydin positive Erinnerungen.
„Frau Aydin, Sie tun diesem Hause gut“, habe er zu ihr gesagt. Und das Verhältnis zu den Freiheitlichen verbesserte sich nach der anfänglichen Aufregung ebenfalls. „In der Sache gab es sicher manchmal harte Auseinandersetzungen, aber auf persönlicher Ebene war der Umgang miteinander immer wertschätzend.“
“An wählbare Stelle setzen”
Bisher ist Aydin die einzige Landtagsabgeordnete in Vorarlberg mit Migrationshintergrund. Dies liege auch am Umgang der Parteien mit der Frage, glaubt sie: „Man muss Migranten auf der Liste an eine wählbare Stelle setzen, damit sie in den Landtag kommen.“ Diesbezüglich sei allerdings schon ein gewisser Wandel zu spüren. „Vor Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass auf der ÖVP-Liste jemand steht, der keinen alemannischen Namen hat. Das ist heute nicht mehr so.“