„Ein Kind ertrinkt meistens lautlos“

Laut einer aktuellen KFV-Studie ist jedes fünfte Kind in Österreich potenziell ertrinkungsgefährdet. Die NEUE am Sonntag hat bei Oliver Tschabrun im Nenzinger Walgaubad nachgehakt.
Die Ergebnisse der aktuellen Studie des KFV sind ernüchternd: Rund 10 Prozent der 5- bis 19-Jährigen können nicht schwimmen. 8 Prozent der gesamten Bevölkerung ab 5 Jahren sind Nichtschwimmer, und weitere 24 Prozent schätzen ihre Schwimmkenntnisse als (sehr) unsicher bis mittelmäßig ein. „Es gibt genug hochqualifizierte Schwimmschulen und Schwimmlehrer im Land“, betont Oliver Tschabrun, Gründer der Schwimmschule Schwimmakajeder und Geschäftsführer im Walgaubad Nenzing.
Jeder kann schwimmen lernen
Bereits im Alter von 14 Jahren begann Tschabrun, bei der Wasserrettung Schwimmkurse zu geben. Heute ist er Geschäftsführer und Bademeister im Walgaubad. „Mir wurde schnell klar, dass die Kinder mir meinen Job sehr erleichtern, wenn sie mich kennen und schwimmen können. Darum habe ich auch die Schwimmschule gegründet. Mein Credo ist immer schon gewesen, dass jeder schwimmen lernen kann, und so ist auch der Name des Vereins Schwimmakajeder entstanden.“
Lange sei es eher die Regel gewesen, dass Einheimische ihre Kinder zum Schwimmkurs gebracht haben, während Kinder mit Migrationshintergrund nur selten auf den Teilnehmerlisten auftauchten.

„Dank einer großen Förderung der RFI Regionale Freizeit & Infrastruktur GmbH, heute Walgauer Freizeit & Infrastruktur GmbH und Betreiber des Walgaubads, konnten wir vor etwa 20 Jahren für alle Volksschulen Schwimmkurse um 20 Euro anbieten. Auf diesem Weg haben wir endlich so gut wie alle Familien erreicht, und es hat sich seither deutlich verbessert. Ich begrüße es heute noch sehr, wenn Schwimmkurse über die Schulen beworben und womöglich auch noch durch Elternvereine unterstützt werden.“ Diese Einschätzung Tschabruns bestätigt der Appell des KFV, Bildungseinrichtungen flächendeckend bei der Umsetzung von geeigneten Schwimmkursen zu unterstützen. Für sozial schwächere Familien stellen private Kurse oft große finanzielle Hürden dar, was sich auch in den Ergebnissen der Studie niederschlägt.
Zu wenige Hallenbäder
„Solange wir nicht mehr Hallenbäder haben, nützt das aber gar nichts!“, ist der mehrfache Lebensretter überzeugt. „Für viele Schulen ist es unmöglich, Schwimmkurse anzubieten, obwohl es als Bestandteil des Bewegungsunterrichts sogar auf dem Lehrplan steht.“ Er würde sich daher wünschen, dass seitens des Landes mehr gemacht wird: „Sobald eine Schule saniert wird, wird aber als Erstes das Hallenbad gestrichen. Natürlich kostet das Geld, aber warum gibt es dafür kein Geld vom Gesundheitssystem, obwohl Schwimmen auch eine immens positive Auswirkung auf die allgemeine Gesundheit hätte? Ohne Wasserflächen können wir keine Schwimmkurse anbieten. Den meisten Eltern ist ein Schwimmkurs für 120 Euro nicht zu teuer. Da geht es um das Leben ihres Kindes! Es muss aber auch die Möglichkeiten dafür geben, und die fehlen in Vorarlberg leider vielerorts.“
„Kind ertrinkt vor aller Augen!“
Um die Gefahren deutlich zu machen, zeigt Oliver Tschabrun der NEUE ein Video einer seiner Überwachungskameras. Darauf ist eine Szene zu sehen, in der ein nur wenige Jahre altes Kind etwa einen Meter vom Beckenrand, an dem sich mehrere Erwachsene aufhalten, sozusagen vor aller Augen ertrinkt. Wenn man nicht weiß, was gleich passieren wird und um welches der Kinder im Bild es sich handelt, ist auch auf dem Video nichts Auffälliges zu erkennen. „Das kleine Mädchen ringt nach Luft und kann sich deshalb nicht durch Schreie bemerkbar machen. Es gibt nur ein winziges Zeitfenster, in dem die Anwesenden erkennen könnten, was vor sich geht“, erklärt Tschabrun, während wir entsetzt auf den Bildschirm starren. Das Kind geht unter, nichts passiert. „Wegen der Reflektion der Sonnenstrahlen auf dem Wasser kann niemand das Mädchen am Grund des Beckens sehen.“
Erst als ein Badegast mit den Füßen an dem Mädchen streift und einige Sekunden danach beschließt, danach zu tauchen, wird der fürchterliche Unfall bemerkt. Der Mann ruft um Hilfe und bringt das Kleinkind an den Beckenrand, wo bereits zwei Bademeister angerannt kommen. „Wir haben es geschafft, das Mädchen zu reanimieren, und wie auch die beiden anderen Kinder, die wir hier im Bad wiederbeleben mussten, hat es keine bleibenden Schäden davongetragen“, erzählt Tschabrun vom erleichternden Ausgang dieser unfassbaren Geschichte.

Gefährliche Fehleinschätzungen
Was auch in der KFV-Studie als besonders kritisch vermerkt wird, ist, dass Eltern die Schwimmkenntnisse ihrer Kinder und Jugendlichen oft falsch einschätzen. Auch deren Selbsteinschätzung ginge vielmals an der Realität vorbei, merkt Oliver Tschabrun an. „Da kommt eine Hauptschule mit 20 Kindern, und jeder sagt, er könne schwimmen. Wenn ich das als Schwimmlehrer ansehe, muss ich sagen, dass nur etwa die Hälfte wirklich schwimmen kann. Die anderen halten sich eine kurze Strecke über Wasser, aber Schwimmen ist das definitiv nicht.
Es ist nicht viel mehr als eine Zappelei. Das spielt in einem Schwimmbad, wo man überall nach ein paar Metern am Rand ist oder stehen kann, keine Rolle. Aber an einen See würde ich mit solchen Kindern keinesfalls gehen. Diese gefährlichen Fehleinschätzungen des eigenen Könnens gibt es auch bei Erwachsenen. Mittlerweile ist es ein Klassiker, dass man mit dem Standup-Paddle rausfährt, runterfällt, das Board treibt weg, und man ist erledigt“, so Tschabrun.

„Viele wissen sehr wohl, dass sie nicht gut schwimmen können, genieren sich aber dafür und informieren ihre Begleiter beim Baden nicht darüber. So begeben sie sich wissentlich in für sie potenziell lebensgefährliche Situationen. Es ist nie zu spät, um einen Schwimmkurs zu machen, aber auch das ist den meisten älteren Jugendlichen und Erwachsenen schlichtweg peinlich.“
Richtig schwimmen lernen
Der erfahrene Bademeister rät Eltern, die bei den Schwimmkenntnissen ihrer Kinder unsicher sind, sich damit an fachkundige Personen zu wenden. „So gut wie alle Bademeister können rasch bewerten, ob eine schwimmbewegung passt und geben auch gerne Tipps, wenn dem nicht so ist. Eine falsch geübte Bewegung zu korrigieren ist aber meistens eine Doktorarbeit. Ab dem Volksschulalter haben Schwimmkurse Erfolgsquoten von 85 bis 90 Prozent. Das Interesse an den Kursen ist auch da“, merkt Tschabrun an.
Auf Schwimmhilfen solle man sich jedoch niemals voll verlassen, mahnt der Experte. Neben der rechtlichen Aufsichtspflicht der Eltern müsse unbedingt betont werden, dass Schwimmflügel und andere Schwimmhilfen nicht ertrinkungssicher sind. „Leider werden Kinder, wenn sie im Wasser sind, oft nicht aufmerksam genug beaufsichtigt oder viel zu jung ohne Erwachsenenbegleitung ins Schwimmbad geschickt.
Kinder dürfen immer nur unter Aufsicht ins Wasser, egal mit welchen Schwimmhilfen sie ausgestattet sind, denn ein Bademeister hat nur eine Chance etwas zu sehen, wenn das Kind ins Wasser platscht und nicht mehr auftaucht. Wenn das Kind schon im Wasser ist und untergeht, ertrinkt es lautlos, wie wir auf dem Video gesehen haben.“
Martin Begle
