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25 Jahre ist´s her: Der Mann, der Deutschland klagte

12.04.2025 • 16:45 Uhr
25 Jahre ist´s her: Der Mann, der Deutschland  klagte
Kanzlei-Besuch in Dornbirn. Hartinger

Im Rahmen der NEUE-Serie „Drei Fälle mit…“ schildert der Dornbirner Rechtsanwalt Karl Schelling unter anderem, warum er im Jahr 2000 die Bundesrepublik Deutschland und Belgien klagte.

Wenn Karl Schelling über seine beruflichen Meilensteine spricht, wirkt das zunächst wenig spektakulär. Keine schillernden Strafprozesse, keine Fälle, die nach großem Kino klingen. Stattdessen geht es um komplexe Rechtsmaterien, Widmungsfragen und EU-Recht – scheinbar trockenes Terrain. Doch genau dort, wo es juristisch spröde wirkt, geht es oft um grundlegende Fragen: Gleichbehandlung, Rechtsstaatlichkeit, Eigentum. Wenn in diese Prinzipien eingegriffen wird, kommt der Dornbirner Anwalt auf Betriebstemperatur. „Es geht mir gegen den Strich, wenn gewisse Menschen anders behandelt werden als andere – aus welchen Gründen auch immer“, sagt er. Viele seiner Verfahren sind über Jahre hart erkämpft, mitunter gegen massiven Widerstand von Politik und Behörden. Einige davon erregten überregionale Aufmerksamkeit – und führten sogar zu Gesetzesänderungen.

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Rechtsanwalt Karl Schelling (63) in seiner Kanzlei in Dornbirn. hartinger

Schellings Kanzlei im Herzen von Dornbirn ist kein hochglanzpolierter Ort der Inszenierung, eher eine Werkstatt des Rechts. Der Boden zeigt Gebrauchsspuren, die Einrichtung schlicht und funktional, zwischen Aktenstapeln, Gesetzbüchern und Kommentaren herrscht eine eigene Ordnung. Auch Schelling selbst passt in dieses Bild: Ein bodenständiger und sympathischer Typ, freundlich, ohne Maßanzug und große Gesten. Wer ihm gegenübersitzt, merkt schnell: Hier will einer nicht beeindrucken, sondern etwas erreichen.

Strafrecht ist nicht sein Ding

Menschen, die strafrechtlich verfolgt werden, wird man in Schellings Kanzlei vergeblich suchen. Das Strafrecht, sagt er, sei nie sein Terrain gewesen – auch wenn ihm manche zu Beginn seiner Laufbahn ein Talent dafür nachsagten. „Ich kann einen mutmaßlichen Mörder nicht bedingungslos vertreten und möchte auch nichts mit solchen Leuten zu tun haben“, sagt der 63-jährige Jurist. Stattdessen setzte er sich früh mit allen Facetten des Liegenschaftsrechts auseinander. Einer seiner früheren Chefs war Vorstandsmitglied der Vorarlberger Eigentümervereinigung und reichte ihm regelmäßig Fälle weiter. Schelling arbeitete sich ein – zunächst aus Pflicht, dann aus Interesse. Heute drehen sich rund zwei Drittel aller Fälle in seiner Kanzlei um Liegenschafts- und Immobilienrecht. Schelling hat in diesem Bereich zahlreiche Großbauvorhaben und Erweiterungsprojekte rechtlich begleitet – darunter den Messepark, das Panoramahaus und die Revitalisierung der Rhomberg-Fabrik.

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Schelling engagierte sich auch politisch und wurde in den 1990er-Jahren als logischer Nachfolger des damaligen Bürgermeisters Rudi Sohm gehandelt.Hartinger

Der Bruch mit der ÖVP

Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit war Schelling politisch aktiv. 15 Jahre lang saß er für die ÖVP in der Dornbirner Stadtvertretung, dreieinhalb Jahre war er Stadtrat und galt als logischer Nachfolger des damaligen Bürgermeisters Rudi Sohm. Doch dazu kam es nicht. „Das Amt war zeitlich nicht mehr mit meinem Beruf vereinbar“, erinnert er sich an seinen Rückzug als Stadtrat. Mitte der 2000er-Jahre kam es zum Bruch mit der Partei. Schelling trat aus der ÖVP und dem Wirtschaftsbund aus. Details möchte er öffentlich nicht besprechen, zumal er keine Rechnungen mehr offen habe. Etwas lässt er sich dann doch entlocken. Es sei die Vorgehensweise des damaligen Landeshauptmanns Herbert Sausgruber gewesen, die ihn zum Austritt bewogen habe.

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Schelling im Gespräch mit der NEUE am Sonntag. Hartinger

Fall 1: Die EU-Sanktionen

Der erste Fall, den Schelling schildert, wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Dass Österreich im Jahr 2000 aufgrund der Regierungsbeteiligung der von Jörg Haider geführten FPÖ von den damaligen 14 EU-Partnern mit diplomatischen Sanktionen belegt wurde, ist heute – angesichts des europaweiten Rechtsrucks – kaum noch vorstellbar. Während die Regierung stillhielt, klagte Schelling – zunächst gegen Belgien. Dessen Premier Louis Michel hatte zum Boykott österreichischer Tourismusziele aufgerufen. „Das war eine Sauerei“, erinnert sich der Anwalt. Er forderte Schadenersatz – unter anderem für den Besuch eines Seminars, das sich mit dem Umgang von Unternehmen mit den Sanktionen befasste. Die Klage am Landesgericht Feldkirch wurde jedoch wegen Staatenimmunität abgewiesen. Der nächste Schritt: Gemeinsam mit einem oberösterreichischen Hotelier, dem durch den Boykott Gäste wegblieben, brachte Schelling am Landgericht Berlin eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. „Die Maßnahmen waren keine offiziellen EU-Sanktionen, sondern koordinierte Einzelaktionen“, erklärt er. Deshalb sei er davon ausgegangen, dass die Sache klagbar ist. Zudem hoffte er, dass das Landgericht Berlin den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegt.

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Diese rechtswissenschaftliche Abhandlung legte Schelling im Verfahren gegen Deutschland als Beiweismittl vor. Hartinger

Schelling zieht ein sehr abgegriffenes Buch aus dem Regal. Eine juristische Abhandlung der Universität Heidelberg, die die Rechtswidrigkeit der EU-Sanktionen darlegt. Schelling hatte die Schrift in der zweiten Instanz als Beweismittel eingebracht. „Das war damals ganz neu – und kam so zurück“, sagt er stolz. Für ihn ein Zeichen, dass sich die Richter eingehend mit dem Fall auseinandergesetzt haben. Nach rund einem Jahr wurde die Klage abgewiesen – wegen eines Formfehlers. In Deutschland müssen alle Argumente gleich zu Beginn vorgebracht werden; Nachreichungen sind nicht möglich. Schelling zieht trotzdem eine positive Bilanz: „Es war unglaublich spannend, ich habe viel gelernt – und ich würde es jederzeit wieder tun.“ Was ihn bis heute stört: Dass die österreichische Regierung geschädigten Unternehmern damals nicht zur Seite stand und auch sonst niemand aufbegehrte. „In den USA wären in so einem Fall eine ganze Meute von Anwälten Sturm gelaufen.“

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Schelllings Fall um das Lochauer Sichtfenster ging österreichweit durch die Medien. Hartinger

Fall 2: Das Lochauer Sichtfenster

Anfang der 2000er-Jahre widmete die Gemeinde Lochau ein mehr als 6000 Quadratmeter großes Baugrundstück in Freifläche zurück, um langfristig freie Sicht vom Dorfzentrum zum Bodensee zu sichern. Für die betroffenen Eigentümer bedeutete das: Ihre Grundstücke im Wert von damals 2,5 Millionen Euro sollten entwertet werden – und zwar ohne Entschädigung. Die Grundbesitzer klagten, Karl Schelling übernahm die Vertretung. Die Gemeinde habe gezielt auf Zeit gespielt, erinnert sich der Anwalt. „Man hat gehofft, dass die Leute aufgeben oder das Geld ausgeht.“ Die Auseinandersetzung zog sich über 15 Jahre – für seine Mandanten, so Schelling, eine enorme Belastung: emotional, finanziell und familiär. Doch die Eigentümer hielten durch – auch, weil sie wussten, dass Schelling nicht auf maximale Rechnung aus ist. „Ich bin keiner, der die Leute melkt. Ich schaue, dass man das effizient und kostenbewusst durchzieht.“ Am Ende bekamen die Eigentümer recht. Eine Rückwidmung ohne Entschädigung sei unzulässig, urteilte das Höchstgericht und sprach den Eigentümern 1,8 Millionen Euro zu. Um nicht zahlen zu müssen, widmete die Gemeinde das Grundstück wieder in Bauland zurück. Zahlen musste die Kommune schließlich dann aber doch noch – und zwar die ebenfalls eingeklagten Zinsen in Höhe von 400.000 Euro. „Das hat mich damals besonders gefreut“, erinnert sich Schelling lachend. Der Fall machte österreichweit Schlagzeilen und blieb nicht ohne Folgen. In Vorarlberg wurden die Entschädigungsbestimmungen im Raumplanungsgesetz überarbeitet – Rückwidmungen ohne finanzielle Abgeltung sind seither nicht mehr zulässig. Auch Tirol passte seine Regelungen entsprechend an.

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Blick in das Besprechungszimmer von Anwalt Karl Schelling. Hartinger

Fall 3: Die Ferienwohnungen

Geht es um Ungleichbehandlung, wird Karl Schelling zum Überzeugungstäter. Der langjährige Streit um Ferienwohnungswidmungen in Lech wurde für ihn zu einer Frage des Prinzips. 17 Jahre lang vertrat er zahlreiche Mandanten, die in der prominenten Tourismusgemeinde beantragt hatten, ihre Immobilien als Ferienwohnungen widmen zu lassen. Darunter der frühere EU-Parlamentarier Hans-Peter Martin, aber auch Betreiber kleiner Pensionen und Hotels. Viele von ihnen wollten altersbedingt aufhören, hatten keinen Nachfolger – und hofften, ihr Eigentum so besser verwerten zu können. Die Gemeinde lehnte alle Anträge ab. Gleichzeitig stieß Schelling bei Recherchen auf mindestens 16 Fälle, in denen vergleichbare Genehmigungen bereits erteilt worden waren – teils formlos, teils ohne nachvollziehbare Begründung. „Wenn andere eine Widmung bekommen, muss das auch für meine Mandanten gelten“, sagt Schelling. Im ersten Rechtsgang wurde vom VwGH anerkannt, dass ein Anspruch auf Gleichbehandlung besteht, wenn vergleichbare Ausnahmegenehmigungen gewährt wurden. Doch das Land änderte das Raumplanungsgesetz, ehe der Sachverhalt geklärt war. Die Sonderwidmung „Ferienwohnung aus besonderem Grund“ wurde gestrichen – und mit ihr die rechtliche Grundlage für die laufenden Verfahren. Die Höchstgerichte entschieden schließlich gegen Schellings Mandanten. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erfolgte nicht. “Man wollte offenbar kein Risiko eingehen”, vermutet Schelling.


Drei Fälle, drei lange Kämpfe durch das Recht – geprägt von Ausdauer, Haltung und Beharrlichkeit. Vor sechzehn Jahren begann für Schelling ein anderes Kapitel: Er wurde Vater eines Sohnes, auf den er sehr stolz ist. „Ich habe so schöne Erlebnisse mit ihm – ich wüsste nicht, was wäre, wenn ich ihn nicht hätte.“ Seinen Beruf will er noch länger nicht aufgeben. Bis 70 möchte er gerne weitermachen, sofern er gesund bleibt. Das ist ihm zu wünschen.