„Ein Spitalsarzt meinte, wir sind alle baff“

Rückmeldungen nach NEUE-Beitrag lassen darauf schließen, dass Zweiklassenmedizin auch in öffentlichen Krankenhäusern praktiziert wird. Leitung der Vorarlberger Krankenhausbetriebsgesellschaft behauptete das Gegenteil.
Herr Bereuter, Ihr Beitrag zur Zweiklassenmedizin in der NEUE vor zwei Wochen hat offenbar einen Nerv in der Gesellschaft getroffen. Haben Sie denn auch persönlich Rückmeldungen bekommen?
Kurt Bereuter: Ja, es gab einige Rückmeldungen per Telefon, per Mail und auch über Social Media, in dem diese Zweiklassenmedizin bestätigt wird. Auch ein fast identer Fall wurde mir nach Erscheinen des Artikels geschildert. Auch zwei Ärzte haben sich gemeldet. Ein Mediziner aus einem Vorarlberger Krankenhaus meinte, dass die Behauptung „eines Einzelfalles“ kaum zu ertragen sei. Er sagte wörtlich: „Wir sind alle baff. Direktor Fleisch muss doch wissen, dass genau das Gegenteil der Fall ist.“ Der andere Arzt vertritt die Meinung, dass diese bevorzugte Behandlung nicht korrekt und untersagt sei.
Die Vorgeschichte
Vor zwei Wochen erschien in der NEUE am Sonntag ein Gastbeitrag von Kurt Bereuter, in dem er von einer „Zweiklassenmedizin“ im Landeskrankenhaus Feldkirch berichtete. Sein Sohn wurde nach einer Aufzahlung von knapp 5000 Euro schneller und vom Primar persönlich operiert. Verrechnet wurde diese „Bevorzugung“ über das Landeskrankenhaus. Demgegenüber behauptete die Krankenhausbetriebsgesellschaft, dass es im öffentlichen Krankenhaus diese Zweiklassenmedizin nicht gebe und dass es sich hier um einen Einzelfall handle, der nicht gedeckt wäre.
Hat Sie die Reaktion überrascht?
Bereuter: Ja und Nein, einerseits war eine Reaktion schon zu erwarten, aber in dieser Masse eher nicht. Dazu passend gibt es eine neue Umfrage mit Fokus auf jüngere Menschen, die genau in diese Richtung geht. Acht von zehn Befragten in Österreich sind der Meinung, dass Menschen, die es sich leisten können, schneller behandelt werden. Nur jeder Vierte in Österreich glaubt, dass das österreichische Gesundheitssystem fair ist und alle die gleiche Qualität in der Behandlung erhalten. Vorarlberg ist hier sogar Schlusslicht, nur 16 Prozent glauben hier an gleiche Qualität in der Behandlung für alle.
Wurden Sie oder Ihr Sohn von der Krankenhausbetriebsgesellschaft (KHBG) kontaktiert?
Bereuter: Nein, bis heute nicht. Der Fall wurde ja auch nicht rückabgewickelt, obwohl er als Einzelfall tituliert wurde, der so nicht gedeckt sei. Aber der Patient, mein Sohn, hat bei der Beschwerdestelle um eine Bekanntgabe der rechtlichen Grundlage für diese Verrechnung über das Landeskrankenhaus Feldkirch angefragt. Für die Beantwortung der Frage benötigen sie allerdings „etwas Zeit“, was auch seltsam erscheint, wenn die rechtlichen Grundlagen nicht klar auf der Hand – oder in der Schublade – liegen.

Gab es eine Reaktion von politischer Seite?
Bereuter: Nein, bis heute auch nicht, obwohl ich die zuständige Landesrätin Martina Rüscher ja persönlich recht gut kenne. Andererseits hatte ich sie auch im Vorfeld nicht kontaktiert, da ich nicht einfach diesen Einzelfall rückabwickeln lassen wollte, sondern mich schon interessierte, ob da System dahintersteckt.
Und steckt ein System dahinter?
Bereuter: Die KHBG wollte diesen Beitrag mit den zitierten Aussagen ja zurückziehen, wollte aber auch nicht auf konkrete Einzelheiten des Beitrages eingehen, was falsch sein sollte, und so habe ich mich eben entschieden, diesen Beitrag, für den ich übrigens keine Autorisierung vereinbarte, doch zu bringen. Aber von der Patientenservicestelle wurde mir erklärt, dass es für die Primarärzte OP-Slots, also freie Zeiträume, gibt, die sie für ihre Operationen nützen können und nützen dürfen, was ja wiederum das System bestätigt, denn sie finden ja im öffentlichen Krankenhaus mit dessen Infrastruktur und Personal statt. Aber ich bekam auch die Erklärung, dass es nur gerecht sei, wenn Menschen, die über Jahre eine private Versicherung bezahlt haben, im Ernstfall auch über diese Mittel einen Vorteil hätten. Zumal über die privat versicherten Patienten auch finanzielle Mittel in die Krankenhäuser kommen würden, was wieder allen zugutekomme.
Können Sie das nachvollziehen?
Bereuter: Ich kann das Argument verstehen, dass jemand, der sich mit privaten finanziellen Mitteln einbringt, bestimmte Leistungen erhält, die andere nicht oder später erhalten. Das ist beim Wahlarzt auch so. Aber es ist eine politische Entscheidung, ob das auch im öffentlichen Spitalswesen so sein soll – oder eben nicht. Und wenn man das Credo hat, dass es außerhalb der Unterbringung keine Zweiklassenmedizin im öffentlichen Krankenhaus gibt, weil ja jeder Mensch, unabhängig von seinen finanziellen Möglichkeiten, das Recht auf die gleiche Behandlung hat, dann sollte es halt auch so praktiziert werden. Sonst ist es wie Wasser predigen und Wein trinken. Aber es bleibt eine politische Entscheidung, die nicht das Krankenhaus und nicht der Arzt oder die Ärztin trifft. Die können nur entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht. Das ist bei den Wahl- und Vertragsärzten auch nicht anders, jeder kann selbst entscheiden. Im öffentlichen Krankenhaus entscheidet sich die Politik: Gleiche Leistung für alle, oder wer mehr hat, kann auch mehr bekommen.

Ich nehme an, Sie sind nicht privatversichert. Was erwarten Sie sich, wenn Sie selbst in ein öffentliches Krankenhaus müssen?
Bereuter: Ich hoffe, ich muss noch lange nicht hin, aber wenn, dann bin ich als optimistischer Mensch, der an das Gute glaubt, doch der festen Meinung, dass man sich auch gut um mich kümmern wird und das ärztliche Personal mich dann nach bestem Wissen und Gewissen freundlich und korrekt behandeln würde. So, wie es wohl im Akutfall auch praktiziert wird, wenn unter Zeitdruck rasch professionelles Agieren gefragt ist. Auch der behandelnde Arzt meines Sohnes war stets professionell, medizinisch korrekt und sehr freundlich. Also noch einmal, man kann sagen, wir stehen zu einer Zweiklassenmedizin auch im öffentlichen Krankenhaus, wenn das gesetzlich überhaupt möglich ist, dann kann man dieses auch praktizieren. Aber zu behaupten, dass es diese Zweiklassenmedizin nicht gibt und sie trotzdem zu praktizieren, geht gar nicht. Das aufzuzeigen, war mein Anliegen als Journalist in diesem Beitrag. Nicht mehr und nicht weniger.
Wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihrem Sohn und allen anderen Patienten alles Gute.