“Propaganda I’m Not Falling For”: Eine Suppe ohne Geschmack

Bei diesem Social Media-Trend springt sogar der Bundeskanzler auf. Doch das ist unseriös. Ein Kommentar.
Die sozialen Medien können unheimlich anstrengend sein. Ständig steigen neue Trends aus dem Nichts empor – während angesagte Jugendliche vor geraumer Zeit noch Bubble Tea schlürften, trinken Trendbewusste mittlerweile Matcha Latte. Das neue iPhone, das gestern noch im Trend war, ist morgen schon „oldschool“. Nachdem man einige Stunden durch den digitalen Feed gescrollt hat, fühlt sich alles an wie eine geschmacklose Suppe.
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Da ist es allzu verständlich, wenn man „raus“ ist. Seit Neuestem stellen sich immer mehr junge Menschen dagegen: Unter „Propaganda I‘m Not Falling for“ halten sie fest, welchen Trends und Lebensrichtungen sie bewusst abschwören – seien es gesellschaftliche Normen, politische Feindbilder oder ein gefeiertes Beauty-Produkt. Daran ist an sich nichts verwerflich – im Gegenteil: Es ist begrüßenswert, wenn junge Menschen Normen und Trends hinterfragen, anstatt ihnen blind zu folgen.
Aber wenn man besagt, man falle auf die ein oder andere Art der „Propaganda“ nicht herein – bedeutet das dann im Umkehrschluss, dass man für jegliche andere Form davon empfänglich ist? Zumal dieser Begriff einen ernsten Hintergrund hat. Propaganda wird derzeit unter anderem vom russischen Regime verbreitet. In Österreich gibt ein aktuelles, dramatisches Beispiel: Nach dem Amoklauf eines 21-jährigen Ex-Schülers am BORG Dreischützengasse in Graz wurde ein Video in den sozialen Netzwerken geteilt, das den Attentäter zeigen soll, wie er „Allahu Akbar“ ruft. Dieses Video stammt allerdings gar nicht vom 11. Juni und wurde auch nicht in Graz aufgenommen, sondern in Wien. Verbreitet wurde es unter anderem vom Portal „ura.ru“, das als kremlfreundlich gilt.
Angesichts dessen ist der Begriff „Propaganda“ in einem Video, in dem man dem „Clean Girl Trend“ und der Musik von Taylor Swift abschwört, vollkommen deplatziert. So verwässert man den Begriff der „Propaganda“ einfach nur und verharmlost die Gefahren von staatlichen Desinformationskampagnen.
Dass der Trend zunehmend politisch wird und sich auch Politikerinnen und Politiker daran beteiligen, macht die Sache nicht besser. Wenn Kanzler Christian Stocker als höchstes Mitglied der Bundesregierung mitteilt, dass er nicht darauf hereinfällt, dass Österreich zu klein ist, um etwas zu bewegen – und im selben Atemzug gegen die These aufbegehrt, dass „Käsekrainer mit Currysauce nicht gut schmecken“ – fehlen einem die Worte.
Darüber hinaus muss man sich fragen: Wenn der Bundeskanzler oder Landtagsabgeordnete eine gewisse „Propaganda“ verteufeln, was darf man dann unter den gegenteiligen Positionen verstehen? Ist das dann keine Propaganda – oder „gute Propaganda“? Das ist ein Widerspruch in sich. Minus und Minus ergibt eben nicht immer gleich Plus.
Staatspolitische Positionen und Currywurst bei Stocker, „Clean Girl-Trend“ und Popmusik bei der Influencerin, vereint unter demWording „Propaganda“ – das wirkt unseriös. Man wirft einfach alles in einen Topf – heraus kommt eine Suppe ohne Geschmack.