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„Weihnachten zeigt den ohnmächtigen Gott“

23.12.2022 • 20:52 Uhr
Nora Bösch beim Tannenbaum in der Kirche St. Martin in Dornbirn. Besucher können Wünsche und Hoffnungen auf einen weißen Stern schreiben und ihn am Baum aufhängen.<span class="copyright">hartinger </span>
Nora Bösch beim Tannenbaum in der Kirche St. Martin in Dornbirn. Besucher können Wünsche und Hoffnungen auf einen weißen Stern schreiben und ihn am Baum aufhängen.hartinger

Nora Bösch, Pastoralleiterin des Seelsorgeraums Dornbirn, über die Weihnachtsbotschaft, hohe Erwartungen und Kirchenbesuche außerhalb der Gottesdienste.

Haben Sie in den Tagen vor Weihnachten als Pastoral- und Gemeindeleiterin noch viel zu tun gehabt?
Nora Bösch:
Es geht. Ich hatte in der Woche vor dem Advent und in der ersten Adventwoche viel Arbeit mit der Planung und Organisation. Wenn das abgeschlossen ist, läuft es. In den letzten Adventtagen war ich noch damit beschäftigt, bei den Briefen an die 150 ehrenamtlich Mitarbeitenden etwas Persönliches dazuzuschreiben. Das ist für mich wichtig und ich bin auch sehr dankbar, weil ich sehe, dass sich viele Menschen in der Pfarre engagieren.

Nora Bösch arbeitet seit 13 Jahren in der Pfarre St. Martin.<span class="copyright">hartinger</span>
Nora Bösch arbeitet seit 13 Jahren in der Pfarre St. Martin.hartinger

Zum ersten Mal seit zwei Jahren können heuer die Gottesdienste an Weihnachten ohne Einschränkungen gefeiert werden. Das wird sehr erfreulich für Sie sein?
Bösch:
Ja, das macht vieles leichter, weil man sich auf das Fest konzentrieren kann und nicht die organisatorischen Einschränkungen umsetzen und im Blick haben muss. Ich glaube auch, dass mehr Menschen in die Gottesdienste kommen werden. Insgesamt ist durch die Pandemie zwar ein Rückgang zu spüren, aber bei größeren Anlässen wie etwa dem Martinsfest merken wir, dass die Menschen an Festen teilnehmen wollen, weil es so lange nicht mehr möglich war. Wir sehen, dass viele Menschen außerhalb der Gottesdienste in die Kirche gehen, etwa um eine Kerze anzuzünden. Bei uns in St. Martin ist reger Betrieb. Wir haben seit dem ersten Advent einen Tannenbaum in der Kirche stehen und weiße Sterne danebengelegt. Die Menschen konnten auf diese Sterne ihre Hoffnungen, Wünsche oder Sehnsüchte schreiben und sie dann an den Baum heften. Bisher haben wir 350 Sterne gebraucht. Wir möchten den Menschen durch diese Aktion mitgeben, dass sie ihr Leben, ihre Freude und Sorgen zu Gott bringen können.

Auch wenn Corona kein großes Thema mehr ist, ist es heuer wegen des Krieges in der Ukraine und der Teuerung nicht leichter als in den vergangenen beiden Jahren. Welchen Eindruck haben Sie aus Ihrer Seelsorgetätigkeit: Wie geht es den Menschen?
Bösch:
Wir merken, dass es mehr Härtefälle gibt, weil mehr bedürftige Menschen in die Pfarren kommen. Wir versuchen deshalb, stadtweit Hilfsaktionen durchzuführen, und wir sind in engem Kontakt mit Beratungsstellen, wo die Menschen auch unterstützt werden.

Wie geht es denjenigen, die nicht bedürftig sind?
Bösch:
Ich merke, dass die Freude darüber, sich wieder treffen zu können, groß ist. Sei es bei der Agape am Pfarrplatz oder bei der Seniorenjause im Pfarrzentrum. Die Gemeinschaft hat gefehlt und nun genießt man sie.

Die Herausforderung ist, dass ich Gott Platz in meinem Leben gebe.

Nora Bösch, Pastoralleiterin

Welche Botschaft geben Sie den Menschen heuer zu Weihnachten mit?
Bösch:
Oft steht die Frage im Raum, weshalb Gott all das Leid zulässt, weshalb jemand schwer erkrankt ist oder warum Gott die Menschen nicht zur Vernunft bringt, damit sie ressourcenmäßig umdenken. Dahinter steht der Gedanke: Wenn Gott allmächtig ist, dürfte das kein Problem für ihn sein. Weihnachten zeigt für mich aber den ohnmächtigen Gott. Er kommt als Baby auf die Welt und ist darauf angewiesen, dass er geliebt, umsorgt, begleitet und beschützt wird. Das heißt für mich, dass Gott darauf angewiesen ist, dass ich ihm einen Platz gebe. Er kann nichts machen ohne unser Zutun. Zudem kommt das Christuskind nicht in eine heile Familie und Lebenssituation. Die Situation seiner Eltern und im Land ist eine schwierige, es gibt Bedrohung und materielle Not. Weihnachten sagt mir, Gott kommt in die Begrenztheit meines eigenen Lebens, in meine eigenen Unzulänglichkeiten und er will da sein in persönlichen Herausforderungen und den Herausforderungen, die die Welt uns gibt. Das schenkt einerseits Trost, fordert aber auch heraus. Die Herausforderung ist, dass ich ihm Platz gebe und dass ich in dieser Welt wirke und mich zur Linderung von Not einsetze.

Die Erwartungen an Weihnachten sind oft sehr hoch. Was kann man machen, damit es nicht zu Enttäuschungen kommt?
Bösch:
Die Erwartungen konzentrieren sich meist auf einen Abend, der Stress und Druck zuvor sind hoch. Gerade die Frauen haben oft sehr viel zu tun mit putzen, kochen, Geschenke besorgen, einpacken etc. Die Weihnachtszeit ist aber mit dem Heiligen Abend nicht zu Ende, sondern dauert länger. Wenn man das realisiert und lebt, verteilen sich die Erwartungen und der Druck ist weniger groß.

Haben Sie auch bei den Gottesdiensten über Weihnachten Aufgaben in der Liturgie?
Bösch:
Ja, beispielsweise predige ich in der Mette in St. Martin.

Besucher der Kirche St. Martin im Zentrum von Dornbirn haben Wünsche und Sehnsüchte auf einen weißen Stern geschrieben. 350 solcher Sterne wurden gebraucht. <span class="copyright">Hartinger</span>
Besucher der Kirche St. Martin im Zentrum von Dornbirn haben Wünsche und Sehnsüchte auf einen weißen Stern geschrieben. 350 solcher Sterne wurden gebraucht. Hartinger

Wie feiern Sie Weihnachten?
Bösch:
Mit meinem Mann und unseren 19 und 22 Jahre alten Töchtern, die in Wien studieren, über Weihnachten aber bei uns sind. Wir besuchen die Mette und den Festgottesdienst am 25. Dezember. Zudem werden wir Zeit mit Freunden verbringen und gemeinsam feiern.

Eine kirchliche Arbeit mit viel Verantwortung

In der katholischen Kirche hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert: Viele Pfarren haben keinen eigenen Priester mehr, und mittlerweile arbeiten mehrere Laien hauptberuflich in den Pfarren – auch Frauen. Teilweise haben sie dabei Aufgaben mit viel Verantwortung. So wie Nora Bösch (60) aus Lustenau. Als Pastoralleiterin des Seelsorgeraums Dornbirn steht sie weit oben in der Rangfolge der Organisation, wenngleich sie selbst das nicht gerne betont. Denn viel wichtiger sind ihr die Begegnung auf Augenhöhe und das Arbeiten im Team. Dennoch, um beim Formalen zu bleiben: Im Organigramm des Seelsorgeraums ist über Nora Bösch nur der Moderator, der momentan noch Pfarrer Chris­tian Stranz ist. Diese Funktion wird immer von einem Pries­ter ausgeübt. Die Stelle als Pastoralleiterin ist indes die höchste Position, die eine Frau in der katholischen Kirche im pastoralen Bereich innehaben kann. Die Aufgaben sind unter anderem die Koordination der pfarrübergreifenden Projekte und der hauptamtlichen Mitarbeitenden. Der Seelsorgeraum Dornbirn umfasst die Pfarren St. Martin (Markt), Hatlerdorf, Oberdorf, Haselstauden, Rohrbach, Schoren und Ebnit.

Nora Bösch im Pfarramt St. Martin.<span class="copyright"> Hartinger</span>
Nora Bösch im Pfarramt St. Martin. Hartinger

Abgesehen vom Ebnit haben alle diese Pfarren einen eigenen Gemeindeleiter oder eine Gemeindeleiterin. In der Pfarre St. Martin ist das Nora Bösch. Wie alle Gemeindeleiter hat sie die pastoralen und organisatorischen Agenden im Blick, sie koordiniert die ehrenamtlich Mitarbeitenden, hat die Büroleitung inne und ist im Pfarrkirchenrat vertreten, in dem die finanziellen Belange der Pfarre behandelt werden.

Liturgische Aufgaben

„Wir sind aber auch in der Liturgie tätig“, zählt Nora Bösch einen weiteren Tätigkeitsbereich auf. Das bedeutet: Sie kann predigen, Wortgottesfeiern – zum Beispiel bei Beerdigungen – und Segnungsgottesdienste halten. Sakramente spenden darf sie hingegen nicht; das bleibt Pries­tern und teilweise Diakonen vorbehalten. Dennoch: „Bischof Benno hat viel Vertrauen in die Laien-Mitarbeiter und gibt ihnen gute Möglichkeiten, sich in der Liturgie einzubringen. Im Vergleich zu anderen Diözesen dürfen wir viel tun“, sagt die Lustenauerin. Mit Laien-Mitarbeitern sind nicht nur Gemeindeleiter gemeint, sondern auch Pastoralassistenten und -assistentinnen.

Bei ihrer Arbeit als Gemeindeleiterin ist Nora Bösch das Team ebenfalls sehr wichtig: „Wir reden immer davon, dass die Hierarchien in der Kirche flach gehalten werden sollen. Deshalb arbeiten wir auch in der Pfarre auf Augenhöhe und treffen die Entscheidungen gemeinschaftlich.“ Seit 13 Jahren ist die zweifache Mutter in der Pfarre St. Martin tätig, sie ist promovierte Theologin und Romanistin. Um Pastoralassis­tent oder -assistentin und in Folge Gemeinde- oder Pastoralleiter zu werden, ist jedoch kein Studium notwendig. Es gibt eine zweijährige, berufsbegleitende Ausbildung zum Pas­toralassistenten in St. Pölten.