Die ÖVP muss sich etwas überlegen

Entweder die ÖVP sult sich weiterhin in ihrer Opferrolle oder sie zieht sich das Büßergewand an.
Es gibt Skandale, die jeder Partei passieren können. Die Veröffentlichung unfreundlicher interner Äußerungen über politische Mitbewerber gehört da sicherlich dazu. Dann gibt es Vorwürfe, namentlich jener des Postenschachers, die vorwiegend gegen jene Parteien erhoben werden, die in der Vergangenheit in Regierungsverantwortung waren. Und schließlich ist da die ÖVP, bei der diese Unannehmlicheiten gemeinsam auftreten. Ich spreche wohl eher keine große analytische Weisheit aus, wenn ich sage: Die Volkspartei wird sich etwas überlegen müssen.
Seitdem regelmäßig gegen neue Funktionäre Ermittlungsverfahren eröffnet werden, man es in einem Jahr auf drei Kanzler gebracht hat und die Öffentlichkeit feststellen durfte, dass die Parteispitzen unter einander auch nicht anders kommunizieren als Edmund Sackbauer mit seiner Familie, ist die ÖVP eher Passagier als Kapitän des politischen Geschehens. Mit dem Start des gegen sie gerichteten parlamentarischen Untersuchungsausschusses werden die Kamalitäten eher noch zunehmen.
Die ÖVP hat in Wahrheit nur noch zwei Optionen: Entweder sie sult sich weiterhin weinerlich in ihrer Opferrolle und lässt zu, dass ein ehemaliger Parteiobmann aus dem Exil Unterlagen verbreitet, mit denen er nicht nur dem Koalitionspartner sondern auch der eigenen Partei schadet, oder sie zieht sich das Büßergewand an, setzt einen klaren Schlussstrich und schickt ihre türkise Vergangenheit nicht nur personell, sondern auch ideologisch in die Wüste. Tatsächlich brauch die ÖVP einen Befreiungsschlag aus dem institutionalisierten Postenschacher noch dringender als die Republik. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem nicht nur im Innenministerium jeder Einzeller befördert wird, solange er der Volkspartei zugerechnet werden kann. Man muss diesen Umstand als das ansprechen was er ist: ein Verbechen. Wer minderqualifizierten Personen aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit in öffentliche Positionen bringt, schädigt die Republik und begeht Amtsmissbrauch. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man das „immer schon so gemacht“ hat. Eine Straftat wird nicht dadurch besser, indem man sie wiederholt begeht.
Aus diesem Sumpf, in dem die ÖVP derzeit am tiefsten steckt, kann sich die Politik allerdings nur selbst herausziehen. Dagegen spricht das eingefleischte Machtverständnis: Politische Bedeutung hat in diesem System nur, wer an sein Umfeld Aufträge, Förderungen und Posten verteilen kann. Dass man den Staat bei jeder sich bietenden Gelegenheit wie eine Weihnachtsgans ausnimmt, bevor es jemand anderer tut, ist leider eine Grundmentalität der österreichischen Nation. Sie wird sich nur brachial oder gar nicht beseitigen lassen. Solange die Minister Einfluss auf die Personalauswahl im Bundesdienst haben, solange sie Ausschreibungen manipulieren und sogenannte Objektivierungskommissionen beeinflussen können, wird sich am System nichts ändern. Solange wird auch die ÖVP ihr zunehmend korruptes Image nicht abschütteln können.