Kultur

Ekstase erfüllt das Festspielhaus

07.04.2025 • 15:13 Uhr
Bolero New Earth Bregenzer Frühling
Bei “Bolero” verschmelzen die Körper in ein pulsierendes Ganzes. Rivero

„New Earth“ von Shahar Binyaminis feierte beim Bregenzer Frühling kraftvolle Uraufführung. Auf sie folgte Ravels “Bolero” mit magischer Sogkraft.

Wieder gab es Ovationen für großartige Tanzkunst beim Bregenzer Frühling: Mit dem Gastspiel des israelischen Choreografen Shahar Binyamini und seinem House of Dance erlebte man sogar die umjubelte Uraufführung von „New Earth“. Im zweiten Teil entwickelte Ravels „Bolero“ seine nie verlöschende Sogkraft, hier band Binyamini auch rund 40 Tänzerinnen und Tänzer der Zürcher Hochschule der Künste mit ein.

Sphärische Vokalmusik

Die große Bühne im Festspielhaus ist ein weiter leerer Raum, der Boden mit rötlicher staubender Erde bedeckt, die aufwirbelt, sich mit den hautfarbenen Kostümen verbindet, eins wird mit vier Tänzerinnen und drei Tänzern. Die Musikcollage zu „New Earth“ wächst aus der Stille von sparsamer nahöstlicher Musik von Trommeln und Oud über sphärische Vokalmusik mit intensiven Reibungen zu überwältigend laut wummernder Urkraft und endet wiederum in Stille, bei der die aufgebaute Energie in einem großen Ausatmen nochmals gesammelt und abgegeben wird. Aus der Erde wachsen die Bewegungen, tief aus gebeugten Knien oder lang gegrätschten Beinen, fließend, kreatürlich, sinnlich, urwüchsig lassen sich die Tänzerinnen und Tänzer hineinfallen in den Drive der Musik. Es gibt Phasen von Statik und Bewegung, von Zeitlupendehnung und individuellen Soli, immer wieder bildet sich ein Menschenknäuel, aus dem einzelne ausbrechen oder sich eine fröhlich hopsende Reihe ergibt. Symbiotische Paare umschlingen einander, Kopf an Kopf in sehnender Innigkeit, andere drängen sich hinein. Die ungeheure Gruppendynamik zur ohrenbetäubenden Musik lässt sich passiv zusehend-zuhörend kaum aushalten, man möchte mittun und wird doch gefangen von der geballten Konzentration des Ensembles.

Bolero New Earth Bregenzer Frühling
Rivero

Taktlos magisch

Ein durchgehender Trommelrhythmus, darüber eine Melodie, die immer wiederholt und von einer stets wachsenden Zahl von Instrumenten aufgenommen wird und in ein riesiges Crescendo mit Beckenschlag mündet: Das ist die Magie von Maurice Ravels „Bolero“, der sich niemand entziehen kann, obwohl der Komponist selbst fand, sein Werk enthalte keinen einzigen Takt Musik! Für die Tänzerin Ida Rubinstein wurde der „Bolero“ vor bald 100 Jahren geschaffen, in Stuttgart ließ Maurice Béjart die Primaballerina Marcia Haydee auf einem roten Tisch tanzen, umgeben von einer Gruppe von Männern, inzwischen ist es Friedemann Vogel, der damit zu fliegen scheint. Bei Shahar Binyamini wird die auch hier mit Erde bedeckte Bühne zur Arena, nicht ein Tänzer, eine Tänzerin stehen hier im Mittelpunkt, sondern die unterschiedlichen Charaktere seiner Gruppe aus Israel und die Studierenden von der Hochschule der Künste in Zürich, die zu einem Kollektiv verschmelzen. Mit jeder Wiederholung des Hauptmotivs gibt es zunächst ein Solo, Sprünge, Pirouetten, Akrobatik, auch das verzweifelte Ringen eines Paares setzt Akzente. Die Gruppe, im Halbkreis um die Arena postiert, beginnt zu schwingen, Kopf, Schulter, Hüfte, Oberkörper weiten die Bewegung aus, schließlich werden alle vom Energiezentrum des Kreises angezogen und bilden ein pulsierendes Ganzes – Faszination und Jubel für diese getanzte Ekstase erfüllen das Festspielhaus!

Von Katharina von Glasenapp