Österreich

Rendi-Wagner will Kanzlerin werden

28.03.2022 • 16:54 Uhr
Rendi-Wagner will Kanzlerin werden

Rendi-Wagner bekennt sich zur Neutralität und zum Sozialstaat.

Ein schneller Kaffee, eine Umarmung, und “Emotion und Gänsehaut pur”: So beschriebt SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner die letzten Minuten vor ihre Rede am Sonntag, als erstmals alle noch lebenden SPÖ-Bundeskanzler außer Dienst zusammen kamen: Franz Vranitzky, Viktor Klima (der die letzten zwanzig Jahre kaum in der Öffentlichkeit auftrat), Alfred Gusenbauer, Werner Faymann (der ebenfalls kaum öffentlich auftrat) und Christian Kern. Sie begleiteten Pamela Rendi-Wagner in die Aula der Wissenschaften. “Vielleicht hat es eine Frau gebraucht, um unsere wichtigen Männer zusammenzubringen”, witzelte Rendi-Wagner, die das Zusammentreffen hinter den Kulissen als “schönsten Moment des Tages” beschrieb.

Rendi-Wagner will Kanzlerin werden
APA

Gekommen war das Who-is-Who der österreichischen Sozialdemokratie: Alt-Bundespräsident Heinz Fischer, auch ehemalige Regierungsmitglieder lauschten Rendi-Wagner – darunter Erwin Lanc, der Verkehrsminister unter Bruno Kreisky und Fred Sinowatz war, oder Brigitte Ederer. Und natürlich aktive Parteigrößen wie die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Auch alle Mandatare und Mandatarinnen des Parlamentsklubs, viele Landesräte waren geladen.

Bekenntnis zu Neutralität

Als Zeichen der Solidarität war auch der ukrainischen Botschafter geladen – ein deutliches Signal nach dem Debakel um die vereitelte Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij im Nationalrat. Rendi-Wagner, die auch außenpolitische Sprecherin der Partei ist, erneuerte in ihrer Rede ihr Bekenntnis zur österreichischen Neutralität: “Aber wir haben nie geschwiegen, wir haben immer Stellung bezogen”, sagt sie. Österreich, das keine militärische Macht habe, solle seine Stärke der Dialogfähigkeit ausbauen und Wien wieder zum international geachteten Ort für Friedensverhandlungen machen.

“Neutralität bedeutet nicht, gesinnungsneutral zu sein”, so Rendi-Wagner: “Österreich muss engagiert, aktiv und laut zu geopolitischen Entwicklung Position beziehen – aber keinem Militärbündnis beitreten. Neutralität ist kein Modetrend!”

“Fünf verlorene Jahre”

Ihre eigene Biografie nahm Rendi-Wagner als Beispiel für die essenzielle Rolle eines aktiven Sozialstaates: “Ich hatte die Chance, Medizin zu studieren – unabhängig vom Einkommen meiner Mutter. Der Unterschied, wer regiert, kann eine ganze Generation verändern, und ein ganzes Land nach vorne bringen.”

“Es ist Zeit für die nächste Sozialdemokratische Bundeskanzlerin in Österreich”, ist Rendi-Wagner überzeugt: “Wir müssen alles dafür tun, dass dieses Land wieder sozialdemokratisch geführt wird.” Die fünf Jahre, in denen die SPÖ nun in Opposition ist, seien “verlorene Jahre für das Land”. Der “Scherbenhaufen” müsse von der SPÖ wieder aufgeräumt werden.

Insbesondere beim Corona-Management und den Maßnahmen gegen die Teuerung wirft Rendi-Wagner der Politik Versagen vor. Gegen die steigenden Preise würde türkis-grün “nicht gegensteuern”, bei Corona stagnieren die Impfungen und ein “gut funktionierendes Testsystem wird nächste Woche mutwillig zerstört”. Das Gesundheitssystem müsse verbessert werden – Bevorratungssystem, Datenmanagement, Akzeptanz für wissenschaftliche Expertise – weil: “Das wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein.”

“Alle zwei Tage ein neues Windrad”

Bei der Wirtschaftspolitik will Rendi-Wagner auf staatliche Kooperationen mit Industrie und Wirtschaft setzen, um die Transformation zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem zu lenken. “Wenn die Regierung nach zwei Jahren feststellt, dass Österreich von allen europäischen Ländern die höchste Abhängigkeit von russischem Gas hat, dann frage ich mich: Was wurde gemacht, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden?”, richtet sie der Regierung aus. Wenn man die Klimaziele erreichen wolle, “müsste alle zwei Tage ein Windrad aufgestellt werden”. Es brächte beschleunigte Verfahren und eine Ausbildungsoffensive in der Technik.

Als großes Problem definiert Rendi-Wagner, dass “Leute der Wissenschaft nicht mehr trauen”, was am Beispiel der Corona-Leugner sichtbar würde. Die Wissenschaftsfeindlichkeit werfe Österreich im internationalen Wettbewerb zurück – und sei eine Gefahr für die Demokratie: “Wenn immer weniger Menschen eine immer komplexer werdende Welt versteht, wird das politisch ausgenützt.”

Nach einer Stunde schloss Rendi-Wagner ihre Rede mit dem Bild einer besseren Zukunft: “Dazu braucht es euch, dazu braucht es mich. Wir sind bereit.”

Kritik von ÖVP und FPÖ

Erwartungsgemäß kein Applaus kam von anderen Parteien. ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner erklärte via Twitter, sie sehe die SPÖ-Chefin “mit ihrer groß inszenierten Rede endgültig von Sachpolitik auf Showpolitik umgeschwenkt”. Aus ihrer Sicht hat die SPÖ damit “in Krisenzeiten einen Wahlkampf heraufbeschwört”, und dies empfand sie als “verantwortungslos und genau das Gegenteil dessen, was sich die Menschen zurecht erwarten”.

Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl missfiel Rendi-Wagners Rede – besonders weil sie, wie er meinte, “hunderttausende freiheitsliebende Corona-Maßnahmengegner als ungebildete Corona-Leugner bezeichnet und abgekanzelt” habe. Insgesamt kommentierte er den Auftritt in einer Aussendung – unter Hinweis auf die anwesenden Altkanzler – mit den Worten: “Die SPÖ-Chefin versucht krampfhaft, im ‘Sattel des toten Pferdes’ sitzen zu bleiben.”