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“Es war ein Wahnsinn”: Drei Fälle mit … Anwalt Bertram Grass

30.03.2025 • 08:32 Uhr
"Es war ein Wahnsinn": Drei Fälle mit ... Anwalt Bertram Grass
Bertram Grass in seiner Kanzlei mit Blick auf den Bodensee. Hartinger

In der Artikelserie der NEUE am Sonntag “Hinter den Kulissen des Rechts: Drei Fälle mit…” erzählen Vorarlberger Rechtsanwältinnen und -anwälte über ihre prägendsten, spannendsten und schrägsten Fälle. Den Auftakt macht Bertram Grass, der heuer sein 50-jähriges Jubiläum als selbständiger Anwalt feiert. Trotz vieler prominenter Verfahren erzählt er lieber von kleineren, kuriosen Mandaten und darüber, warum er mit 78 Jahren noch nicht ans Aufhören denkt.

Bertram Grass lehnt sich im Stuhl zurück und sagt mit einem Augenzwinkern: „Ich weiß nicht, ob ich ein guter oder schlechter Anwalt bin. Aber eines weiß ich: Ich habe die schönste Kanzlei in Vorarlberg.“ Ein Satz, der viel von dem enthält, was ihn ausmacht: Selbstironie, leiser Stolz, ein Schuss Eitelkeit – und eine feine Form von Koketterie, mit der er gerne spielt. Und dennoch: Der Blick von seinem Schreibtisch aus ist wahrlich beeindruckend. Majestätisch breitet sich der Bodensee vor ihm aus. An den Kanzleiwänden Werke eines bedeutenden zeitgenössischen deutschen Malers. Grass ist leidenschaftlicher Kunstsammler, aber welche Namen genau in seiner Sammlung vertreten sind, möchte er lieber für sich behalten.

Mit seinen 78 Jahren ist Grass der älteste praktizierende Rechtsanwalt in Vorarlberg – und auch einer der profiliertesten. Immer wieder wird er mit aufsehenerregenden Fällen betraut. In der Testamentsaffäre verteidigte er in zwei Rechtsgängen die damals angeklagte Vizepräsidentin des Landesgerichts Feldkirch. Im Schadenersatzprozess eines ehemaligen Mehrerau-Zöglings, der von einem Pater missbraucht worden war, vertrat er das Kloster. Auch heute noch steht Grass an vorderster Front, wenn es heikel wird. Erst vor wenigen Wochen verteidigte er Alt-Landesrat Karlheinz Rüdisser in der Wirtschaftsbund-Causa.

"Es war ein Wahnsinn": Drei Fälle mit ... Anwalt Bertram Grass
Grass feiert heuer sein 50-jähriges Jubiläum als selbständiger Anwalt. Hartinger

Boxer-Vergleich

Trotz der Rückschläge, die der Beruf mit sich bringt, bleibt Grass‘ Leidenschaft für das Strafrecht ungebrochen. „Es ist zermürbend, eigentlich eine Masochisten-Partie, weil man viele Watschen kassiert. Aber wenn man Erfolg hat, ist es wahnsinnig schön.“ Was ihn an der Strafverteidigung besonders fasziniert? „Es ist unmittelbar. Der Klient ist da und es wird ein Urteil verkündet, im besten Fall ein Freispruch.“

Niederlagen lassen Grass nicht kalt. Auch nach Jahrzehnten nicht. „Fragen Sie meine Frau“, sagt er. „Die kann ein Lied davon singen. Wenn ich verliere, bin ich sehr schlecht aufgelegt.“ Ein Vergleich mit dem Boxsport liegt nahe. Man brauche gute Nehmerqualitäten – und die habe er nicht. Trotzdem, sagt Grass, „stelle ich mich immer wieder neu auf.“

Auch im Arbeitsrecht ist der Bregenzer Anwalt bewandert. Er hat unzählige Prozesse in diesem Bereich geführt, vor allem auf Seite der Arbeitnehmer. Sein Einstieg in dieses Rechtsgebiet war ein politisch aufgeladener Fall im Landhaus, eine Versetzung, die für landesweites Aufsehen sorgte.

NEUE Serie “Hinter den Kulissen des rechts: Drei Fälle mit…”

In dieser losen Serie geben Vorarlberger Anwältinnen und Anwälte Einblick in drei Fälle, die ihnen in besonderer Erinnerung geblieben sind. Es geht dabei nicht nur um spektakuläre Strafprozesse, sondern um die Vielfalt des juristischen Alltags – und um Momente, die sich eingeprägt haben. Manche dieser Fälle waren kurios, andere fordernd, wieder andere prägend für die weitere Berufslaufbahn. Gleichzeitig erlaubt die Serie einen persönlichen Blick auf jene, die in diesen Verfahren Verantwortung tragen – und auf das, was ihnen dabei wichtig ist.

"Es war ein Wahnsinn": Drei Fälle mit ... Anwalt Bertram Grass
Bertram Grass ist ein leidenschaftlicher Kunstsammler. Hartinger

Am 1. September dieses Jahres feiert Grass sein 50-jähriges Jubiläum als selbständiger Anwalt. Unter den Vorarlberger Advokaten gilt er als Sir und Schöngeist. Neben seiner Leidenschaft für die Bildende Kunst ist Grass ein ausgewiesener Kenner klassischer Musik. Und doch hat er sich etwas Kindliches, fast Spitzbübisches bewahrt. Er lacht oft – offen, unverstellt, mit echtem Vergnügen. Die Freude am Erzählen ist spürbar. Immer wieder blitzt sein Humor auf – nie unpassend, oft entwaffnend.

Reden, überzeugen, eine Geschichte auf den Punkt bringen – das war schon früh Grass‘ Stärke. Sein Vater, ein Bauingenieur, habe damals zu ihm gesagt, das Einzige, was er gut könne, sei reden – und ihm deshalb nahegelegt, Rechtsanwalt zu werden. Den entscheidenden Impuls aber lieferte das Kino. Mit 18 Jahren sah Grass den Film „Das Urteil von Nürnberg“, einen Schwarzweißklassiker über die Prozesse gegen die führenden Juristen des NS-Regimes. Als Grass den Schauspieler Maximilian Schell damals als Verteidiger sah, war er elektrisiert. „Das hat mich fasziniert. Da habe ich mir gedacht: Das möchte ich auch machen.“

Oper statt Römisches Recht

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Bertram Grass bekam seine ersten Mandate im berüchtigten Gasthaus “Schillerpark” in Bregenz. Hartinger

Grass studierte in Wien, hauptsächlich wegen seiner Liebe zur klassischen Musik. Die war ihm näher als das Römische Recht. „Nach meiner ersten Staatsprüfung habe ich meinen Vater angerufen und gesagt: Du, das habe ich jetzt – aber ich habe mehr Stunden auf dem Stehplatz in der Oper verbracht als in der Uni.“

Die ersten Mandate kamen nicht über Empfehlungsschreiben oder Netzwerke. Sie kamen über Gespräche. Und über das richtige Lokal zur richtigen Zeit. Im berüchtigten Gasthaus „Schillerpark“ in Bregenz trafen sich allerhand bunte Vögel – Leute mit Ecken und Kanten, Geschichten – und Durst. „Da hat sich alles getroffen, und ich bin da auch gerne hineingegangen“, erinnert sich Grass.

„Strafrecht ist eigentlich eine Masochisten-Partie. Aber wenn man Erfolg hat, ist es wahnsinnig schön.“

Bertram Grass

Fall 1: Die Autoreparatur

Die Bekanntschaft mit einem „Schillerpark“-Stammgast führte den jungen Anwalt in einen skurrilen Rechtsstreit um eine Autoreparatur. Ein Frächter aus Bregenz – laut Grass „ein bunter Hund mit dem Auftreten eines Diplomaten“ — hatte seinen kaputten Lkw in eine Werkstatt nach Innsbruck gebracht. Diese stellte eine Rechnung über 18.000 Schilling und wollte das Fahrzeug erst gegen Bezahlung herausgeben. „Mein Mandant kam ohne Geld, bat um eine Probefahrt und wies während der Fahrt auf ein seltsames Geräusch hin“, erinnert sich Grass an den Fall aus den 1980er-Jahren. Als der Mechaniker ausstieg, um nachzusehen, nutzte der Mann die Gelegenheit und fuhr davon. Die Sache landete vor Gericht, mit unerwartetem Ausgang. „Mein Mandant war offenbar schon amtsbekannt und der Richter sagte dem Anwalt der gegnerischen Seite, dass er sich mit 4000 Schilling zufriedengeben solle, mehr sei vom Beklagten wahrscheinlich nicht zu erwarten“, schildert Grass. Letztlich einigte man sich auf einen Vergleich in der Höhe von 4000 oder 5000 Schilling, ganz genau kann sich Grass nicht mehr erinnern. „Das war eigentlich ein Wahnsinn“, resümiert er lachend.

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Hartinger

Fall 2: Der Mann auf dem Baum

An Absurdität kaum zu überbieten ist ein Fall, der sich – ebenfalls in den 1980er-Jahren – in Fußach abgespielt hat. Ein alkoholisierter Autofahrer kracht mit seinem Wagen in einen Gartenzaun, fährt weiter und bemerkt irgendwann die Polizei im Rückspiegel. „Dann schaltete er das Licht aus, fuhr der Polizei davon, stellte den Wagen ab und kletterte auf einen Baum“, erzählt Grass. Ein kreativer Fluchtversuch, allerdings nicht zur Nachahmung empfohlen. Die Polizisten entdecken den augenscheinlich betrunkenen Mann auf dem Baum und stellen ihn zur Rede. Doch dieser bestreitet, mit dem Auto gefahren zu sein. Als Zeugen nennt er einen Notar, mit dem er am selben Abend im nahegelegenen Parkcafé gesessen sei. Dass es in diesem Fall zu einem Freispruch im Zweifel kam, habe ihn damals mehr als verwundert, sagt Grass. „Vor allem auch deshalb, weil der zuständige Richter als unangenehm und streng galt“.

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Fall 3: Das kranke Herz

Der dritte Fall, von dem Grass erzählt, hat ihn über viele Jahre hinweg beschäftigt. Es geht um einen Vorarlberger Kunsthändler mit einer schweren Herzkrankheit. Mehrere österreichische Kliniken stuften die notwendige Operation als zu riskant ein. In Wien und Zürich winkten die Ärzte ab. Ein Spezialist in den USA hingegen hatte solche Eingriffe bereits erfolgreich durchgeführt und operierte den Mann. Die Sozialversicherung weigerte sich, die rund eine Million Schilling teure Behandlung zu bezahlen. Ihre Argumentation: Der Eingriff hätte auch in Österreich erfolgen können. Ein Wiener Herzchirurg bestätigte das. „Der hat das behauptet, ohne meinen Klienten je gesehen zu haben“, sagt Grass, der den Fall schließlich vor Gericht brachte. Zwei Oberärzte aus Wien sagten aus, dass sie die Operation wegen des unvertretbar hohen Risikos abgelehnt hätten. Das Verfahren zog sich über vier Jahre und ging bis zum Obersten Gerichtshof. Am Ende stand fest, dass die Sozialversicherung 80 Prozent der Behandlungskosten übernehmen muss und sämtliche Anwaltskosten zu bezahlen hat.

Pension, Nein Danke

Ob er ans Aufhören denkt? Grass winkt ab. „Ich bin arrogant genug, zu sagen: Ich kann’s noch.“ Jeden Samstag geht er auf den Bregenzer Hausberg Pfänder. „Da merke ich schon, dass es schwerer wird mit der Zeit. Aber wenn ich im Gerichtssaal sitze, hab ich das Gefühl: Ich bin noch da.“ Solange er gesund sei „und noch ein paar Leute Grüß Gott sagen“, möchte Grass jedenfalls weitermachen. Auf die Frage nach seiner Motivation nennt er drei Gründe: Narzissmus, Demenzprophylaxe und Profitgier – weil Anwälte bekämen zweifelsohne die schlechteste Pension aller Freiberufler.

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Bertram Grass mit seiner Sekretärin Tanja Neubacher. hartinger