Lokal

Wie weit ist es zu den Sternen?

20.01.2024 • 10:00 Uhr
Es gibt schwach leuchtende Sterne in unserer Nähe, die gleich hell erscheinen, wie leuchtkräftige Sterne in großer Entfernung. <span class="copyright">APA/Reinhardt</span>
Es gibt schwach leuchtende Sterne in unserer Nähe, die gleich hell erscheinen, wie leuchtkräftige Sterne in großer Entfernung. APA/Reinhardt

Sehr weit, könnte man lapidar sagen. Und je schwächer die Sterne leuchten, umso weiter sind sie entfernt. Das wäre logisch, stimmt aber nicht ganz.

Die Betrachtung des Sternenhimmels regt zum Nachdenken an. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant hielt in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ fest: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir …“ Kant lebte von 1724 bis 1804. Diese Gefühle können auch uns mitreißen, wenn wir eine wirklich dunkle Nacht voller Sterne erleben.

Ein Gegenstand des Staunens ist das Überlegen, wie weit die Himmelslichter von uns entfernt sind. Seit der Spätantike bis ins Mittelalter galt die Vorstellung, dass der Kosmos sphärenförmig, aus mehreren Kugelschalen aufgebaut ist. Im Zentrum die Erde, dann der Mond, die Sonne und weiter außen die Planeten. Schon Platon erklärte, dass ganz außen die Fixsternsphäre liegt. Wir können uns diese äußere Himmelssphäre als Kugelschale vorstellen, an der die Sterne angeheftet sind. Dieses Bild hat zur Folge, dass alle Sterne gleich weit von uns entfernt sind.

Uranus

Wilhelm Herschel (1738–1822) ist als Entdecker des Planeten Uranus bekannt. Er unternahm vielerlei astronomische Beob­achtungen. So zählte er auch die Sterne am Himmel. Dazu nahm er sich gleich große Himmelsfelder vor und notierte die jeweilige Sternenzahl. Unter der Annahme, dass alle Sterne gleich hell sind, war klar, dass die Gesamtheit der Sterne eine längliche Struktur bildet. Heute können wir ein detaillierteres Bild zeichnen. Die Sonne ist einer von 200 Milliarden Sternen, die in einer ausgedehnten, aber flachen Spirale angeordnet sind.

Die Entfernung der Sterne

Jetzt können wir erneut fragen, wie weit die einzelnen Sterne weg sind. Ihre Entfernungen unterscheiden sich stark. Seit die Astrophysik in der Lage ist, ihre Spektrallinien zu untersuchen und zu deuten, kennt man ihre chemische Zusammensetzung, Oberflächentemperatur, Masse und andere Parameter. Die Sonne ist ein ziemlich leuchtschwacher Stern. Viele überstrahlen die Sonne um das Tausendfache. Zwei Beispiele: Aldebaran, der hellste Stern im Stier, der jetzt fast die ganze Nacht zu sehen ist, hat 150 Sonnenleuchtkräfte. Der linke Schulterstern des Orion, derzeit auch leicht zu finden, ist 55.000 Mal leuchtkräftiger als die Sonne.

Es gibt schwach leuchtende Sterne in unserer Nähe, die gleich hell erscheinen wie leuchtkräftige Sterne in großer Entfernung. Ein irdischer Vergleich verdeutlicht das. Eine Kerze aus einem Meter Abstand betrachtet kann gleich hell erscheinen wie ein Flutlicht, das viele Kilometer entfernt ist. Scheinbare Helligkeiten der Sterne reichen von den hellsten Exemplaren 1. Klasse bis zu den gerade noch ohne Fernglas sichtbaren Sternen 6. Klasse. Zirka 3000 können wir bei absoluter Dunkelheit sehen.

Die Gaia-Mission

Zurück zur ursprünglichen Frage: Wie weit ist es zu den Sternen? Das gehört zu den schwierigsten Fragen der klassischen Astronomie. Die beste Methode ist es, einen Stern von zwei Positionen aus zu beobachten. Das gelingt, weil die Erde innerhalb von sechs Monaten 300 Millionen Kilometer wandert. Jeder Stern hat daher nach einem halben Jahr die Position am Himmel um einen winzigen Winkel geändert. Daraus lässt sich die Sternentfernung bestimmen. Die Gaia-Mission, ein Weltraumteleskop, hat ­zwischen 2013 und 2020 mit dieser Methode die Entfernung von 1,8 Milliarden Sternen gemessen.

Lassen wir mit Immanuel Kant unser Gemüt in Staunen versetzen, wenn wir hören, dass Aldebaran „nur“ 67 Lichtjahre, Beteigeuze aber 550 Lichtjahre entfernt ist und beides schöne, helle Sterne am Winterhimmel sind.

von Robert Seeberger