Lokal

“Offline Dorf”: Die Pressereise, die wohl keine war

30.09.2023 • 23:00 Uhr
Achtsam Wandern war eines der Aktivitäten. <span class="copyright">BUERO LUDWINA</span>
Achtsam Wandern war eines der Aktivitäten. BUERO LUDWINA

Ein Luxusurlaub ohne Handy. Meixner will mit dem „Offline Dorf“ den bewussten Umgang mit Smartphones fördern. Nach der Teilnahme habe ich mehr offene Fragen als davor.

Es ist Mitte September. Ich bin im Wald in Gargellen und blicke mich um. Um mich herum stehen etwa 25 Personen im Kreis. Doch es sind keine gewöhnlichen Wanderer. Sie lauschen einem „wissenschaftlichen Impuls“. Bei diesen immer wiederkehrenden kurzen Vorträgen sind mehrmals die Worte „Achtsamkeit“, „Handyabhängigkeit“, „Gargellen“ und „wissenschaftlich“ zu hören. Eines haben die Zuhörer gemeinsam: Keiner hat ein Smartphone im Rucksack und die meisten arbeiten bei renommierten Medien aus dem deutschsprachigen Raum, wie etwa der „Frankfurter Allgemeine“, der „Vogue“, oder bei FM4. Eine ist eine Autorin eines Ratgebers zur digitalen Balance. Alle sind extra für das Programm „Offline Dorf“ angereist.

Die Handys wurden weggesperrt, damit auch niemand in Versuchung gerät. <span class="copyright">BUERO LUDWINA</span>
Die Handys wurden weggesperrt, damit auch niemand in Versuchung gerät. BUERO LUDWINA

Auch ich habe mein Arbeitshandy und mein privates Gerät bei der Ankunft abgegeben. Bis zu meiner Abreise werden diese in einem kleinen Käfig eingesperrt hinter der Rezeption des Hotels warten – gemeinsam mit den anderen Handys. Denn wir sind Teilnehmende einer Machbarkeitsstudie. Oder doch Journalisten, die darüber berichten sollen? Darüber herrscht keine Klarheit, werde ich noch herausfinden. Doch das soll nicht das einzige sein, das an diesen Tagen verschwimmt und später nachwirkt. Schwer fassbar wird ebenfalls die Rolle von Linda Meixner. Sie ist dort als Forscherin, aber auch als Unternehmerin, Influencerin und frühere Gargellnerin. So viele Interessen, wie sie Rollen innehat, scheinen dort vertreten zu sein.

Luxus ersetzt Handy

Die Studie soll im Rahmen der Dissertation von Meixner unter anderem an diesen fünf Tagen untersuchen, ob der Tourismus die geeignete Plattform für einen bedachteren Umgang mit Smart Devices, also Smartphones, Tablets und ähnlichen Geräte, darstellt.

Offline Dorf 2023
Offline Dorf 2023

Als ich mich unter den Anwesenden umblicke, scheinen die anderen begeistert zu sein, Meixner weint sogar vor Rührung über das Projekt. Ich selbst fühle mich hier immer mehr fehl am Platz und frage mich: Sind wir derart privilegiert und haben so wenig Kontrolle über unser Nutzungsverhalten, dass wir unsere Feindbeziehung zum Handy mit einem Luxusurlaub therapieren müssen? Schließlich ist das „Offline Dorf“ mit 2490 Euro Teilnahmekosten und 650 Euro Kosten für Verpflegung und Hotel kein Schnäppchen. Diese Art der Therapie können sich wohl viele nicht einmal leisten. Eigentlich wäre das Abschalten des Handys, das Wandern oder Eisbaden gratis möglich und keine absolute Neuerfindung. Eine meiner Freundinnen ist schon vor mehreren Jahren ausschließlich mit Tastenhandy im Gepäck den Jakobsweg gegangen.

Ich bin Teil einer Scheinwelt, habe ich das Gefühl. Der Name „Offline Dorf“ ist Programm. Denn ein Großteil des Dorfes Gargellen hilft für das Event zusammen. Sie zaubern eindrucksvolle Menüs oder bringen einen Tisch auf den Berg hinauf. Zwei Hotels haben extra eine Woche länger geöffnet. Sie geben ihr Bestes dafür, Gargellen von der besten Seite zu zeigen. Und Gargellen hat einiges zu bieten. Es werden uns unter anderem ein Kuchenbuffet inmitten im Wald oder ein üppiges Brunchbuffet nach dem Morgenyoga bei beeindruckender Kulisse am Berg erwarten. Doch das ist nicht alles: Ein Mehrgängemenü vom Sternekoch auf einer Wiese an einem riesigen Tisch, der an eine Hochzeitstafel erinnert, wird nur eines von weiteren kulinarischen Highlights sein.

Erst ging es über den Bach und später in den Bach. <span class="copyright">BUERO LUDWINA</span>
Erst ging es über den Bach und später in den Bach. BUERO LUDWINA

Als ich eine Gargellnerin frage, warum sie derart viel Einsatz zeigen, ist die Antwort: „Wir erhoffen uns, dass die Sommersaison in Zukunft länger geht.“ Als ich Meixner während eines Vortrags eines Försters zu Lawinenschutz frage, ob die gewählten Programmpunkte Gargellen bewerben sollen, verneint sie es. Die Auswahl der Tätigkeiten wie das Wandern, gemeinsames Pilze- und Kräutersammeln, das Holzhacken im Team und das Eisbaden begründet Meixner damit, dass die Parameter Entspannung, Bewegung, sozialer Austausch und Kreativität am besten gegen Handyabhängigkeit wirken würden. Sie plädiert immer wieder mit der Wissenschaftlichkeit des Projekts. Der Begriff scheint irgendwie inflationär benutzt zu werden.

Brunch am Berg. <span class="copyright">BUERO LUDWINA</span>
Brunch am Berg. BUERO LUDWINA

Wissenschaftlich begleitet

Die wissenschaftliche Begleitung besteht etwa aus Vorträgen zum Umgang mit dem Smartphone und dessen Auswirkungen. Vor und nach dem Aufenthalt finden Calls statt. Ebenso bedeutet das in diesem Fall, dass die Daten der Teilnehmer für die Studie herangezogen werden. Ein Arzt wird einem nicht zur Seite gestellt, falls es einem schlecht gehen würde. Denn es ist ein Event für Gesunde, keines für Süchtige. Die müssten schließlich eine Klinik aufsuchen. Menschen auf Entzug in Schweißausbrüchen wird man hier nicht finden. Trotzdem nutzt Meixner Begriffe wie „Abhängigkeit“.

Die festliche Tafel. <span class="copyright">BUERO LUDWINA</span>
Die festliche Tafel. BUERO LUDWINA

Ich nehme aus Zeitgründen nur an zwei Tagen teil. Am Tag meiner Anreise bin ich noch voll positiver Energie und Vorfreude, denn ich verbringe selbst für meinen Geschmack manchmal zu viel Zeit am Handy. Doch das Blatt wendet sich schleichend. Denn so sehr mir auch Yoga, Eisbad und Ähnliches Spaß machen, kann ich es nicht ganz genießen. Eigentlich hätte Meixner mit ihrem Programm genau meinen Geschmack getroffen, schließlich praktiziere ich auch privat Yoga in der Natur, habe eine Leidenschaft für gutes Essen und habe mich auch bereits für eine Phase fürs Immunsystem kalt geduscht.

Die selbst gesammelten Zutaten im Menü. <span class="copyright">BUERO LUDWINA</span>
Die selbst gesammelten Zutaten im Menü. BUERO LUDWINA

Offline überstimuliert

Ich habe immer mehr den Eindruck, dass ich mich in einer künstlichen Situation befinde. Ich falle am Abend müde und überstimuliert ins Bett und am Morgen läutet schon wieder für den nächsten Programmpunkt der Wecker. Teilnehmerin Katrin Riedmayr stellt am zweiten Tag fest: „Das, was wir hier gemacht haben, erleben andere in einem Monat.“ Klar stimmt der Satz auf den T-Shirts des Veranstalter-Teams „life is what happens when you are offline“. Doch ich komme dadurch gar nicht dazu, mein Handy zu vermissen. Beim Yoga bleibt es gewöhnlich ausgeschaltet in der Sportasche.

Die Sehnsucht nach Instagram und Whatsapp begleitet mich hingegen meist dann, wenn ich zu Hause auf der Couch liege. Doch diese Momente gibt es hier nicht. Haben wir nicht das Handy abgegeben, um den Kopf freizubekommen? Stattdessen bin ich erschöpft, mein Kopf ist voll mit neuen Eindrücken. Meixner begründete den straffen Programmplan damit, dass die ersten zwei Tagen am schwersten ohne Handy seien. Doch auch nach meiner Abreise wurde es nicht merklich ruhiger, erfahre ich später bei Telefonaten mit Teilnehmerinnen.

Das T-Shirt des Teams. <span class="copyright">BUERO LUDWINA</span>
Das T-Shirt des Teams. BUERO LUDWINA

Zudem sind wir zwar selbst offline, werden aber durchgehend von zwei Profis begleitet, die uns fotografieren und filmen. So schwelge ich in der Sicherheit, dass jemand anderer meine Erlebnisse festhält. Und zwar jemand, der das besser kann, als ich und sonst auf der Fashion Week Models vor der Linse hat. Als ich einmal ein Erinnerungsfoto von mir beim Baden im Gebirgsfluss Suggadin möchte, frage ich eine Influencerin mit Kamera, ob sie mich fotogra­fiert. Ich frage sie außerdem, ob es kein Widerspruch ist, dass sie sich online fürs Offline sein stark macht. „Wahrscheinlich ist es ein totaler Widerspruch. Aber man erwischt die Leute dort, wo es ihnen weh tut“, erklärte mir Marion Payr. Sie erhofft sich, dass die Follower sich bewusst werden, dass sie in dem Moment Instagram-Storys anschauen.

Wenig Pausen

Je länger ich dabei bin, desto lauter werden meine Gedanken, die hinterfragen, warum wir uns im Urlaub ständig selbst verbessern müssen und wie realitätsnah die Situation ist. Wir können schließlich im Alltag nicht ununterbrochen unsere Probleme wegwandern und neue Leute kennenlernen, um nicht am Handy zu sein.

Damit bin ich nicht alleine. „Die Programmpunkte haben mir sehr gut gefallen, weil die das Wohlbefinden stärken. Aber es wäre schön, Reflexionsraum im Programm zu haben, damit man reflektieren und aufschreiben kann, was man daraus mitnehmen kann“, blickt Anna Kogler, die privat daran teilnahm, auf das „Offline Dorf“ zurück.

Verkaufsargument Wissenschaft

Wir spielen ein Urlaubskonzept durch, das eigentlich erst durch diese Studie entwickelt werden soll, aber schon mit Versprechungen beworben wird, als wäre es ein fertiges Programm. Meixner verspricht auf ihrer Website etwa, dass die Bildschirmzeit um die Hälfte verringert und die Schlafqualität verbessert werden soll.

Spiegel mit Sprüchen wurden überall  aufgestellt.<span class="copyright"> BUERO LUDWINA</span>
Spiegel mit Sprüchen wurden überall aufgestellt. BUERO LUDWINA


Meixner scheint den Erfolg ihrer Geschäftsidee mit der Studie wissenschaftlich untermauern zu wollen. Die Sprache, die sie nutzt, lässt sich wohl gut vermarkten. Doch Wissenschaft lässt sich nur schwer mit absoluten Aussagen vereinen. Besonders in den Sozialwissenschaften. Und welche Studie hat eine professionell aufgemachte Website, T-Shirts mit Aufdruck, designte Jausenboxen, Kekse mit Offline-Button aufgemalt und Spiegel mit Sprüchen drauf?


Ich komme während dem Wandern mit den anderen Teilnehmern ins Gespräch. Die meisten sind Journalisten oder Influencer. Nur drei sind laut Meixner privat hier. Sie beteuert, dass alle tatsächlich Teilnehmer der Studie seien. Auch vonseiten des Instituts Isag, wo Meixner ihr Doktorat-Studium absolviert, wird betont, dass es keine Journalistenreise gewesen sei, als ich nach meiner Teilnahme die Stichprobe hinterfrage. Es handle sich um ein Convenience Sampling, also eine willkürliche Stichprobe, erklärt mir die stellvertretende Institutsleiterin der Isag Cornelia Blank. Die Stichprobe sei aber noch nicht ausschlaggebend, da erst die Machbarkeit eines Konzepts erforscht werden soll. „Die Dinge, die wir wissenschaftlich begleitet haben, sind korrekt abgelaufen“, so Blank. Es gehe noch nicht um die Untersuchung von Effekten.

Es gab designte Jausenboxen mit Broten, Keksen und Gemüse drinnen. <span class="copyright">BUERO LUDWINA</span>
Es gab designte Jausenboxen mit Broten, Keksen und Gemüse drinnen. BUERO LUDWINA


Irgendwie wird einiges von den Beteiligten vermischt. Wurden mir nicht Effekte im Vorhinein versprochen? Auch erzählt mir Meixner von Effekten, als wir beim Mittagessen über die Forschungsfragen sprechen. Eindeutig ist jedenfalls, dass die Anwesenden sich Notizen für ihre Berichterstattung machen, Aufnahmegeräte dabeihaben und Interviews führen – wie üblich bei einem Pressetermin. Eine Frage schwirrt später noch lange in meinem Kopf herum: Habe ich an einer Studie teilgenommen oder ein gekonnt vermarktetes Produkt konsumiert?

Die Berichterstattung erfolgt im Rahmen der Teilnahme am „Offline Dorf“ auf Einladung von Linda Meixner. Die Kosten übernahm der Veranstalter.