Ein Feuerwerk unbedingter Hingabe beendet die Saison

Mittelberger
Beim letzten Bregenzer Meisterkonzert der Saison zündeten Fazıl Say, das City of Birmingham Symphony Orchestra und Kazuki Yamada ein klangliches Feuerwerk.
Was für ein Klangrausch! Das City of Birmingham Symphony Orchestra, eines der besten britischen Orchester, trat mit seinem japanischen Chefdirigenten Kazuki Yamada in großer Besetzung an und bildete zusammen mit seinem Solisten, dem türkischen Pianisten Fazıl Say, ein fantastisches Team. Gemeinsam sind Dirigent, Orchester und Solist gerade auf Tournee in Deutschland und Österreich und präsentierten sich dem begeisterten Publikum im Bregenzer Festspielhaus mit unbedingter Hingabe.

Elektrisierende Zugaben
Zweimal Ravel, dazwischen die Sinfonischen Tänze aus Leonard Bernsteins „West Side Story“, drei elektrisierende Zugaben von Say und vom Orchester – da wirkt Hector Berlioz‘ Ouvertüre „Römischer Karneval“ wie ein Fremdkörper. Doch bietet die farbenreiche Instrumentation des französischen Romantikers dem Orchester die Gelegenheit, sich mit forschem Einstieg, einer melancholischen Volksliedmelodie auf dem Englischhorn und, von Kazuki Yamadas wirbelnder Körpersprache angeregt, in effektvollen Steigerungen eines Saltarellos zu zeigen.

100 Jahre später zündet auch Maurice Ravel in seinem Klavierkonzert ein Feuerwerk im gemeinsamen Impuls des Solisten mit dem Peitschenschlag des Perkussionisten: Was Fazıl Say dann mit glitzernden Figuren, gemeißelten Akkorden, Jazzschleifern, Trillern und beschwörender Poesie zusammen mit dem CBSO zaubert, ist phantastisch. Sein Klavieranschlag verbindet Samtpfötchenkultur und Trommelfeuer, und wenn Hüftschwung und wedelnde Hände auch manieriert wirken, so gehört das zu Fazıl Says ganzkörperlicher Hingabe an die Musik. In schier unendlichem Bogen lässt er die Melodie im langsamen Satz strömen, Holzbläser und Streicher weben ein feines Gespinst an Tönen dazu, es entsteht eine zauberische Atmosphäre, die vom funkensprühenden Puls des Finales abgelöst wird.
Blitzende Kaskaden
Nicht nur der Pianist glänzt mit seiner selbstverständlichen Virtuosität, auch das Orchester bringt sich immer wieder mit kleinteiligen Soli und blitzenden Kaskaden ein. Seine Bearbeitung von Mozarts „Rondo alla turca“ spielen Fazıl Say und andere Pianisten auch gerne in Soloklavierabenden, wenn das ganze Orchester wie hier mit Schellentrommeln, Klarinettenschleifern und Posaunenglissando eingebunden ist, bringt das allen sichtlich und hörbar viel Vergnügen. Mit seiner facettenreichen Improvisation über Gershwins „Summertime“ lässt der Pianist das Publikum jubeln und schafft zugleich einen perfekten Übergang zu Bernsteins „West Side Story“ nach der Pause.

Stürzender Wolkenkratzer
In einer knappen halben Stunde machen Kazuki Yamada und das CBSO die unvergleichlichen Szenen dieser amerikanischen Romeo-und-Julia-Geschichte lebendig, viele im Publikum mögen sich auch an das Bühnenbild des stürzenden Wolkenkratzers auf der Seebühne erinnert haben, das 2003/04 die Inszenierung der „West Side Story“ prägte. Die Musik spiegelt die Lebensfreude, die Zerbrechlichkeit und Unmöglichkeit der Liebe, die Gefahren, aber auch die Leichtigkeit wider und endet in verklärten schwebenden Streicherklängen und der zarten Solooboe – packend und bewegend musiziert! In Ravels „La Valse“ erlebt man unter den Händen des 45-jährigen Japaners, der im kommenden Herbst auch das Deutsche Sinfonieorchester Berlin in der Nachfolge von Robin Ticciati übernehmen wird, dagegen das Werden von Klang von Rhythmus aus einem Urgrund: 1920 abgeschlossen, klingt diese „Apotheose des Wiener Walzers“ nicht nur wie ein taumelnder Tanz am Abgrund, sondern wie ein Abgesang auf die europäische Kultur kurz nach dem Ende des 1. Weltkriegs: Süffig, rauschhaft, rasend, mit fauchenden Akzenten und breiten Verzögerungen.
„Zum Drüberstreuen“ verabschiedeten sich die Gäste mit einem der ungarischen Tänze von Brahms, bevor das Publikum sie ziehen ließ: Das war ein fulminanter Abschluss der Bregenzer Meisterkonzerte in dieser Saison.
Katharina von Glasenapp